Grüne Wargalla über Aktivismus und Parteipolitik: „Ich mache Politik aus Liebe“
Kai Wargalla hat Occupy London gegründet und gegen US-Präsident Obama geklagt. Jetzt will sie ausgerechnet im kleinen Bremen Grünen-Chefin werden.
taz: Frau Wargalla, wie kommen Sie zur Lokalpolitik?
Kai Wargalla: Ich war auch ganz überrascht darüber. Ich war lange Zeit weg, in London und New York…
Da waren Sie auch politisch aktiv.
Ja, aber fernab von allen Parteien. Und als ich wieder hier in Bremen war, habe ich damit auch weiter gemacht – also im Blockupy-Bremen Bündnis, dann war ich auch in Frankfurt dabei. Ich habe hier so meinen Platz gesucht – und bin dadurch bei den Grünen gelandet, von denen ich mich eigentlich ziemlich weit entfernt hatte.
Ja, und wieso sind Sie dann bei denen gelandet?
Ich habe festgestellt, dass mir das Spaß macht – und ich etwas bewirken kann. Das war so nicht geplant.
Was heißt bewirken?
Tatsächlich etwas verändern. Die Welt ein Stück besser machen. Das hört sich jetzt so naiv an, aber genau darum geht es ja, genau deshalb mache ich Politik: um die Welt ein bisschen besser zu machen. Ich denke, das muss der Ansporn sein.
Und dafür gehen Sie in eine Partei?
Viele denken ja: Oh, Parteipolitik, langsam und träge.
31, Angestellte bei Alnatura, ist in Achim geboren, in Bremen aufgewachsen. Nach einem Kulturwissenschafts- und Wissensmanagement BA in Magdeburg und einem kommunikations- und medienwissenschaftlichen Zertifikat in Uppsala, Schweden, hat Wargalla Sustainability Economics in London und in Oldenburg studiert, wo sie derzeit ihren Master ablegt. Als Aktivistin und Campaignerin hat sie 2010 in der Organisation der Justice For Assange-Proteste mitgearbeitet, 2011 bis 2012 die Kampagne für Wikileaks und Chelsea Manning koordiniert, war Klägerin und Mit-Organisatorin im Stop-NDAA-Verfahren gegen den Militärhaushalt und war Gründerin von Occupy London und Organisatorin bei Occupy Wall Street.
Ja, stimmt doch auch?
Das mag sein, aber man kann in und mit einer Partei etwas verändern, gerade hier in Bremen: Das sind kurze Wege, bei den Grünen sind die Strukturen basisdemokratisch – und das macht Spaß.
Allerdings sind die Felder, die Sie hier bearbeiten können, kleiner als in London, wo es darum ging, direkt vor der Börse, einer Herzkammer des Kapitalismus, den Protest gegen den Finanzmarkt zu artikulieren: Ist das ein Rückzug ins Lokale?
Nein, gar nicht. Für mich ist das eine Weiterentwicklung. So groß ist der Unterschied auch gar nicht, wie die Leute oft denken: Man sieht das in der internationalen Presse, Occupy und hier und da.
Aber?
Im Grunde ist die Arbeit sehr ähnlich. Es geht immer darum, dass du vor Ort etwas veränderst und dass du selbst die Veränderung bist. Was anderes kannst du nicht machen. Bevor du von anderen erwartest, dass sie sich verändern, musst du doch auf dich selbst schauen und versuchen, mit gutem Beispiel voranzugehen. Und nichts anderes mache ich ja hier.
Na, die Konflikte sind auf dem internationalen Level aber schon ein wenig bedrohlicher. Durch Occupy London sind Sie auf den Schirm der US-Geheimdienste geraten …
Da müssen Sie die schon selber fragen …!
Naja, wenigstens fanden die US-Gerichte, Sie seien gegen das US-Gesetz über den Militärhaushalt (NDAA) klageberechtigt, weil Sie davon direkt betroffen waren: Das NDAA erlaubt dem Präsidenten, Menschen, die er bedrohlich findet, in Haft zu nehmen, egal welcher Nationalität …
In erster Instanz haben wird die Klage sogar gewonnen. In zweiter Instanz ist sie zwar abgewiesen worden, aber das Gericht hat uns, also Birgitta Jónsdottir aus Island und mir, als den internationalen Klägerinnen, bescheinigt, wir hätten „reasonable fear of detention“, also eine berechtigte Angst, weggesperrt zu werden.
Warum hat es die Klage denn dann abgewiesen?
Weil wir keinen Schaden beweisen konnten.
Obwohl Sie jederzeit vom US-Präsidenten weggesperrt werden könnten, sobald Sie in die USA einreisen?
