: Ground Zero im Wohnzimmer
■ „Magazin des Glücks 3. Deponie“ am Thalia in der Gaußstraße
Spannende Themen kurzfristig umsetzen soll die Aufführungsreihe Magazin des Glücks. Die Autorin Dea Loher schreibt dazu kurze Texte, die von Regisseur Andreas Kriegenburg zu einem experimentellen Theaterabend verarbeitet werden. Nach Licht und Hände hatte am Mittwoch Deponie Premiere, der dritte, charmant depressive Abend. Darin geht es um einen Müllfahrer und die Suche nach Verschüttetem.
Kriegenburg stellt einen Mann (Norman Hacker) auf die Bühne, der seine Erinnerungen nicht loswird. Einsam ist er gefangen in seiner Einzimmerwohnung. Vom Bett zum Tisch, weiter zur Spüle und zum Sofa: Jeder Schritt ist Ritual und lähmende Marotte. Der Mann kocht Tee und findet ein Familienfoto aus glücklichen Tagen. Er zerreißt es, doch beim nächsten Mal findet er es unversehrt wieder. Schaltet er den Fernseher ein, erscheint auf dem Bildschirm sein fernsehendes Ebenbild.
Selbst das Bühnenlicht gehorcht nicht den üblichen Regeln. Es beleuchtet schon eine andere Bühnenecke, obwohl der Mann an seinem Spielort noch gar nicht fertig ist. Doch der lässt sich in seinem Trott nicht beirren, nur weil er im Dunkeln steht. Er macht den Plattenspieler an, woraufhin die Bühnenmusik unterbricht und neu einsetzt. Für einen Moment ist die Musik damit handlungsimmanent. Doch sie gleitet gleich wieder ab in den Hintergrund. Das Geschehen scheint auf Repeat gestellt.
Diese Endlosschleife dauert 45 Minuten, so lange muss man auch auf den Text von Loher warten. Nur einzelne Fragmente stößt der Schauspieler hervor, die erst später Sinn ergeben. Durch Hackers Ausstrahlung trägt das Bühnengeschehen trotzdem. In der Zusammenarbeit mit Kriegenburg ist eine Figur entstanden, die komisch und Mitleid erregend zugleich ist. Ihr Alltag wird unbarmherzig seziert. Das drehbare Bühnenpodest unterstreicht die Laborsituation: Ertönt ein Signal, kommen Bühnenwerker und drehen das Podest um 90 Grad – die Perspektive ist zwar neu, doch es verändert sich ungefähr so viel wie beim Umdrehen eines Vogelkäfigs.
Der Text schließlich erlöst den Zuschauer. Für den Mann scheint er eine Qual zu sein. Hacker spricht die Sätze verstört, zerkaut sie. Hier redet ein Traumatisierter. Er erzählt von einer Frau, die an seinem Arbeitsplatz, der Deponie, auftaucht, etwas zu suchen scheint. Ihr Haus ist bei einer Gasexplosion zusammengestürzt, dabei hat sie ihre Familie verloren. Der Mann nimmt sie mit auf den Müllberg, in dem die Überreste von einstigem Leben zu Sedimenten gepresst werden. Es kommt zu einer erneuten Katastrophe. Christian Rubinstein
weitere Aufführungen: Sa 9.2. (Doppelvorstellung mit Magazin des Glücks 1. Licht); So 10.2.; jeweils 20 Uhr, Thalia Gaußstraße
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