Grüner Verkehrsexperte zu Linienfernbussen: "Die Schiene wird benachteiligt"
Busse dürfen Straßen kostenlos nutzen, während Züge für die Schienen zahlen müssen, kritisiert der Grünen-Verkehrsexperte Michael Cramer. Bus-Passagiere haben zudem weniger Rechte.
taz: Herr Cramer, die Bundesregierung will im Fernverkehr das Bahnmonopol brechen und Fernbusse zulassen. Freut Sie das?
Michael Cramer: Nein, das freut mich nicht, und zwar vor allem deswegen, weil die unfairen Wettbewerbsbedingungen, die gegenüber der Schiene vorherrschen, nun noch mehr zementiert werden.
Inwiefern sind die Bedingungen unfair?
Seit mehr als 15 Jahren muss EU-weit für den Schienenverkehr eine Maut erhoben werden. Auf der Straße hingegen ist sie eine freiwillige Angelegenheit der Mitgliedstaaten und in der Höhe begrenzt. In Deutschland etwa gilt sie nur für Lkws ab 12 Tonnen und dann auch nur auf Autobahnen. Während eine Lok also für jeden Kilometer eine Maut und für jeden Halt eine Stationsgebühr entrichten muss, ist der Bus davon befreit. Hier wird ganz klar die umweltfreundliche Schiene be- und der motorisierte Verkehr entlastet.
Aber müssten die Grünen es nicht begrüßen, wenn eine weitere Alternative zum Individualverkehr angeboten wird?
62, ist Abgeordneter im Europäischen Parlament und dort seit 2004 verkehrspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion. Seit 1979 ist er ohne Auto mobil.
Natürlich begrüßen wir das. Wir sind ja auch nicht prinzipiell gegen Fernbuslinien. Aber die Wettbewerbsbedingungen müssen stimmen. Entweder wird die Maut für die Bahn aufgehoben oder sie gilt auch für Busse.
Die Bahn ist zumindest in einigen Bereichen nicht sonderlich kundenfreundlich. Könnte ein wenig Konkurrenz nicht das Geschäft beleben?
Ja, natürlich. Aber immerhin sind die meisten Züge behindertengerecht. Das zum Beispiel spielt nun bei der Zulassung von Fernbussen auch keine Rolle. Was in den Fernbussen etwa in den USA völlig selbstverständlich ist, findet sich im Entwurf der Bundesregierung mit keiner Zeile wieder. So viel zur Kundenfreundlichkeit. Aber zu Ihrer Frage: Ich setze mich ja für mehr Wettbewerb ein - aber innerhalb des Schienennetzes.
Was heißt das konkret?
Ich kritisiere zum Beispiel, dass die Bahn den nicht bundeseigenen Schienenunternehmen höhere Stromkosten auferlegt. Wenn es das Ziel der Fernbusse ist, den Verkehr weg von Pkws zu lenken, dann finde ich das auch gut. Aber selbst die Busunternehmen gehen davon aus, dass sie 20 Prozent der Bahnkunden abwerben. Und das halte ich für falsch.
Viele Strecken möchte die Bahn aus Gründen der Rentabilität nicht anbieten. Können Fernbusse diese Lücken nicht füllen?
Natürlich können sie das. Aber ich sehe eine Gefahr: Die Bahn sagt, wir müssten eigentlich die Strecke von Nürnberg nach Prag sanieren. Nun sollen aber Linienbusse eingesetzt werden. Das sei ja viel billiger. Wenn es nur nach der Rendite geht, ist der Bus tatsächlich billiger, weil die Straßennutzung der Steuerzahler in der Gesamtheit übernimmt, während bei der Schienennutzung der Fahrgast zu einem großen Teil mitbezahlt. Das ist aber unfair.
Wie sieht es bei der CO2-Bilanz pro Fahrgast aus? Da stehen Fernbusse doch gar nicht so schlecht dar.
Es kommt auf die Berechnung an: Wenn der Bus voll besetzt ist, ist der CO2-Ausstoß pro Kopf ganz gut, vor allem wenn man das mit dem Pkw vergleicht. Wenn ein Zug weitgehend leer ist, fällt die CO2-Bilanz negativ aus. Für bestimmte Strecken in einigen Regionen befürworte ich die Einführung von Linienbussen auch. Aber wenn jetzt auf einer bestehenden Strecke, die saniert werden müsste, nun Busse eingesetzt werden, dann halte ich das für eine falsche Entscheidung.
Ein klarer Vorteil der Bahn: Bei Verspätungen werden Kunden entschädigt. Wie sieht es bei Fernbussen aus? Immerhin kommt bei ihnen auch das Staurisiko auf Autobahnen hinzu.
Wir hatten bei den Fahrgastrechten europaweit durchgesetzt, dass beim Schienenfernverkehr ab 50 Kilometer bei Verspätungen ab einer Stunde 25 Prozent des Fahrpreises zurückgezahlt wird, ab zwei Stunden Verspätung ist es die Hälfte. Bei Fernbussen soll es eine solche Entschädigung erst ab 250 Kilometer geben. Auch hier gilt wieder: eine klare Bevorzugung der Fernbusse.
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