Grüne streiten über die A 100: Bürgermeister droht mit Parteiaustritt
Franz Schulz, Bezirksbürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg, will die Grünen verlassen, falls seine Partei die Autobahn mitbaut. Vor dem Parteitag zeichnet sich eine breite Mehrheit für Koalitionsgespräche ab
Der Streit über die Verlängerung der Autobahn A 100 spitzt sich zu. Der grüne Bürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg, Franz Schulz, kündigte seinen Parteiaustritt für den Fall an, dass die Grünen den Weiterbau mittragen. "Wenn die A 100 mit grüner Unterschrift gebaut wird, trete ich aus", sagte Schulz am Mittwoch der taz. Den von der Partei- und Fraktionsspitze mit der SPD ausgehandelten Kompromiss nannte er "eine Mogelpackung". Er sprach sich für eine Volksabstimmung über den A-100-Weiterbau aus. Beim Grünen-Landesparteitag am Freitag wird nach einer taz-Umfrage eine breite Delegiertenmehrheit für Koalitionsgespräche stimmen.
In den Sondierungen hatten sich SPD und Grüne auf einen Kompromiss zur A 100 geeinigt, den am Montag die jeweiligen Landesvorstände absegneten. Er besagt, die Verlängerung der A 100 werde "nicht grundsätzlich aufgegeben". Eine rot-grüne Koalition setze sich aber dafür ein, die für den Bau vorgesehenen 420 Millionen Euro von der Bundesregierung anders nutzen zu können, was mit dem Begriff "Umwidmung" bezeichnet wird.
Die Grünen in Schulz Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg hatten an vorderster Linie gegen die A 100 gekämpft: Der jetzt diskutierte Abschnitt würde an der Elsenbrücke enden, der Autobahnverkehr sich nach Friedrichshain ergießen. Für Schulz bedeutet der Kompromiss, der für ihn nur ein "sogenannter" ist: Wenn die Umwidmung scheitert, müssen die Grünen die Autobahn bauen. Dieses Risiko will er nicht eingehen: "Ich kann doch nicht Vabanque spielen, wenn ich bis zum letzten Moment vor der Wahl gesagt habe: Mit uns gibt es keinen Weiterbau."
In die Diskussion um den A-100-Kompromiss hat sich am Mittwoch ein vermeintlicher "Think Tank" der Grünen eingeschaltet. Unter buendnis100.de bejubeln angebliche Autobahnbefürworter aus den Reihen der Partei den bevorstehenden Baustart samt tickendem Countdown und der Direktdurchwahl ins Büro des Grünen-Fraktionschefs Volker Ratzmann. Der Bau der A 100 sei "jetzt ökologisch sinnvoll für Berlin", heißt es, als Werbepartner werden Hochtief und der ADAC genannt, ein grüner Hummer-Geländewagen fährt durch ein animiertes Banner.
Das Bündnis "dankt euch Wählerinnen und Wählern für euer Vertrauen". Wer die Seite als Satire bezeichne, verhöhne "unsere Arbeit für die A 100 innerhalb der Grünen", schrieben die Autobahnfreunde bei Twitter. Wer hinter der Aktion steht, ist unklar. Immerhin: Der unter dem viel sagenden Namen Lothar Schnell firmierende Seitenverantwortliche sagte gegenüber der taz: "Wir sind denkende Bürger, die sich verschaukelt fühlen." Am Mittwochnachmittag sei schon über 12.000-mal auf die Seite zugegriffen worden. (tla)
Wenn man keinen ehrlichen Kompromiss finde, müsse man die Bürger über eine Volksabstimmung direkt entscheiden lassen, so Schulz. Grünen-Fraktionschef Volker Ratzmann, zentrale Figur der Gespräche mit der SPD, hatte das abgelehnt und die Wahl selbst zur Abstimmung über die A 100 erklärt. Schulz mochte das nicht verstehen. "Beide Parteien würden doch dann geadelt aus dem Konflikt hervorgehen, weil sie damit der Bürgerbeteiligung einen Schub gäben", sagte er.
Beim Landesparteitag am Freitag will der Kreisverband Friedrichshain-Kreuzberg laut Schulz dennoch nicht auf Blockade setzen: Eine breite Mehrheit habe sich am Dienstag für Koalitionsverhandlungen ausgesprochen mit dem Ziel, dort auf eine Volksabstimmung hinzuwirken.
Damit gibt es bislang aus keinem der zwölf Kreisverbände Signale, beim Parteitag Koalitionsgespräche abzulehnen. Zwar standen noch in fünf Bezirken Mitgliederversammlungen aus. Neben dem mitgliederstärksten Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg ging der Trend aber auch in den großen Kreisverbänden Pankow, Charlottenburg-Wilmersdorf, Steglitz-Zehlendorf und Neukölln sowie Spandau und Marzahn-Hellersdorf teils mit großer Mehrheit dahin, Koalitionsverhandlungen zuzustimmen. Das ergab eine taz-Umfrage. In Tempelhof-Schöneberg stand zwar auch noch ein Treffen an, Kreischef Jürgen Roth aber sagte: "Ich gehe davon aus, dass der größte Teil der Delegierten dafür stimmen wird."
Damit ist nicht zwingend eine klare Zustimmung zum Kompromiss zur A 100 verbunden. "Ein Freifahrtschein ist das auf keinen Fall", sagte der Abgeordnete Stefan Ziller aus Marzahn-Hellersdorf. Mehrfach war zu hören, die eigentliche Entscheidung sei jene über einen Koalitionsvertrag, der am Ende der Verhandlungen stünde.
Der Abgeordnete Harald Moritz aus Treptow-Köpenick, der mit der Bürgerinitiative BISS seit Jahren gegen einen Ausbau der A 100 kämpft, neigt ebenfalls dazu, Verhandlungen zuzustimmen. "Dort muss dann aber nachgebessert werden", sagte er. Michael Schäfer, Abgeordneter aus Mitte, hat hingegen wenig Hoffnung, der SPD mehr abzuhandeln: "Man kann ja über den Kompromiss streiten. Klar ist aber: Mehr kriegt man nicht."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Autobranche in der Krise
Kaum einer will die E-Autos
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Abschiebung von Pflegekräften
Grenzenlose Dummheit
Plan für Negativ-Emissionen
CO2-Entnahme ganz bald, fest versprochen!
Human Rights Watch zum Krieg in Gaza
Die zweite Zwangsvertreibung