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Grüne und Linkspartei fremdelnDie Mär vom linken Lager

Kommentar von Ralph Bollmann

Am Ende des Wahljahrs gibt es neue Koalitionen – nur keine rot-rot-grüne. Das liegt an der tiefen Kluft, die Grüne und Linkspartei trennt: Es fremdelt zwischen Hedonisten und Betriebsräten.

A ngela Merkel wiedergewählt, die Ministerpräsidenten in Sachsen und Schleswig-Holstein ebenso, die Koalitionsverhandlungen in Thüringen und im Saarland abgeschlossen, die Jamaika-Gespräche im Saarland begonnen: Das Superwahljahr, wie 2009 gern genannt wurde, ist vorbei. Es hat die politische Landschaft in Deutschland verändert - aber in vielem anders als ursprünglich angenommen.

Drei schwarz-gelbe Bündnisse wurden geschmiedet, im Bund, in Sachsen und in Schleswig-Holstein. Hinzu gekommen ist eine große Koalition in Thüringen und eine rot-rote in Brandenburg. Sogar die erste Jamaika-Allianz wird es geben, im Saarland, wenn sie nicht an privaten Geschäftsbeziehungen der Partner scheitert.

Nur zwei Kombinationen realisierten sich nicht. Bei der Ampel war das abzusehen. Aber auch Rot-Rot-Grün kam nirgendwo zustande, obwohl über dieses Modell so viel geredet wurde wie über kein anderes. Obwohl Freund und Feind drängten, die SPD solle diese Option endlich eröffnen. Zum eigenen Nutzen, aber auch zu dem der Demokratie. Damit es wieder zwei Lager gäbe und die Möglichkeit eines Wechsels in der Politik.

Bei vier Landtagswahlen hätten die Grünen gemeinsam mit SPD und Linkspartei in den vergangenen zwei Jahren eine Mehrheit gehabt - in Hamburg und in Hessen, in Thüringen und im Saarland. In keinem Fall hat sich diese Mehrheit realisiert. In zwei Fällen zogen es die Grünen vor, mit der CDU zu koalieren. Dafür gab es in jedem Land spezifische Gründe. In der Summe ist eine solche Häufung von Zufällen kein Zufall mehr. Die Rede vom "rot-rot-grünen Lager" erscheint zumindest verfrüht.

Allem Gerede von der quälenden großen Koalition zum Trotz stehen sich CDU und SPD heute unter allen Parteien am nächsten. Der Wirtschaft muss es gut gehen, damit der soziale Ausgleich möglich ist: das ist das Credo beider Volksparteien, mit unterschiedlichem Akzent. Ihr Schrumpfen ist ein Hinweis darauf, dass immer weniger Menschen an diesen Zusammenhang glauben. Die Anhänger der Linkspartei denken nicht mehr, dass sie von einer florierenden Wirtschaft profitieren könnten. Die FDP-Wähler finden den sozialen Ausgleich, wenn nicht überflüssig, so doch fehlgeleitet.

Der interessanteste Fall sind die Grünen. Aus einem postmaterialistischen Impetus sind sie entstanden. Der obsessiven Beschäftigung mit Sozialstaats- und Verteilungsfragen haftet in ihren Augen etwas Kleinbürgerliches an, als ob es nichts Wichtigeres gäbe als Geld. Uns gehts ums Ganze: Dieser Wahlslogan drückte die ganze Verachtung gegenüber Leuten aus, die ihre Wahlentscheidung vom eigenen Geldbeutel abhängig machen.

Man mag eine solche Haltung als im besten Sinne bürgerlich begreifen, man muss sie sich aber erst einmal leisten können. Kaum irgendwo ist die Verachtung bildungsferner Schichten so groß wie im Milieu der grün wählenden Akademiker. "Prollig" galt hier früh als Schimpfwort, der Einkauf bei Aldi schon aus ästhetischen Gründen als indiskutabel. All das bringt die Hedonisten von der Kölner Südstadt bis zum Prenzlauer Berg in einen schroffen Gegensatz zu den Gewerkschaftern und Betriebsräten der Linkspartei, die sie insgeheim als altmodische Spießer verabscheuen. Die geringe Weltgewandtheit, die latente Xenophobie in Teilen des linken Milieus ist ihnen ein Gräuel.

