Großflughafen Berlin-Brandenburg: Am Boden bleiben
Die Aussichtsterrasse des neuen Hauptstadtflughafens ist beliebt – doch was gibt es dort gerade überhaupt zu sehen? Ein Besuch am BER.
Fliegen ist zurzeit nicht angesagt. Nicht weil es so schädlich fürs Klima ist. Eine Reise in die Sonne gönnen sich zu dieser Jahreszeit auch Leute, die Grün wählen und ansonsten für Umweltschutz sind. Doch zu Hause und damit auch am Boden bleiben ist nun die Devise, die Coronapandemie ist schuld.
Auch wenn das jetzt angesichts der Klimakrise überhaupt nicht politisch korrekt ist: Man hätte dem neuen Großflughafen von Berlin-Brandenburg (BER) einen besseren Start gewünscht. Im November, dem ersten Monat nach der Eröffnung, sind die Fluggastzahlen im Vergleich zum Vorjahresmonat um 91,6 Prozent eingebrochen. Nur noch rund 100 Maschinen pro Tagen heben von Schönefeld ab oder kommen an.
Grau und dunkel ist der Himmel an diesem Mittwochnachmittag. Die Neugier – war es in Wirklichkeit nicht Fernweh? – hat einen rausgezogen vor die Tore der Stadt. Wie würde es sich anfühlen, jetzt die Biege zu machen, die Tristesse hinter sich lassen zu können?
Im ersten Monat nach der Eröffnung des Flughafens Berlin Brandenburg Willy Brandt sind insgesamt 213.000 Passagiere am BER gestartet oder gelandet.
Im November 2019 wurden noch 2.544.833 Passagiere an den beiden Flughäfen Schönefeld und Tegel abgefertigt. Das entspricht einem Rückgang um 91,6 Prozent.
Wegen der unvermindert hohen Infektionsrate wird mit einem Shutdown in der Weihnachtszeit gerechnet. Es ist könnte sein, dass das Flugaufkommen dann noch weiter abnimmt. (taz)
Am Stand von Starbucks drehen die Verkäuferinnen Däumchen. Ein Mann vom Putzdienst, orange Kleidung, gelbe Handschuhe, steht mit gezückter Desinfektionsflasche an einer der kaum frequentierten Rolltreppen, spritzt ab und zu ein paar Tropfen auf das Gummi des Handlaufs und wischt mit dem Lappen nach. „We remind you, please keep your distance“, erinnert eine säuselnde Frauenstimme aus dem Lautsprecher daran, Abstand zu halten und eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen.
Ein Pfeil weist zum „Raum der Stille“ – aber ist das hier nicht alles schon ein Raum der Stille? Ein mit dunklen Klinkern verkleideter Raum in Pyramidenform empfängt einen. Durch eine Milchglaskuppel an der Decke kommt spärlich Licht, dahinter tun sich weitere Räume auf, alle gleich düster. Eine Schale ohne Wasser, eine Gebetskette, ein Kreuz, kein Mensch ist hier. Statt Stille – Rauschen der Klimaanlage.
Von einer verglasten Brücke, die zur Besucherterrasse führt, kann man in die Markthalle gucken. So heißt der Duty-free-Bereich hinter dem Check-in. Duft von Kosmetikartikeln steigt herauf. Wie Spielzeugfiguren sehen die in der Markthalle wartenden Flugpassagiere von hier oben aus. Viele sind es nicht. Auch die sechs Polizisten in der Passkontrolle sehen so aus, als langweilten sie sich.
Die Tür zur Terrasse öffnet sich automatisch. Genauer gesagt: Sie fliegt vor einem auf und gibt eine grandiose Sicht auf das Rollfeld frei. 80.000 Menschen haben die Terrasse seit der Eröffnung des BER besucht. Bis Ende des Jahres ist die Aussicht kostenlos, dann kostet sie 3 Euro.
Es dämmert. Der Blick geht nach Westen, bis zum Horizont. Wäre es nicht so grau und diesig, würde man dort jetzt die Sonne untergehen sehen. Zwischen blinkenden Lichtern, Flügel an Flügel sind die Maschinen neben dem Rollfeld aufgereiht. Easy Jet, Lufthansa, Eurowings. Eine einizige, eine portugiesische TAP, schiebt sich langsam Richtung Startbahn. „Berlin in Depression“, sagt eine Frau mit schwäbischem Dialekt, eine der wenigen Besucher an diesem Nachmittag auf der Terrasse. Sie studiere in Berlin und habe sich gedacht: „Was kannst machen bei diesem Wetter? Fährste mal raus.“
Die einzige Schlange im ganzen BER ist die vor dem Covid-19-Testzentrum. Sie rechne mit bis zu zwei Stunden Wartezeit, sagt eine Spanierin, die in zwei Tagen nach Hause fliegen will und dafür einen negativen Testnachweis braucht. Eine Rentnerin mit frisch gefärbten Strähnchen im Haar will vier Wochen nach Fuerteventura fliegen. Keine Angst, sich im Urlaub anzustecken? „Nee, Berlin ist viel gefährlicher“, sagt sie. Auch Leute ohne Reisepläne stehen an. Eine 14-Jährige will sich testen lassen, weil es in ihrer Klasse einen Coronafall gab.
Das Tourist-Welcome-Center ist leer. „Touristen? Null!“, der Angestellte lacht bei dieser Frage. Berliner seien die einzigen Gäste. Die Lagepläne vom Flughafen seien sehr begehrt, inzwischen aber vergriffen.
Der Zufall will es, dass man dann doch einen Touristen trifft. Genauer gesagt handelt es sich um einen 36-jährigen Zigarrenhändler aus Kanada. Er ist gerade gelandet, stellt seinen Rucksack auf die Bank und erzählt, wie entspannt der siebenstündige Flug war. Freie Plätze, keine quengelnden Kinder, kein Nachbar, der die ganze Zeit hustet, Service auf das Notwendigste reduziert. Nur das Schlafen mit Maske sei nicht angenehm. Beim Aufwachen fühlte er sich durstig und nicht sonderlich erholt.
Vielleicht schiebt man den Traum vom in die Ferne Fliegen besser noch ein bisschen auf. Mit der S-Bahn geht es zurück nach Hause.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs