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■ Eine „Versorgung“ ist auch bei niedrigen Wachstum möglichGrüne Umverteilung

Der Glaube und der Traum vom ewigen Wachstum haben Schweden in eine Wirtschaftskrise geführt. Nicht nur ist ständiges wirtschaftliches Wachstum unmöglich, wenn eine Gesellschaft ein bestimmtes materielles Niveau erreicht hat. Es ist darüber hinaus selbst für den Fall eines Wirtschaftswachstums keine Selbstverständlichkeit mehr, daß damit ein höherer sozialer Standard oder neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Die Zahl der Arbeitsmöglichkeiten im privaten Sektor der schwedischen Volkswirtschaft ist innerhalb von 30 Jahren um eine Million Stellen zurückgegangen. Mehr als jede vierte Arbeitsmöglichkeit im Land ist für immer verschwunden. Was auch eine ganz normale Folge der Entwicklung der modernen Industriegesellschaft ist. Andersherum: Der Teil der Bevölkerung, der auf dem Weg über öffentliche Löhne und Transfers „versorgt“ werden muß, ist kräftig angewachsen. Unwiderruflich.

Bedroht das unsere Gesellschaft existenziell? Nein. Haben wir die Fähigkeit und die Ressourcen, diese „Versorgung“ aufrechtzuerhalten, ja auszubauen? Auch mit niedrigem oder überhaupt keinem Wirtschaftswachstum? Selbstverständlich haben wir das. Alles andere baut auf einem groben, aber weitverbreiteten Denkfehler. Das, was das Wachstum des öffentlichen Sektors und seine Fähigkeit zu Transfers am Leben hält, ist nicht die Steigerung des Bruttonationalprodukts, sondern schlicht der Teil der Ressourcen, der für öffentliche Konsumtion und öffentliche Aufgaben angewendet wird. Genügend Ressourcen zur Verfügung zu stellen, ist eine Frage politischer Entscheidung.

Dies ist über Steuererhöhungen, Änderung des Steuersystems und Setzung anderer Prioritäten möglich. Wachstum ohne gleichzeitige Steuererhöhungen führt nur dazu, daß der Teil des Kuchens, der auf den öffentlichen Sektor entfällt, bereits über Lohnerhöhungen und neue Vergünstigungen verteilt ist, wenn er auf den Tisch kommt: daß Lehrer, Polizisten und Kommunalbeamte sich eine neue Stereoanlage und noch ein Computerspiel kaufen können. Ressourcen für die Schaffung irgendeines neuen Arbeitsplatzes werden damit nicht freigesetzt.

Der öffentliche Sektor ist keine Bedrohung unserer Volkswirtschaft, wenn er räumlich und zeitlich auf eine Umverteilung setzt und die grundlegenden Bedürfnisse der Bevölkerung wie Vorsorge für Kinder, Alte, Kranke und für Ausbildung optimaler abdeckt. In einer „grünen“ Gesellschaft werden wir ohnehin wesentlich mehr Menschen im öffentlichen Sektor beschäftigen müssen. Dies wird Folge der grünen Steuerreform (sinkende Steuern auf Arbeit, höhere auf Energie, Umweltverschmutzung, aber insgesamt höhere Steuerbelastung) und einer von derzeit 40 auf 35 Stunden gesenkten Regelarbeitszeit sein. In diesem öffentlichen Sektor, in dieser Dienstleistungsgesellschaft werden wir dann auch die neuen Arbeitsmöglichkeiten finden, die wir brauchen. Und die der private Sektor nicht schaffen wird, auch wenn wir ihn noch so sehr subventionieren. Birger Schlaug

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