: Grüne Welten
■ Über behütete und ausgestoßene Kinder in dieser Welt
Von Horizont zu Horizont erscheinen uns die Landstriche des Regenwaldes unermeßlich. Dort lebt der siebenjährige Arrang: im Regenwald der Insel Borneo. Dieses Buch ist ein liebevoller Appell zu Erhaltung des Regenwaldes. Arrang ist ein Punan. Er lebt weitab aller zivilisatorischen Behausungen. Nur so finden er und sein Dorf die Bedingungen, um mit dem Wald leben zu können. Sie wissen, daß die Regierung schon Umsetzungspläne geschmiedet hat. Vielleicht sind die Fotos von Arrang und seiner Familie und ihrem Waldleben bereits Vergangenheit. Dabei ist es sicher ein Traum vieler Kinder, statt zur Schule zu gehen mit Arrang durch den Wald zu streifen, bewaffnet mit Messer und Pfeilen, Zuckerrohr zu naschen, zu fischen und zu jagen. Wer wird noch an Fernsehen denken, wenn das Leben so spannend sein kann?
Siegert, Veit, Wibus: „Arrang lebt im Regenwald“. Ab 10. Peter Hammer Verlag, 24,80 DM
Reifenbande
Auch José in La Paz lebt anders als elfjährige Jungen bei uns. Er ist Waise und hatte das Glück, von Juan Ramos, dem Besitzer einer Reifenwerkstatt, aufgenommen zu werden. Er muß hart arbeiten. Wenn ihm die Kraft fehlt, läßt er sich was einfallen. So löst er eine Schraube, die seinen Chef zur Kapitulation zwingt. Schon fühlt er sich als Held und läßt den Chef über sein ausgestrecktes Bein stolpern. Unter den Händen seines Chefs schrumpelt sein Heldentum auf Zwergengröße. Doch das schlimmste ist, wenn er als Bierholer mißbraucht wird. Die anderen feiern, und er schuftet. Dann kann er so richtig unglücklich sein bis zur nächsten Heldentat. José liebt das Risiko, und das Risiko ist gut zu ihm. Ein fetziges Buch, daß die gelangweilten Kinder unserer Überflußgesellschaft für einen Augenblick nachdenklich stimmen wird.
Werner Holzwarth: „Werkstatt Yatiyawi: „Ich heiße José und bin ziemlich okay!“ Ab 4. Peter Hammer Verlag, 24,80 DM
Tanz als Droge
Der eigentliche Titel des Buches „Salsavida“ ist „Que viva la musica!“. Der Rhythmus des Salsa entspricht dem Rhythmus des Erzählens. Mit Musik und Drogen geht die blonde Protagonistin auf die Suche nach dem wirklichen Leben. Wie andere vom Zigarettenholen nie mehr nach Hause kommen, beschließt sie spontan, statt Karl Marx das Nachtleben in Cali zu studieren und zu erobern. In der kolumbianischen Stadt Cali ist der Schriftsteller Andres Caicedo zu Hause gewesen. Diese Buch ist eine Hommage an die ausgeflippte Jugend Calis. Nichts zählt für sie außer den durchtanzten Nächten in Kneipen und Bars. Sie nehmen das Leben als große Fete. Sie tanzen die Rumba bis zur Selbstaufgabe. Manche werden berühmt, aber überleben können und wollen sie nicht.
„Die Erfahrung mit dem Tod machte meine Knie so geschmeidig, gab den Tänzern die Einsätze, mir die Konzentration auf die Schuhe, meine und ihre. Zum Fest der Feste geht man, um zu tanzen, den Weg mußt du finden, immer wieder anders zu sein, wer hat behauptet, ich sei zu nichts mehr fähig, wer, daß ich fertig sei, nie zuvor kam soviel mit solcher Kraft aus mir heraus, mit diesem Rhythmus in mir, tanzen und genießen.“
Alle Energie geben sie für das Hier und Jetzt. Ein Morgen wird es nicht geben. Wie seine Heldin weigerte sich der Schriftsteller, erwachsen zu werden. Konsequent beendete er die Jugend mit dem Tod. Er lebte, wie er schrieb. Deshalb ist dieses Buch so etwas wie ein Glaubensbekenntnis. Nur wer dazugehört, kann die Scene beschreiben, wie sie lebte, tanzte, immer auf der Suche nach einer noch besseren Dröhnung, noch besseren Musik. Sie hat keine Skrupel, keine Moral.
Andres Caicedo: „Salsavida“. Ab 12. Peter Hammer Verlag, 24,80DM Gabi Trinkaus
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