Nein, doch nicht nur in den USA! Das Gesetz besagt, dass US-Militärs, egal wo, weltweit jeden wegsperren könnten, den der Präsident befiehlt, aufzugreifen.
Einfach so?
Ja: Ohne Gerichtsbeschluss, ohne Urteil, ohne irgendjemandem davon auch nur zu erzählen. Deswegen sind wir ja dagegen vorgegangen. Dann, wie das Gericht, zu sagen: Das muss euch erst mal passieren, damit ihr dagegen klagen könnt, das ist natürlich ziemlich pervers.
Da würden dann die Bremer Grünen doof gucken, wenn ihre neue Landesvorsitzende einfach weggesperrt wird.
Da würde es wenigstens jemand merken. Wenn keiner weiß, dass diejenige oder derjenige weg ist, dann ist das schon kritisch. Und die Anwälte von Barack Obama haben sich vor den Gerichten eben wiederholt geweigert, eine Aussage zu machen, ob dieses Gesetz bisher zur Anwendung gekommen ist, geschweige denn, wie oft. Das ist schon ein starkes Stück: Die haben einfach die Aussage verweigert – trotz Nachfragen der Richter.
In den neuen sozialen Bewegungen haben Sie mit und an sehr modernen und sehr technischen Mitteln gearbeitet, haben Apps für Occupy entwickelt, um sich zu vernetzen: Wie passt das zu einer Öko-Partei?
Das passt. Die Grünen haben sich ja auch in den letzten 30 Jahren weiter entwickelt. Und ich selbst bin ein Kind des Internets, genauso, wie ich mit Straßenprotesten aufgewachsen bin. Internet und Straße zusammen zu bringen, diese Verbindung finde ich total spannend. Ich habe damals Occupy mit einer Facebook- und einer Twitter-Seite gegründet. Und einen Monat später waren wir tausende Menschen, die ein Jahr lang vor der Londoner Börse gecampt haben.
Also vom elektronischen ins reale Leben?
Das eine schließt das andere eben nicht aus: Es ist wichtig, Technik kritisch zu sehen. Aber es ist Quatsch, sie zu verteufeln. Man kann sie nutzen, um viele Leute zu vernetzen und zu mobilisieren. Das ist eine riesige Chance.
Aber vielen Techno-Linken – wie etwa den Akzelerationisten um Armen Avanessian – ist die Bio-Möhre Inbegriff der Weltflucht. Und Sie treten für ganz klassische Öko-Ideen ein.
Das ist richtig. Ich bin geprägt durch den Widerstand gegen die Atomkraft, bei uns zu Hause war grüne Politik immer ein Thema: Schon am Frühstückstisch ging es um irgendwelche Gifte auf Schiffen oder möglicherweise auch mal um die Verlängerung der Linie 1. Gleichzeitig bin ich aber eben auch ein Kind meiner Zeit. Medien- und Netzpolitik ist mir ein Anliegen. Ich habe für Wikileaks in London Proteste organisiert, und ich war auch im NSA-Hauptquartier und habe die Verhandlung von Chelsea Manning verfolgt…
… von der Whistleblowerin, die Dokumente von Kriegsverbrechen der US-Army im Irak veröffentlicht hatte?
So ist es. Wenn Sie gerade die Grünen als so eine Öko-Partei abstempeln, dann ist das nicht falsch, aber zu eng gedacht. Natürlich sind das die Wurzeln: Umweltpolitik, Naturschutz, damit haben wir angefangen, und es ist wichtig, das weiterzuführen. Aber, um zu sehen, was das eine mit dem anderen verbindet, ist es wichtig, zu fragen: Was ist denn der Grundgedanke dahinter. Und das ist aus meiner Sicht ein Gerechtigkeitssinn: Wenn wir sagen Gerechtigkeit, dann heißt das ganz sicher Generationengerechtigkeit – aber eben auch soziale Gerechtigkeit.
Dafür stehen die Grünen?
Ja, dafür stehen die Grünen. Das hat immer eine starke soziale Komponente. Man muss sich dabei aber fragen: Okay, wie kriegen wir das denn hin, in den heutigen Zeiten des Finanzkapitalismus, der darauf beruht, die Menschen auszubeuten und die Natur zu zerstören. Und dagegen steht der Nachhaltigkeitsgedanke, so abgedroschen das Wort auch klingen mag. Dieser Gedanke, der ist dieser Partei einfach inhärent.
Es wäre auch der Link zum Bürgerrechtsgedanken, für den man seinerzeit den Namen zu „Bündnis 90/Die Grünen“ erweitert hatte?
