Grubenleck in Finnland: Uran im Grundwasser
Radioaktiver Klärschlamm sickert in Finnland aus einer Nickelgrube und verseucht Boden und Gewässer. Es ist nicht das erste Leck.
STOCKHOLM taz | Hunderttausende Kubikmeter stark schwermetall- und uranhaltigen Klärschlamms sind seit vergangenem Sonntag aus einem riesigen Klärbecken einer Nickelgrube in Ostfinnland ausgetreten. Die Grube des Betreibers Talvivaara in der Region Kainuu ist berüchtigt: Der größte Nickeltagebau Europas hat mit seinem Betrieb in den letzten Jahren Gewässer und Böden in einem Gebiet von über 100 Quadratkilometern verseucht.
Stündlich strömten anfangs nach Angaben der lokalen Behörden mindestens 6.000 Kubikmeter Giftbrühe aus, derzeit seien es immer noch 2.000 bis 3.000 Kubikmeter pro Stunde. Teilweise leitete der Betreiber die Masse in notdürftig errichtete Auffangbecken, teils aber auch unkontrolliert in Bäche und Seen.
Bis Donnerstag war sogar unklar, wo genau sich die Lecks befinden – erst in der Nacht konnten die Stellen lokalisiert und notdürftig abgedichtet werden. Insgesamt seien bis Freitag nach Schätzungen der Behörden 600 Millionen Liter Klärschlamm ausgetreten. 2008 und 2010 hatte es schon einmal undichte Stellen an dem gleichen Klärbecken gegeben.
Von den Behörden vorgenommene Messungen ergaben Sulfitgehalte, die weit über dem laut Betriebserlaubnis erlaubten Niveau lagen, und Strahlenwerte der stark uranhaltigen Brühe von 100 bis 200 Becquerel pro Liter. Der Grenzwert für Trinkwasser liegt bei 3 Becquerel pro Liter. Von dem hohen Urangehalt des Abwassers war die staatliche Strahlenschutzbehörde STUK so überrascht, dass sie eine umfassende Überwachung des betroffenen Gebiets angeordnet hat.
Die Grube bleibt zu
„Die Situation ist einfach unhaltbar“, erklärte Umweltminister Ville Niinistö, der sich am Donnerstag vor Ort ein Bild von der Situation machte: Erneut seien offenbar Sicherheitsvorschriften und Betriebsauflagen verletzt worden und als Folge schwere Umweltschäden entstanden. Am Donnerstagabend erklärte er bei einer Reichstagssitzung in Helsinki, die Grube bleibe vorläufig geschlossen, bis sich geklärt habe, was diesmal schiefgegangen sei.
Abgeordnete forderten strengere Kontrollen und wiesen darauf hin, dass Talvivaara in den vergangenen Jahren 92-mal Verstöße gegen Betriebs- und Umweltvorschriften nachgewiesen worden seien. Gebessert habe sich aber nichts. Wirtschaftsministerin Heidi Hautala beklagte, Talvivaara zerstöre den Ruf der gesamten finnischen Grubenbranche.
Dabei sitzt der Staat selbst im Glashaus. Er ist zweitgrößter Eigentümer von Talvivaara und hat den Grubenbetrieb genehmigt, obwohl den Behörden von vornherein bekannt war, dass das dort abzubauende Nickelerz einen hohen Urangehalt hat, der beim Abbau zwingend mit frei werden würde. Wie die jetzt infolge des aufgetretenen Lecks vorgenommenen Messungen zeigen, wurden die wahren Strahlenwerte offenbar bis heute verheimlicht.
BewohnerInnen des Gebiets um Talvivaara hatten in der Vergangenheit wiederholt von missbildeten Fischen berichtet und davon, dass sie selbst nach dem Bad in Seen seltsame Hautausschläge bekommen hatten. Greenpeace befürchtet, die strahlende Abwasserbrühe könne im Lauf der Zeit weite Teile des Oberflächen- und Grundwassersystem der Region kontaminieren – bis hin zur Ostsee.
Gruben seien die Zukunft
Doch Genehmigungs- und Überwachungsbehörden fassen die stetig wachsende Grubenindustrie mit Samthandschuhen an. Sie gilt in Finnland als Zukunftsbranche. Talvivaara ist nur ein Fall in einer wachsenden Anzahl von Gruben, deren Betrieb in Ostfinnland und Lappland zu schweren Umweltschäden führen.
Wenn der Umweltminister verspreche, „alle notwendigen Maßnahmen zu treffen, dass sich so etwas nicht wiederholt“, müsse der Grubenbetrieb ganz gestoppt werden, bis die Umweltauswirkungen wirklich gründlich geklärt worden sind, fordert Greenpeace.
Mit solchen Konsequenzen rechnet die Betreibergesellschaft, die auf ihrer Website ihren Produktionsprozess als besonders sauber und umweltfreundlich lobt, aber nicht: Das Leck werde keinen Einfluss auf das Jahresergebnis des Unternehmens haben, beruhigte Unternehmenschef Harri Natunen schon mal die Börse.
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