Grünen-Politikerin Bilkay Öney: Zwischen Petra Kelly und Roland Koch
Groß aufgefallen war Bilkay Öney im Berliner Abgeordnetenhaus bislang nicht. Jetzt hat die Grüne Verständnis für Kochs Brachialwahlkampf geäußert - und ist auf einmal in aller Munde.
Es waren nur wenige Worte, aber sie brachten alles ins Rollen. Seither ist für die Berliner Landtagsabgeordnete Bilkay Öney von den Grünen nichts mehr, wie es war. Ihre Worte sind in einen medialen Sturm geraten, und die 37-Jährige mit ihnen.
Im Gespräch mit einer Nachrichtenagentur sagte Öney zur Wochenmitte, sie habe Verständnis für die Forderung des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch nach härteren Strafen für junge Kriminelle: "Wir müssen ihm auch mal zuhören und nicht gleich alles abwehren, nur weil er ein CDU-Hardliner ist." Eine türkischstämmige Grüne zeigt Verständnis für Kochs Brachialwahlkampf? Der Sturm brach los. Gestern frohlockte die Bild-Zeitung über die vermeintliche Wahlkampfhilfe und titelte: "Deutsch-türkische Grüne wollen Koch zuhören."
Für Zwischentöne war es da zu spät. Ihre eigene Landtagsfraktion rückte in Panik von Öney ab und stempelte ihre Worte zur "Einzelmeinung". Eilig verkündete die in der Türkei geborene Politikerin, was nur in einer Medienhysterie überhört werden konnte: dass sie Kochs Abschiebephantasien für Unfug hält und stattdessen auf Prävention bereits im Elternhaus setzt.
Damit kennt sich Öney aus. Zwar beargwöhnen Parteifreunde die Ex-Moderatorin des türkischen Fernsehsenders TRT zuweilen als politisches Leichtgewicht, das seinen Parlamentssessel vorrangig seinem guten Aussehen verdankt. Doch darin mag eine gehörige Portion Neid gegenüber der Migrationsexpertin mitschwingen. Immerhin engagiert diese sich in Kreuzberg seit Jahren in Sozialprojekten, die Migrantinnen Beratungen anbieten. Die Diplom-Kauffrau und politische Quereinsteigerin traut sich auszusprechen, was den meisten ihrer Berufskollegen als Scharfmacherei ausgelegt würde. Mit Blick auf den Überfall auf einen Rentner in München sagte sie: "Wenn so etwas in der Türkei passiert wäre und ein Deutscher einen Türken fast totgeprügelt hätte, ihn auch noch mit 'Scheiß Türke' beschimpft hätte, dann wäre er vermutlich gelyncht worden."
Diese Chuzpe hat Öney im Elternhaus gelernt. Wie ihr Parteifreund Cem Özdemir entstammt sie der gebildeten türkischstämmigen Mittelschicht. Die Opferrolle ist ihr fremd. Als Kind bestaunte die Berlinerin ihren Vater, einen linken Kemalisten und Lehrer, wenn der die damalige Grünen-Ikone Petra Kelly bei Fernsehdebatten anspornte: "Ja, Petra, gib's ihnen, hau ihnen auf die Fresse!" Kellys öffentliche Auftritte sind Öney unvergesslich: "Für die einen mag das hysterisch gewesen sein, ich fand es kämpferisch und cool." Ein Foto der Ur-Grünen steht heute auf ihrem Schreibtisch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen