Grüne kritisieren mangelnde Betreuung: Flüchtling erhängt sich in Abschiebehaft
In Abschiebehaft versuchen viele Flüchtlinge, sich zu verletzen, um gegen die Haftbedingungen zu protestieren. In Berlin hat sich ein Tunesier erhängt. Nun gibt es Kritik an der Betreuung.
Suizidversuche hat es im Abschiebegefängnis in Berlin-Köpenick schon viele gegeben. Mindestens 186 Flüchtlinge haben in den vergangenen 15 Jahren versucht, sich selbst zu verletzen oder das Leben zu nehmen. Viele von ihnen tun sich etwas an, weil sie nicht wissen, wie sie sonst gegen die Haftbedingungen oder ihre drohende Abschiebehaft protestieren können. Eine tatsächliche Selbsttötung gab es in Köpenick nun zum ersten Mal.
Ein 28-jähriger Flüchtling aus Tunesien hat sich am späten Silvesternachmittag in seiner Zelle erhängt. Ein Mithäftling fand ihn mit einer Schlinge um den Hals an einem Fenster hängend. Der 28-Jährige, der erst am Vortag inhaftiert worden war, konnte von einem Rettungssanitäter zunächst zwar reanimiert werden, erlag jedoch am Neujahrstag seinen Verletzungen.
"Haftschock" vermutet der flüchtlingspolitische Sprecher der Berliner Grünen im Abgeordnetenhaus, Benedikt Lux. Lange Zeit bangen die Flüchtlinge vor der Abschiebehaft. Wenn sie dann tatsächlich festgenommen werden, packt sie die Verzweiflung. Für Lux stellt sich die Frage, warum der Gefangene nach seiner kurz zuvor erfolgten Inhaftierung nicht unter besonderer Beobachtung stand. Sein Freitod sei ein weiterer Beleg dafür, dass die ärztliche und psychologische Betreuung in der Köpenicker Abschiebehaftanstalt unzureichend sei, sagte Lux. Auch Martin Stark vom Jesuitenflüchtlingsdienst vermutet, dass der Häftling nach seiner Einweisung nicht ausreichend betreut worden sei. Der Flüchtlingspfarrer hatte am Mittwoch mit den Häftlingen gesprochen, die zuletzt mit ihm zu tun hatten. Viel konnten sie über den 28-Jährigen nicht sagen, nur dass er "psychisch nicht ganz stabil erschien", erzählte Stark. Zwar sei im Sommer eine Psychologin eingestellt worden, die die Flüchtlinge seelisch betreuen soll. Dennoch ist es für Stark ein großes Manko, dass im Abschiebegefängnis keine unabhängige medizinische Betreuung existiert. Den Flüchtlingen werde nur der polizeiärztliche Dienst zur Verfügung gestellt. Warum die Zahl der Inhaftierten von etwa durchschnittlich 60 im vergangenen Jahr seit einiger Zeit auf 115 angesprungen ist, konnte er sich nicht erklären. Die Innenverwaltung von Berlin führt es auf verstärkte Kontrollen der Bundespolizei seit Erweiterung des Schengenraums zurück. Zu dem konkreten Fall wollte sich die Verwaltung nicht äußern.
In Berlin-Köpenick war es der erste Suizidversuch eines Flüchtlings, der zum Tode führte. Bundesweit hat es nach Angaben der Antirassistischen Initiative (ARI) in den vergangenen 15 Jahren aber mindestens 51 Flüchtlinge gegeben, die sich in Abschiebehaft selbst töteten. Die ARI ist die einzige Dokumentationsstelle in Deutschland, die sich darum bemüht, sämtliche Todesfälle von Flüchtlingen in Deutschland festzuhalten. An Verletzungsfällen in Abschiebegefängnissen zählt die ARI knapp 400 Fälle.
Bernd Mesovic von Pro Asyl verweist auf einen Fall im Juni 2007. Ein Kurde aus der Türkei wurde in Haft genommen, obwohl unabhängige Ärzte attestiert hatten, dass er in psychiatrische Behandlung gehöre. "Wir haben häufig den Eindruck, dass die Ausländerbehörden bei den Haftprüfungsterminen zu schlampig sind", sagte Mesovic.
Für mehrere antirassistische Initiativen in Berlin macht der Todesfall "auf erschreckende Weise klar, unter welcher psychischer Belastung die Inhaftierten stehen, die keiner Straftat beschuldigt werden, sondern lediglich eine Aufenthaltsgenehmigung fehlte". Sie wollen am Samstag gegen diese "skandalösen Zustände" vor dem Abschiebegefängnis demonstrieren.
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