Da war ich nicht dabei. Aber ja, für mich ist das die verbindende Idee.
… in die auch die Agrarwende wieder passt: Die hatten Sie bei Ihrer Bewerbung für einen Listenplatz bei der Bürgerschaftswahl als Ziel benannt. Wieso ist das ein Bremer Politikziel?
Mir ist schon klar, dass Bremen nicht Niedersachsen ist, mit zigtausend Hektar Weideland und Ackerfläche und agrarindustrieller Massentierhaltung. Ich bin aber nicht dafür, immer die Verantwortung abzugeben: Wir haben hier auch Bauern, wir haben auch Tierhaltung, und wenn wir nicht der größte Player in diesem Feld sind, müssen wir uns doch wenigstens zum Verbündeten derer machen, die da mehr bewirken können. Wir müssen das vorantreiben, so sehe ich das.
Auch als Großabnehmer und VerbraucherInnen?
Indem wir konsumieren und einkaufen, bestimmen wir, wie die Landwirtschaft aussieht. Das ist ganz sicher ein guter, aber schwieriger Ansatzpunkt: Sich zu fragen, wie können wir das von der Verbraucherseite aus angehen? Wie können wir den Konsum verändern?
Warum ist das so schwierig?
Die Leute wissen ja Bescheid. Die wissen, die Tiere werden in der Massentierhaltung gequält. Sie wissen, das schadet der Umwelt enorm. Es ist bekannt, dass der Regenwald für den Kraftfutteranbau abgeholzt wird und auch für das Fleisch, das wir importieren. Das Wissen ist ja da.
Aufklärung alleine reicht also nicht?
Nein. Und da muss man also politisch ansetzen: Ein gutes Beispiel war die Kennzeichnungspflicht bei den Eiern, die dem Verbraucher ermöglicht hat, sich zu entscheiden, was er konsumiert. Dass er weiß, wenn er zu dem Produkt greift: Oh shit!, das Ei ist aus der Legebatterie, vielleicht nehm‘ ich das nicht unbedingt. Sondern lieber das Ei mit der 2, der 1 oder noch besser der 0, also aus Bio-Anbau.
Klar.
Das ist transparent. Davon sind wir bei der Fleischproduktion noch meilenweit entfernt: Dabei wäre das ein sinnvoller Ansatz. So etwas ließe sich ja auch von Bremen aus vorantreiben.
Sie sind auf sehr vielen sehr unterschiedlichen Feldern der aktuellen politischen Bewegungen aktiv: der Netz- und Medienpolitik, Kapitalismuskritik, Agrarwende-, der Bürgerrechts- und – die hatten Sie bei Ihrer Bewerbungsrede im Herbst angesprochen – der Lesbian-Gay-Transgender-Bewegung. Haben Sie keine Sorge, den Grünen Angst zu machen?
Weil ich mich für Homosexuellen-Rechte einsetze?
Oh shit, nein, nein, nein, so hätte ich die Frage nicht stellen sollen.
Also Angst haben muss vor mir wirklich niemand, ganz im Gegenteil.
Gemeint war eher: Also, Sie treten halt eher nicht bürgerlich auf, und die Grünen …
Ach – unsere Grünen können damit bestimmt umgehen. Die sind doch alle ganz cool hier in Bremen, ist meine Erfahrung.
Wirklich?
Doch, das ist glaube ich kein Problem. Ich gehöre definitiv eher zum links-grünen Lager, das ist klar. Aber Angst muss man nicht haben vor mir. Und Politik zu machen, ist einfach meine Leidenschaft. Ich mache das aus Liebe.
Aus Liebe?
Ja, so kitschig sich das anhört: Ich mache Politik aus Liebe. Mich treibt das voran. Das ist eine positive Motivation für mich. Ich bin ein sehr optimistischer Mensch, und ich glaube wirklich daran, dass die Welt besser werden kann. Dass die Menschen clever sind, und politisch sind – nur teilweise den Anschluss nicht sehen. Ich kann etwas bewegen, als einzelner Mensch. Sei das in den neuen sozialen Bewegungen, sei es in der Parteienpolitik. Deshalb ist mir so wichtig, dass die Grünen da wieder anschlussfähig werden.
Auch für die NGOs und die noch nicht mal organisierten Grüppchen?
Ja, genau. Das sind ja die Leute, die politisch sind. Die Bock haben, etwas zu machen – und selbst, wenn die keine Lust haben, in die Partei einzutreten, kann man ja mit ihnen zusammenarbeiten. Denn das wollen wir: Eine aktive, politische Gesellschaft, die sich kritisch mit den Gegebenheiten auseinandersetzt, mit dem, was hier in diesem Land passiert.
