Grüner Giegold über Griechenland-Darlehen: "Die Oberschicht zahlt die Zinsen nicht"
Grünen-Finanzexperte Giegold wirft Deutschland vor, sich an den Darlehen für Griechenland zu bereichern. Die Regierung nehme Kredite für 3 Prozent auf und reiche sie für 5 Prozent weiter.
taz: Herr Giegold, Griechenland soll 45 Milliarden Euro vom Internationalen Währungsfonds und der EU erhalten. Ist das Land gerettet?
Sven Giegold: Nein. Die griechische Ökonomie ist nicht wettbewerbsfähig.
Also Löhne runter?
Sven Gigold, 40, ist grüner Europaabgeordneter. Er koordiniert die Grünen im Ausschuss für Wirtschaft und Währung und ist Berichterstatter für die neue EU-Finanzaufsicht.
Die Gehälter in der Privatwirtschaft sind nicht das Problem. Viele Arbeitnehmer verdienen nur das Existenzminimum.
Was schlagen Sie dann vor?
Die EU hat es versäumt, ihre Zusagen an einen Lastenausgleich innerhalb der griechischen Gesellschaft zu koppeln. Die Oberschicht hat sich in der Vergangenheit die Taschen vollgestopft - durch Korruption, Steuerflucht und klientelistische Staatsaufträge. Diese illegitimen Vermögen werden weiter geschont. Auch die Militärausgaben sind völlig überdimensioniert.
Kurz: Das Haushaltsdefizit der Griechen wird nicht sinken - und das Land weitere Milliardenhilfen benötigen?
Das sind keine Hilfen! Stattdessen erhalten die Griechen sehr teure Kredite, die 5 Prozent Zinsen kosten - während das überschuldete Lettland an den Internationalen Währungsfonds nur 3,5 Prozent Zinsen zahlen muss.
Kanzlerin Angela Merkel wollte ursprünglich sogar Zinsen "in Marktnähe", die noch höher liegen. Hat sie auf EU-Ebene verloren?
Nein. Leider hat sie sich durchgesetzt. Jetzt macht Deutschland sogar Profit auf Kosten der Griechen: Man nimmt die Kredite für rund 3 Prozent Zinsen auf dem Kapitalmarkt auf - und reicht sie für 5 Prozent an Athen weiter. Merkel hat auf den Boulevard Rücksicht genommen. Vor der NRW-Wahl sollte es nicht so aussehen, als bekämen die Griechen etwas geschenkt. Getroffen werden die Falschen: Nicht die griechische Oberschicht zahlt die Zinsen, sondern die Masse der Bevölkerung.
Die Milliardenkredite retten nicht nur Griechenland - sondern auch die Banken und Investoren, die Griechenland Geld geliehen haben. Warum werden diese Gläubiger nicht an der Rettung beteiligt?
Natürlich wäre es schön, wenn es ein geordnetes Insolvenzverfahren gäbe. Aber momentan ist es unmöglich, die Gläubiger an eventuellen Rettungskosten zu beteiligen. Wenn die Gläubiger die Sorge hätten, dass sie enteignet werden, dann würde dies die Zinssätze für alle Staaten dramatisch in die Höhe treiben, die als potenziell gefährdet gelten: also Spanien, Italien, Irland oder Portugal. Dann wäre nicht nur Griechenland pleite. In dieser Krisensituation ist die EU erpressbar.
Seit Monaten haben Fonds und Banken auf einen griechischen Staatsbankrott spekuliert. Haben sie die Krise beschleunigt?
Eindeutig. Es gibt eine neue Studie, dass die Wahrscheinlichkeit bei mehr als 99 Prozent liegt, dass die Spekulation mit Kreditausfallversicherungen (CDS) die Zinssätze für griechische Staatsanleihen in die Höhe getrieben haben.
Neoklassische Ökonomen könnten einwenden, dass Griechenland in jedem Fall irgendwann pleite gewesen wäre und dass die Spekulation diese Entwicklung nur vorweggenommen hat.
Das ist wieder diese irrige These, dass die Märkte effizient seien. Es gibt aber grenzenlose Übertreibungen. Die Spekulation mit CDS auf griechische Staatsanleihen sollte sofort ausgesetzt werden.
Sie sind EU-Abgeordneter. Aber Ihr Parlament hat bei der Rettungsaktion nichts zu sagen.
Die Kredite für Griechenland sind zu Recht eine Aufgabe der Exekutive. Sie muss sogar noch ausgebaut werden: Europa braucht eine einheitliche Wirtschaftsregierung. Aber jede Regierung muss sich gegenüber Abgeordneten verantworten. Deswegen müssen die Kontrollrechte des EU-Parlaments gestärkt werden.
INTERVIEW: ULRIKE HERRMANN
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