Die Interviewschlacht, die vor den Landtagswahlen in Thüringen und dem Saarland zwischen Grünen und Linken tobte, war deshalb weit mehr als wahltaktisches Scharmützel um ein paar Wählerstimmen. Man muss nur Vertreter beider Parteien in Berliner Hintergrundgesprächen übereinander herziehen hören, um zu begreifen: Hier soll zusammenwachsen, was ganz und gar nicht zusammengehört.

Vordergründig ist Rot-Rot-Grün in Hessen an den SPD-Abweichlern gescheitert, in Thüringen an den rot-roten Rangeleien ums Spitzenpersonal. In beiden Fällen waren die Grünen aber vor allem auf genügend Abstand bedacht, um aus dem rot-roten Debakel unbeschädigt hervorzugehen. Ähnliches gilt für die Linkspartei. Die verwirrenden Ansagen zur Erfurter Ministerpräsidentenfrage waren einer rot-rot-grünen Regierungsbildung so wenig dienlich wie Lafontaines Entschluss, seine Rückkehr ins Saarland anzudrohen. Nicht nur an der grünen Lagerzugehörigkeit sind am Ende dieses Wahljahres die Zweifel gewachsen, sondern auch an der Entschlossenheit der Linken, jenseits der bewährten, SPD-geführten Zweierbündnisse im Osten auch andernorts Regierungsverantwortung zu übernehmen.

Lieber zu zweit als zu dritt

Lange musste sich die SPD dafür beschimpfen lassen, dass sie zur Linkspartei keine Haltung fand. Am Ende zeigt sich: Es liegt nicht nur an der SPD. Eine entschlossene Wende in der Bündnispolitik allein wird die Macht noch nicht zurückbringen. Sicher ist vorerst nur: Überall dort, wo Zweiparteienbündnisse möglich sind, wird es auch dazu kommen.

Ein Modell, wie so etwas über die klassischen Lagergrenzen hinweg funktionieren kann, bietet die Hamburger Konstellation. Dort haben sich CDU und Grüne die wichtigste Zuständigkeit auf Landesebene, die Bildungspolitik, säuberlich aufgeteilt. Die Grünen haben sich bei der Schulpolitik durchgesetzt und dem Koalitionspartner dafür die Hochschulen überlassen. Angesichts der Streitereien über das Kohlekraftwerk Moorburg ist außerhalb der Landesgrenzen fast untergegangen, welche Revolution die Grünen mit der sechsjährigen Grundschule durchgesetzt haben. Das kann nur ermessen, wer sich die Reformresistenz des deutschen Bildungssystems vor Augen führt. Nicht einmal den Amerikanern war nach dem Krieg mit der Autorität einer Besatzungsmacht Vergleichbares gelungen.

Eine bleibende Veränderung des Wahljahres ist das Ende der Sonderrolle für die CSU. Noch an dem Abend, an dem er den Koalitionsvertrag unterschrieb, gab Parteichef Horst Seehofer den Anspruch auf die absolute Mehrheit in Bayern endgültig auf. Seine historische Leistung bestünde dann darin, die CSU mit ihrer Zukunft als Landesverband der CDU versöhnt zu haben.

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13 Kommentare

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  • S
    Sado-Hedonist

    Aha, der Öko-Polizist, der uns Mülltrennung in fünf Eimerchen vorschreibt, und ein Opfer für einen bizarren Gott abverlangend, uns mit 30 durch die Innenstädte schleichen lässt, das sind für Bollmann die Hedonisten.

     

    Und die Betriebsräte, die ihre Kolleginnen und Kollegen vor dem 24/7/365-Zugriff des Kapitals schützen, das sind die verbissenen.

     

    Diesen Hedonismus tausche ich gerne gegen ein wenig verbissen erkämpfte Freizeit ein, mit der ich machen kann, was ich will.

     

    'Latente Fremdenfeindlichkeit', gehts noch? Schon mal im Programm der Partei 'Die Linke' nachgeschaut? Ach so, zählt nicht, nur Papier.

     

    Und wenn der Traumkoalitionspartner Ronald Schill und sein hanseatischer Stammtisch das tun, dann ist das ja auch was gaaanz anderes. Und wenn die CDU dann zum Machterhalt doch lieber mit den Grünen koalieren, wird aus dem Stammtischkoalitionspartner ein supermodernes Ding, geradezu eine Revolution! Da kann sich einfach keiner mehr vor diesem widerlichen Opportunisten Ole von Beust ekeln.

     

    Ich bin beeindruckt, dass man als Journalist der Taz so einen schweren Rucksack voller Ressentiments und Doppelmoral herumschleppen kann.

  • D
    Daniel

    Ich gebe Ralph Bollmann Recht. Zwischen dem Grünen und dem Arbeitermilieu liegen einfach Welten - hier das Gewerkschaftsfest, wo der Bratwurstduft weht, dort der vegane Öko-Falafel auf dem Grüne Fest. Die wesentlichen Wertvorstellungen, die dahinter liegen, sind teilweise diamentral verschieden.

  • MK
    Münchnerin, katholisch, wertkonservativ, deshalb Linksparteiwählerin !

    Da möchte ich mal Marc-Uwe Kling zitieren:

     

    .....doch die Blumenkinder, wer konnt´das ahnen

    gingen den Weg aller Bananen:

     

    heute Grün und morgen Gelb und übermorgen Schwarz...

     

    ....unsere Fahne hängen wir in den Wind, weil wir so ökologisch sind.....

  • ER
    Enrico Radünzel

    Warum wird immer wieder unterstellt, dass die Grünen quasi per Automatismus zum "linken Lager" dazugehören? Wie sich mittlerweile zeigt, ist das keineswegs so automatisch der Fall.

     

    Wer wie ich die Grünen von Beginn an kennt (einige Anfangsjahre war ich Mitglied) und ihre Entwicklung beobachtet hat, wundert sich über die derzeige Entwicklung nicht.

     

    Das Millieu, aus dem sie entstanden sind, war zu großen Teilen ein eher antibürgerliches Protest- und Posthippiemillieu. Die SPD galt als Spiesserpartei und die spätere Zusammenarbeit mit ihr, beginnend in Hessen, eine pure Notlösung. Eine wirkliche Nähe zu Arbeitern, Gewerkschaften und Betriebsräten gab es nicht.

     

    Der Gegensatz zur CDU war aber zu groß und dies vor allem wegen ihrer zur Schau getragenen Konventionalität und Konformität.

     

    Die Wurzeln der Grünen sind also durchaus bürgerlich und dies begründet auch, warum sie heute mit der Linkspartei gar nichts anfangen können. Gleichzeitig hat sich die CDU inzwischen sehr gewandelt, nicht zuletzt dank Frau Merkel.

     

    Somit erscheinen Koalitionen von Grünen und CDU durchaus naheliegend.

  • M
    Mär-chen

    "Die Mär vom linken Lager"? Selbst verständlich gibt es ein linkes Lager: Die Linke und die Nichtwähler (okay, nur ein Großteil der Nichtwähler).

    Auf der anderen Seite das rechte Lager: FDP, CDU, SPD und Grüne. All diese Parteien haben Kurs auf einen Wirtschafts-Darwinismus genommen, oder behalten. Für die, die dabei vom Aussterben bedroht sind, hält man sich einen "Hartz 4"-Zoo.

    Wo bleibt eigentlich der Artikel: "Die Mär von der Mitte"? Denn diese gibt es nicht und genau deshalb werden sich SPD und Grüne entscheiden müssen: Rechts bleiben oder nach links rücken.