Dabei kann eine verfasste Politik und eine Regierungsbeteiligung doch auch von Nachteil sein?
Vor- und Nachteile hat alles. Selbstredend ist eine Oppositionsrolle einfacher: In der Opposition kannst du kompromisslos deine Politik vorantreiben. Allerdings hast du viel weniger Möglichkeiten, wirklich etwas zu verändern. Umgekehrt bedeutet Regieren zwar Kompromisse einzugehen. Aber dafür ist der Hebel größer, um wirklich zu gestalten.
Bei den Kompromissen klappen allerdings oft die Messer in den Taschen auf, etwa als es bei den Grünen um den Asylkompromiss ging …
Kompromisse einzugehen, hat auch seine Grenzen. Das ist doch klar: Seine Ideale darf man nicht verraten. Man muss sich darüber klar werden, was verhandelbar ist, und was nicht. Die Grünen-interne Debatte zum Asylverschärfungs-Gesetz hat in Bremen genau das getan. Das war eine für die Partei sehr gute Sache, gerade weil es unterschiedliche Positionen gab. Es gab dafür rechtlich keine Notwendigkeit – aber wir haben als Partei gesagt: Wir wollen das. Wir wollen da mitreden, wir sind schließlich basisdemokratisch. So haben wir angefangen, und das möchten wir auch stärken.
Aber als dann nach dem Beschluss Finanzsenatorin Karoline Linnert darauf hingewiesen hatte, dass es kein für sie bindender Beschluss sei, gab das schon böses Blut. Sie selbst haben auch etwas vergrätzt dazu getwittert …
Ja, natürlich. Das hatte wie ein Signal geklungen, als sollte das nicht so vertreten werden, wie wir es beschlossen hatten. Und dann fragt man sich selbstverständlich: Ja wozu machen wir es denn dann? Das ist doch normal.
Es klang nach Streit.
Man muss sich auch mal streiten. Das ist gelebte Demokratie: Es geht nun mal nicht darum, dass immer alle einer Meinung sind. Die Dinge sind ja auch selbst selten eindeutig. Ich finde, solche Auseinandersetzungen müssten wir viel häufiger führen.
Dann brächte ein Landesvorstand mit Ihnen die Partei in Opposition zu ihren RegierungsvertreterInnen?
Nein. Ich gehe nicht in den Landesvorstand, um gegen irgendjemanden zu sein. Ich bewerbe mich für das Amt auch nicht, um eine persönliche politische Agenda durchzudrücken. Mir geht es darum, der Basis eine laute und deutliche Stimme zu verleihen.
Sie sind aber eher eine Kämpferin?
Ich bin definitiv eher eine Kämpferin. Ich gehe Konflikten nicht aus dem Weg. Ich suche sie aber auch nicht: Wenn sie nicht notwendig sind, gibt es sie halt nicht. Aber ich stehe auch für Sachen ein, wenn ich das muss.
Ohne Angst?
Ich versuche, möglichst angstfrei zu sein. Angst ist ein Konstrukt, das sehr häufig instrumentalisiert wird – in unserer Gesellschaft und unserem Wirtschaftssystem. Das sehe ich auch bei Alnatura: Da besteht schon lange der Wunsch, so etwas wie einen Betriebsrat zu gründen. Aber es traut sich keiner. Weil die Angst da ist.
Wovor?
Die Leute haben Angst, den Job zu verlieren oder die schlechten Aufgaben zugewiesen zu bekommen. Diese Ängste hemmen viele Menschen. Das ist etwas, was ich für mich nicht will. Ich möchte nicht durch eine Angst vor etwas gehemmt werden.
Angst hemmt nicht nur. Sie macht auch aggressiv, etwa gegen Fremde. Sie kanalisiert Energien …
Genau. Angst ist ein Konstrukt. Man hat Angst vor etwas, was noch gar nicht passiert ist. Sich nicht von Angst leiten zu lassen, sich davon frei zu machen und zu überlegen: Was passiert denn gerade hier mit mir? – das ist entscheidend. Sich zu fragen: Was kann ich machen, meine Angst zu überwinden? – damit beginnt für mich Politik.
Und dafür ist – nach New York und London – Bremen eine gute Basis?
Dafür ist Bremen eine gute Basis. Ich glaube, man kann in Bremen viel politisch verändern.
In Bremen für Bremen – oder in Bremen für die ganze Welt?
Am besten natürlich in Bremen und weltweit.
So traditionalistisch, buten un binnen … ?
Ja genau: buten un binnen kann man hier etwas bewirken.
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