Grünen-Parlamentarier über Euro-Krise: "Es wird nur bei den Löhnen gekürzt"

Der neue "Wachstumsbericht" der EU-Kommission sei einseitig, sagt Sven Giegold, Grünen-Abgeordneter im EU-Parlament und erklärt, die Kommission mache "die gleichen Fehler wie ihre Vorgänger".

"Die Vermögenden werden nicht belastet." Bild: ap

taz: Herr Giegold, die EU-Kommission hat ihren ersten "Wachstumsbericht" veröffentlicht. Muss man ihn ernster nehmen als die vielen anderen Berichte, die die Europäische Union permanent lanciert?

Sven Giegold: Unbedingt. Dieser Wachstumsbericht ist der Start des neuen "europäischen Semesters".

Klingt irgendwie nach Uni.

Der Titel ist wirklich blöd, aber dahinter verbirgt sich ein überfälliger Prozess. Die Kommission will die Regierungen und Parlamente motivieren, dass sie in ihre nationalen Haushaltspläne hinein schreiben, was sie vorher auf europäischer Ebene beschlossen haben. Bisher wurden Zusagen fast nie eingehalten, zum Beispiel mehr Geld in die Bildung zu investieren.

Das ist ja ganz ungewohnt: Die Grünen loben die EU-Kommission.

Mehr Koordination ist richtig, nur sind die Prioritäten falsch. Der zuständige Währungskommissar Olli Rehn macht die gleichen Fehler wie seine Vorgänger. Seine Vorgabe ist, dass alle EU-Länder noch mehr sparen sollen. Dabei lernt man schon im Grundstudium, dass es eine ökonomische Abwärtsspirale auslöst, wenn alle Staaten gleichzeitig massiv kürzen.

SVEN GIEGOLD 41, sitzt seit 2009 für die Grünen im EU-Parlament. Der Mitbegründer von Attac Deutschland koordiniert die Partei im Wirtschafts- und Währungsausschuss.

Die EU-Kommission hat ausgerechnet, dass die Schulden der Euroländer im Schnitt 85 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erreichen. Da muss man doch wohl sparen?

Aber die EU-Kommission will nur bei den Löhnen und den Sozialausgaben kürzen. In einigen Ländern wie Irland ist das unvermeidlich. Dort hat der Bankensektor die Wirtschaft überhitzt, das hat auch die Gehälter so aufgebläht, dass die reale Wirtschaft das gar nicht tragen kann. Es ist aber falsch, nur auf die Ausgabenseite zu schauen.

Und wie sollen die Schulden dann reduziert werden?

In dem gesamten EU-Wachstumsbericht sucht man ein Wort vergebens: Steuerkooperation. Das Steuerdumping einiger EU-Länder bleibt völlig unerwähnt. Dabei würde es den finanziellen Spielraum der einzelnen Regierungen enorm erhöhen, wenn es Mindeststeuersätze gäbe und eine gemeinsame Bemessungsgrundlage für die Unternehmenssteuern. Die EU-Kommission wiederholt den Fehler, der schon bei den Sparpaketen in Irland und Griechenland gemacht wurde: Die Vermögenden werden nicht belastet.

Aber wird dieser neue EU-Wachstumsbericht überhaupt Folgen haben? Im fünfzehnseitigen Anhang beklagen sich die EU-Beamten ununterbrochen, dass die einzelnen Regierungen nur nichtssagende Papiere zugeliefert hätten.

Wer hätte gedacht, dass die taz sogar Anhänge liest.

Also bleibt der Bericht folgenlos?

Nein. Im nächsten halben Jahr wird er diskutiert, dann im Juni gibt es verbindliche nationale Reformprogramme. Die EU-Prozesse bekommen eine Peitsche. Leider saust diese Peitsche auf die falschen Leute nieder: auf die Schwachen und auf die Arbeitnehmer.

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