  • DA
    Dr. Allesklar

    Eine "Revolution"? Sicherlich nicht. In Berlin gibt es die sechsjährige Grundschule schon viel länger, ganz ohne unsympathische schwarz-grüne Koalitionen.

  • T
    tageslicht

    6-jährige Grundschule eine Revolution? Die gibt es bei uns in Brandenburg schon seit der Wende. Traurig ist eigemtlich nur, dass wir damit bisher ziemlich alleine dastanden.

     

    Ansonsten hat der Autor die Lage der Grünen recht präzise erfasst: Eigentlich nur kleinbürgerliche Großstadt-Yuppies mit hohem Einkommen, die politisch eher der FDP nahestehen.

  • M
    Meik

    Naja, das es zwischen den Cem'istischen Grünen, den Neogrünen, die die Bezeichnung 'Links' allerspätestens seit ihrem Abnicken der Agenda 2010 nicht mehr verdienen, und der Partei 'die Linke' fremdelt, darf nicht verwundern.

  • DL
    Dr. Ludwig Paul Häußner

    Sechjährige Grundschule gleicht einer Revolution!

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    Ich kann Herrn Bollmann nur zustimmen: die sechsjährige Grundschule von schwarz-grün in Hamburg ist eine strukturelle Revolution im deutschen Schulwesen. Damit hat Hamburg und schwarz-grün Leuchtturmfunktion gerade für Länder wie Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und das Saarland.

     

    Eins sechsjährige Grundschule ermöglicht auch eine darauf aufbauende zweigliedriges Schulstruktur.

     

    Wünschenswert und sinnvoll wäre ein daran anschließendes sechsjähriges Aufbaugymnasium, wie es diese in BW bereis gibt und eben eine völlig neu konzipierte - ebenfals sechsjährige - Kollegschule, die allgemeinbildend, profilbildend und berufsbildend ist und damit gleichwertig zum neuhumanistischen Bildungsideal der Gymnasien.

     

    Dr. Ludwig Paul Häußner, Karlsruhe

    www.unternimm-die-schule.de

  • P
    Pissflitsche

    Was ist ein Hedonist? Und was ein Betriebsrat? Die gibt es doch im fortschreitenden Kapitalismus gar nicht mehr, oder doch?

     

    Die Grünen werden die neue FDP, die ihr Fähnchen in den Wind hält und die ehemals Linken der Partei werden herausgedrängt von Latte Machiato Yuppies aus grünen Wohlfühlinseln.

  • F
    Fred

    Mal wieder weitestgehend ein typischer Hetzartikel der mittlerweile durch und durch neoliberalen taz nach dem Motto "Die böse Linke hat immer schuld und die Grünen haben immer Recht".

     

    Ein wahrer Kern steckt allerdings wirklich drin in dem Artikel nämlich dass in Teilen des grünen Wählermillieus mit Verachtung auf die Unterschicht herabgeblickt wird und man sich für was besseres hält.

     

    Da dieses mit Teilen der CDU Wählerschaft und der Wählerschaft der FDP geteilt wird sind Jamaika Koalitionen nur die logische Konsequenz wo dann auch eine Politik für die "besseren feinen bürgerlichen Menschen" gemacht werden kann und der "asozialen faulen Unterschicht" diesen nutzlosen Menschen zweiter Klasse endlich mal gezeigt werden kann wo der Hammer hängt.

     

    Schlimm ist allerdings dass die taz mittlerweile diese Verachtung für sozial Schwache auch übernimmt und durch und durch ausstrahlt.

  • G
    Gusch

    Bitte vergessen Sie nicht: Es ist nicht nur die Kluft zwischen Hedonisten und Betriebsräten. Es ist auch die Kluft zwischen Bündnis 90 und SED.

  • HB
    hedonistischer Betriebsrat

    So eine hirnrissige Einleitung: Es fremdelt zwischen Hedonisten und Betriebsräten...

    mensch taz