Grüner Flirt mit der Union: Kretschmann lobt die Kanzlerin
Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident sieht neue Chancen für Schwarz-Grün auf Bundesebene und warnt seine Partei vor der Ablehnung des Atomausstiegs. Andere Grüne bleiben da skeptischer.
BERLIN/STUTTGART dpa | Mit dem Atomausstieg ist für Baden-Württembergs Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) "eine wesentliche Hürde" für ein schwarz-grünes Bündnis auf Bundesebene gefallen. "Die Verlängerung der Laufzeiten hat unüberbrückbare Gräben aufgerissen, die werden nun wieder eingeebnet", sagte der erste grüne Ministerpräsident dem Tagesspiegel am Sonntag. Eine Koalition von Union und Grünen werde dadurch aber nicht zu einer zwingenden Option für die Bundestagswahl 2013.
Zugleich lobte Kretschmann den Kurswechsel der Kanzlerin in der Energiepolitik. Trotz berechtigter Kritik verdiene "Angela Merkel großen Respekt" für ihre Entscheidung, sagte der Grünen-Politiker: "Ich kann mich in ihre Rolle versetzen. Das ist eine schwierige Kehrtwende, mit der sie innerparteilich ein hohes Risiko eingeht."
Skeptisch äußerte sich Kretschmann hingegen zum Zustand der SPD. Die Sozialdemokraten hätten ihren Weg noch nicht gefunden: "Ich sehe große Unsicherheit und großes Schwanken." Die Grünen liegen in einigen Umfragen derzeit vor der SPD. Zusammen haben beide Parteien einen klaren Vorsprung vor dem Koalitionslager von Union und FDP.
Kretschmann warnt vor grünem Nein
Grünen-Chef Cem Özdemir hält eine Koalition mit der CDU nach der nächsten Bundestagswahl für möglich, sieht aber eher die SPD als Partner. "Wir verfolgen einen Kurs der Eigenständigkeit und schauen, mit wem wir grüne Inhalte am besten umsetzen können", sagte er dem Hamburger Abendblatt. "Die Schnittmenge mit der SPD ist da größer. Aber wir haben immer gesagt, dass wir je nach Situation vor Ort auch mit der CDU reden." Es gebe noch viel Trennendes, doch habe sich die Union jetzt von der Laufzeitverlängerung verabschiedet. So oder so werde das Regieren nach Schwarz-Gelb "kein Zuckerschlecken". Man müsse die Zeit bis zur Wahl nutzen, um sich gut vorzubereiten.
Kretschmann warnte seine Partei davor, auf dem Sonderparteitag am 25. Juni den stufenweisen Atomausstieg bis 2022 abzulehnen. Die Vereinbarung der Ministerpräsidenten mit Bundeskanzlerin Merkel sei für die Grünen "ohne Frage ein epochaler Sieg". Die Regierung hatte sich nach Kritik der Grünen und der Länder auf eine fünfstufige Abschaltung von 2015 bis 2022 eingelassen, damit nicht alle neun verbleibenden Meiler erst zwischen 2021 und 2022 vom Netz gehen.
Nun könne der Ausstieg unumkehrbar werden, weil fast alle mitmachen wollten, sagte Kretschmann. Ein Grünen-Beschluss gegen den Ausstieg wäre daher ein "Akt der Selbstbeschränkung". "Damit würden wir uns im Oppositionsgestus einmauern." Er habe den Eindruck, seine Partei erlebe "eine Art Schrecksekunde", weil das, wofür man so lange gekämpft haben, nun quasi über Nacht Realität geworden sei.
Bärbel Höhn bleibt skeptisch
Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Bärbel Höhn äußerte sich in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung skeptischer: "Ich wünsche mir einen schnelleren Ausstieg aus der Kernenergie. Gerade nach Fukushima gibt es gute Gründe, schneller aus der Atomkraft auszusteigen als 2022 - wie die Bundesregierung es will."
Sollten die Grünen aus Gründen des parteipolitischen Konsenses der nun geplanten Kürzung der Laufzeiten zustimmen, so bedeute das nicht, dass man die gesamte Energiepolitik der Regierung gutheiße. "Wir werden auch in Zukunft gegen Castor-Transporte protestieren, denn die Endlagerfrage ist weiterhin nicht geklärt", sagte Höhn.
Eine Mehrheit auf dem Grünen-Parteitag ist nach Ansicht des Grünen-Klimaexperten Hermann Ott keinesfalls sicher. "Das ist eine leidenschaftliche Debatte. Da geht es um ein Herzensanliegen", sagte Ott. FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle forderte die Grünen auf, bei der Energiewende nicht auf die Bremse zu treten. "Ich erwarte, dass sich die Grünen künftig mit großen Schildern auf die Straße stellen, auf denen steht: "Hochspannungsleitungen sind nötig!"", sagte Brüderle dem Spiegel.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken