Grüner Bundestagskandidat für Friedrichshain-Kreuzberg: Mutlu testet seinen Marktwert
Der Bildungspolitiker Özcan Mutlu (Grüne) will in Friedrichshain-Kreuzberg für den Bundestag kandidieren - falls Christian Ströbele dort nicht mehr antritt. Der will sich in Kürze entscheiden.
Am grünen Urgestein Christian Ströbele kommt in Friedrichshain-Kreuzberg niemand vorbei. Nun aber hat der 69-jährige für Anfang nächster Woche eine "Entscheidung" angekündigt. Obwohl er 2002 als erster Grüner ein Direktmandat für den Bundestag errungen und dieses 2005 verteidigt hatte, schließen Beobachter nicht mehr aus, dass sich Ströbele aus der Bundespolitik zurückzieht. Um seinen Wahlkreis in der grünen Hochburg rechts und links der Spree wird hinter den Kulissen bereits heftig gerungen.
Einer, der schon in den Startlöchern steht, ist der Bildunsexperte der grünen Abgeordnetenhausfraktion, Özcan Mutlu. Offiziell heißt es bei dem 1968 im türkischen Kelkit geborenen Kreuzberger zwar "kein Kommentar". Es ist allerdings bekannt, dass Mutlu in Kreuzberg gerne seinen Migrationshintergrund im Wahlkampf in den Vordergrund stellen möchte. Nach der Nominierung von Barack Obama zum Präsidentschaftskandidaten der US-Demokraten nahm Mutlu für sich auch einen "Obama-Faktor" in Anspruch. Falls Ströbele nicht mehr antrete, so Mutlu damals, könne nur ein Migrant, der wie er über die Grenzen Kreuzbergs hinaus bekannt sei, den Wahlkreis für die Grünen gewinnen.
Öffentlich will sich bei den Grünen noch keiner zur Kreuzberger K-Frage äußern. "Im Moment gibt es dazu keine Notwendigkeit", sagt etwa der Parteilinke Dirk Behrendt, der in Kreuzberg ein grünes Direktmandat für das Abgeordnetenhaus gewonnen hat. Wenn Christian Ströbele noch einmal antrete, sei er der Kandidat. "Wenn nicht", so Behrendt zur taz, "werden wir einen geeigneten Kandidaten finden."
Es ist aber ein offenes Geheimnis, dass im traditionell linken Kreisverband Friedrichshain-Kreuzberg eine Kandidatur von Mutlu auch auf Skepsis stößt. Aus dem Realo-Lager wird kolportiert, Christian Ströbele habe auf Drängen der Partei-Linken auch deshalb so lange mit seiner Entscheidung gezögert, um den Mutlu-Gegnern die Möglichkeit zu geben, einen linken Gegenkandidaten aus dem Hut zu zaubern. Bislang anscheinend ohne Erfolg. Der Chef des linken Kreisverbands Münster, Wilhelm Achelpöhler, hat bereits abgewunken. "Das ist ein ehrenswertes Gerücht, aber es ist ein Gerücht", kommentierte er entsprechende Spekulationen.
Die Suche der Linken nach einem Kandidaten hat im Gegenzug auch die Fraktionsspitze im Abgeordnetenhaus auf den Plan gerufen. Dort setzen sich die Realos inzwischen offen für Özcan Mutlu ein. "Wir brauchen einen Kandidaten, der für die neuen grünen Themen steht", sagt zum Beispiel Fraktionschef Volker Ratzmann. "Und diese neuen Themen sind Bildung und Migration".
Offiziell entscheidet im Falle des Rückzugs von Christian Ströbele eine Versammlung des grünen Kreisverbandes in Friedrichshain-Kreuzberg über die schwierige Kandidatenfrage. Dass es dort auch zu Kampfkandidaturen kommen kann, haben bereits die Sozialdemokraten vorgemacht. Dort haben gleich drei Bewerber ihre Ansprüche für ein Direktmandat angemeldet (siehe unten).
Darüber hinaus wollen die Grünen auf einer Landesdelegiertenkonferenz am 9. November ihre Landesliste für die Bundestagswahlen im Herbst 2009 zusammenstellen. Sicher ist bislang, dass die grüne Fraktionschefin Renate Künast auf Platz eins und Wolfgang Wieland auf Platz zwei gesetzt sind. Um Platz drei streiten sich die Landespolitikerinnen Lisa Paus und Alice Ströver. Auf Platz vier möchte Özcan Mutlu antreten. Dieser Listenplatz ist allerdings unsicher. Die Kür zum Direktkandidaten käme da gerade recht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut