Grüner gegen Beschneidung: „Religionen sollten sich unterordnen“
Der Grünen-Abgeordnete Memet Kilic hat gegen die Bundestags-Resolution gestimmt. Er findet, die Betroffenen sollten mit 14 Jahren selbst entscheiden, was mit ihrer Vorhaut geschieht.
taz: Herr Kilic, der Bundestag hat sich jüngst für ein Gesetz starkgemacht, das religiöse Beschneidungen regelt. Warum haben Sie dagegen gestimmt?
Memet Kilic: Ich war dagegen, weil eine notwendige Debatte damit abgewürgt wurde. Die muss es aber geben, bevor eine solche Entscheidung gefällt wird.
Viele Muslime und Juden betrachten die Beschneidung bei Jungen als religiöse Pflicht. Kann sich der deutsche Staat anmaßen, darüber zu urteilen?
Bis vor ein paar Wochen hätte ich dazu noch Nein gesagt. Aber das Kölner Urteil hat einen notwendigen Denkanstoß gegeben. Denn das, was in heiligen Büchern gepredigt wird, muss im Licht der Vernunft und des medizinischen Fortschritts neu interpretiert werden. Einem Staat allein kann es zwar nicht gelingen, die religiösen Riten und Gebräuche seiner Bürger zu ändern. Aber er kann sie in Frage stellen und in einen Dialog mit den Religionsgemeinschaften treten.
Hat das Kölner Urteil denn nicht ein schnelles Handeln der Politik erforderlich gemacht, weil es so viele Eltern und Mediziner verunsichert hat?
Durchaus. Aber wenn es triftige Gründe gibt, dann kann die Beschneidung im Islam wie im Judentum für eine Weile zurückgestellt werden. Das Kölner Urteil ist so ein triftiger Grund – und für die Religionsgemeinschaften gilt, dass sie den Rechtsstaat respektieren müssen.
45, ist Jurist. In der Türkei aufgewachsen, sitzt er seit 2009 als integrationspolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag. Er lebt in Heidelberg und hat zwei Söhne.
Ein Verbot der religiösen Beschneidung könnte viele jüdische und muslimische Eltern dazu verleiten, ihre Söhne im Ausland beschneiden zu lassen. Droht dann nicht ein Beschneidungstourismus ins Ausland?
Den gibt es jetzt schon. Aus Kostengründen oder weil sie die Beschneidung im Kreis ihrer Familie feiern wollen, lassen viele diese Operation in der Heimat der Eltern durchführen. Ein Rechtsstaat hat aber nicht die Aufgabe, deshalb hierzulande die Handhabe zu vereinfachen, sondern muss verschiedene Rechtsgüter abwägen.
Ob die Beschneidung körperliche Nachteile mit sich bringt, ist umstritten. Warum soll sich der deutsche Staates in diese Frage einmischen?
Die medizinischen Vorteile sind nicht bewiesen. Und wenn es medizinisch notwendig ist, sollen Beschneidungen ja weiterhin erlaubt bleiben. Ich halte es aber für fragwürdig, gesundheitliche Argumente heranzuziehen, um religiöse Gebote zu legitimieren. Mit der Beschneidung markieren bestimmte Religionsgemeinschaften ihre Angehörigen. Ich bin dafür, dass die Betroffenen diese Entscheidung selbst fällen – mit 14, wenn sie religionsmündig sind.
Anders als für Muslime ist es für religiöse Juden nicht möglich, so lange zu warten, hier findet der Eingriff traditionell schon nach acht Tagen statt. Ist Ihr Vorschlag realistisch?
Für gläubige Juden ist das schwierig, das erkenne ich an. Aber manche jüdische Gemeinden in Großbritannien haben die Beschneidung schon auf einen symbolischen Akt reduziert und die Operation auf einen späteren Zeitpunkt vertagt. Mir erscheint das vorbildlich.
Sollte ausgerechnet Deutschland mit seiner Geschichte das erste Land sein, das eine jüdische Tradition einschränkt?
Mir ist schon klar, dass in so einer Debatte auch antijüdische oder antimuslimische Töne nach oben gespült werden. Nicht nur aufgrund des Holocaust sind wir in der Pflicht, bei solchen Themen sensibel zu sein. Aber Deutschland hat auch die Kinderrechtskonvention unterschrieben. Das Kölner Urteil ist überdies für eine säkulare Gesellschaft nur logisch – und es ist auch viel besser als sein Ruf, weil es viele Aspekte abwägt. Die großen Religionsgemeinschaften sollten deshalb nicht gleich mit der großen Keule kommen nach dem Motto: Ihr wollt uns nicht.
Rund 30 Prozent aller Männer weltweit sollen beschnitten sein, und bislang gab es darüber kaum Streit. Wird hier nicht künstlich ein Konflikt herbeigeredet, den es gar nicht gibt?
Nein, das sehe ich nicht so, und mit Statistiken zu argumentieren bringt uns da auch nicht weiter. Das Kölner Gericht hat anhand eines konkreten Falls geurteilt, und die Ärzte- und Kinderverbände haben sich in dieser Frage auch klar geäußert. Viele Betroffene dagegen handeln aufgrund von gesellschaftlichen Zwängen und Traditionen, die sie nicht richtig reflektieren. Und auch den Sinn der Beschneidungsindustrie, die in den USA entstanden ist, kann man durchaus in Frage stellen.
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