Grüne und Öko-Aktivisten : Protest am Ende
Nach Lützerath wird klar: Grüne Realpolitik und ökologischer Aktivismus sind nicht mehr zwei Seiten einer gemeinsamen Sache. Was folgt daraus?
Von UDO KNAPP
taz FUTURZWEI, 21.01.2023 | Nach der maßvollen Räumung des Dorfes Lützerath bleibt eine zentrale Erkenntnis: Grüne Realpolitik und ökologischer Aktivismus können nicht mehr als zwei Seiten einer gemeinsamen Sache und zwei Flügel einer politischen Strategie gesehen werden. Daraus ergeben sich schwerwiegende Konsequenzen. Doch der Reihe nach.
Die Grünen haben sich, nach 50 Jahren konsequenter Machtpolitik und vielen strategischen Häutungen, als die politische Partei der Transformation des allein auf der Ausbeutung der natürlichen Ressourcen basierenden Industrialismus in einen ökologischen und digitalen Kapitalismus etabliert. Ein Kapitalismus, der möglicherweise sogar menschenfreundlicher, zumindest aber demokratisch eingehaust ist.
Die Grünen sind, obwohl sie sich auch immer gern als die unverwüstlichen Rebellen inszenieren, der Kern des politischen Establishments der Republik geworden. Sie bestimmen mit ihren Themen und ihrem Regieren im Bund und in fast allen Ländern die Agenden aller anderen Parteien. Die Grünen sind dabei, die „Große Transformation“ in ein praktisches Arbeitsprogramm zu übersetzen. Sie arbeiten daran, dieser Transformation einen gesetzlichen, verwaltungs- und verfassungsfesten Rahmen zu geben. Die Großkonzerne aller Sparten, die Wirtschaft und alle wesentlichen Träger des öffentlichen Lebens haben die „Große Transformation“ längst zu ihrer Sache gemacht. Wer das nicht glaubt, sollte mal den Wirtschaftsteil der FAZ lesen, da ist die Transformation Dauerthema. Wirtschaftsunternehmen sind zu Partnern der Grünen in diesem Prozess geworden. Gestritten wird über die richtigen realpolitischen Schritte zur Entfossilisierung der Industrie und darüber, wie Bundesregierung und die EU mit einem eigenen Subventionspaket dem protektionistischen Grünen Deal der USA begegnen. Es ist daher kein Zufall, dass Grünes Spitzenpersonal inzwischen auf den strategischen Ebenen aller wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Machtzentren hin und her wechselt. Es ist auch kein Zufall, dass grüne Oberbürgermeister, Beigeordnete, Abteilungsleiter und führende Beamte, wie etwa Dirk Weinspach, Polizeipräsident von Aachen, das gesellschaftliche Leben in der Fahrt aufnehmenden Transformation rechts- und verfassungsfest gestalten und steuern.
CDU, SPD, FDP und Linke scheinen ihrem historischen Abstieg gegenüber hilflos. Entweder legen sie, den Grünen nachklappend, eigene grüne programmatische Perspektiven auf oder versuchen, das kontingente Neue in der Grünen Politik zu behindern und mit Grünenhass deren Politik und ihre Erfolge zu delegitimieren.
Die Grünen können das für das Klima Notwendige nicht durchsetzen
Die Klimaaktivisten müssen zur Kenntnis nehmen, dass die Grünen ihre politische Hegemonie nicht uneingeschränkt dazu nutzen können, das für das Klima Notwendige durchzusetzen, koste es was es wolle. Dennoch, der von Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck und Nordrhein-Westfalens Vize-Ministerpräsidentin Mona Neubaur mit RWE ausgehandelte Kohleausstieg, vom Landtag in NRW und dem Bundestag per Gesetz auf 2030 und damit um acht Jahre vorgezogen, ist ein ermutigendes Zeichen dafür, dass langfristig angelegte, rechtsfeste Planungen für die „Große Transformation“ politisch durchsetzbar sind.
Sicher wäre es für das Einhegen der Klimakrise besser, wenn die Republik schon vorgestern aus der Kohleverstromung ausgestiegen wäre. Es stimmt zudem, dass auch ohne die noch abzubaggernden Millionen Tonnen Braunkohle unter Lützerath die Energieversorgung in der Republik nicht zusammengebrochen wäre.
Aber einen den größten Zulieferer für alle CO2-Emittenten an die historische Leine gelegt zu haben, damit den Weg gebahnt zu haben, den gleichen Deal auch in Sachsen bei den Verhandlungen mit der LEAG zu wiederholen, das ist Grund genug, das Abbaggern von Lützerath als Kollateralschaden abzuschreiben.
Die Klimaaktivisten aber wollen die radikale Energiewende jetzt und gleich und sofort. Sie haben beachtenswerte Argumente auf ihrer Seite. Viele Fakten sprechen dafür, dass mit den augenblicklichen Klimapolitiken das 1,5 Grad-Ziel verfehlt werden wird. Die weitere Liste der nicht gelösten Probleme; der Verwerfungen und Widersprüche der Klimapolitik, ist lang – aber für die Arbeit an diesen Problemen braucht es Realpolitik, langen Atem und Mut in den Institutionen, den ökologischen Umbau im Denken, im Handeln für und möglichst mit großen Teilen der Gesellschaft voranzubringen. Das ist mühsam, meist nicht ausreichend und geliebt werden die Verantwortlichen für ihren Einsatz in der Regel auch nicht.
Realokram als Verrat an den historisch notwendigen Menschheitsaufgaben
Die Klima-Aktivisten halten diesen Realokram, auch wenn sie das nicht so nennen, für Verrat an den historisch notwendigen Menschheitsaufgaben. Sie packen immer wieder den muffigen Kram des Sofortismus aus, mit seinen oft nur auf die Selbstdarstellung in den skandalisierenden Medien zielenden Protestformen und seinem moralischen Sirenensound.
Habeck und Neubaur hätten sich von RWE über den Tisch ziehen lassen, hieß es. Der Polizeieinsatz vor Ort sei unverhältnismäßig brutal gewesen. Ein aktiver Grüner, der als Polizeichef von Aachen Recht und Ordnung durchsetzt, das gehe gar nicht. Es wurden womöglich gar „Schwerverletzte“ beklagt, die es gar nicht gegeben hat. Die Klima-Aktivisten nehmen für sich eine überrechtlich begründete Legitimität in Anspruch, die ihre bewussten Verletzungen der Legalität rechtfertigen und am besten straffrei stellen sollen. Die RWE-CEO wurden von dem Kabarettisten Jürgen Becker in der ARD-Sendung von Sandra Maischberger als Klimaterroristen bezeichnet, die schlimmer seien als einst die RAF. Und Katharina Dröge, die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, verlangt eine Untersuchung des angeblich überzogenen Vorgehens der Polizei in Lützerath. Geht’s nicht noch doller?
Anders als vor etwa 50 Jahren am Ende der Studentenbewegung und bis zur Gründung der Grünen zehn Jahre später, bietet die Partei Die Grünen heute für die verantwortungsbewussten Teile der nächsten Generationen einen tief in der Gesellschaft verankerten, politischen Handlungsraum. Die Chancen bei den Grünen oder in Allianzen mit ihnen aktiv Transformationsgeschichte zu schreiben, sind besser als je zuvor.
Wer aber lieber Protest spielen will, der soll das tun. Er und sie wird aber für das Gelingen einer ökologischen Zukunft der Republik keine Rolle spielen.
UDO KNAPP ist Politologe und kommentiert an dieser Stelle regelmäßig das politische Geschehen für taz FUTURZWEI.