Großfahndung nach Randale bei der Schülerdemo: Polizei studiert Schülerspucke
Der Staatsschutz zieht bei der Ermittlung gegen Schülerdemonstranten alle Register: Mit Fotos will die Polizei in den Schulen nach Tätern fahnden, Aufkleber sollen auf DNA-Spuren untersucht werden. Derweil besuchen Schüler die wieder aufgebaut Austellung.
Die Schulen müssen sich auf Besuch vom Staatsschutz gefasst machen. Ermittelt wird mit Hochdruck nach Personen, die am 12. November die Austellung zur Judenverfolgung in der Humboldt Universität ( HU) beschädigt haben sollen. Unter Vorlage von Fotos will die Polizei nun versuchen Tatverdächtige in den Schulen identifizieren zu lassen. Das Amtsgericht habe einem dem Antrag der Staatsanwaltschaft auf Öffentlichkeitsfahndung zugestimmt, bestätigte ein Justizsprecher am Montag.
Paul schaut sich im Foyer der Humboldt-Uni um. Vor zwei Wochen war er schon einmal hier. Da drangen rund 1.000 Schüler am Rande einer Demonstration in die Uni ein. Und die hier hängende Ausstellung "Verraten und verkauft - Jüdische Unternehmen in Berlin 1933-1945" wurde zerstört. "Ich habe den Raum ganz anders in Erinnerung", sagt Paul. Die Ausstellungsbanner, die längst wieder von der Decke hängen, habe er damals gar nicht wahrgenommen.
13 von 16 Papiertafeln wurden bei der Demonstration für bessere Bildung zerstört. Die Schüler haben sich längst dafür entschuldigt - trotzdem bleibt das Unverständnis auf allen Seiten. Auf Initiative der Landesschülervertretung besuchte daher am Freitag eine Gruppe von Demonstrationsteilnehmern die Macher der Ausstellung.
Christine Kühnl-Sager ist noch immer über die Wut der Demonstranten schockiert. "Kalte Wut ist gut, um Ziele zu erreichen", sagt die Mitarbeiter des Verein "Aktives Museum Berlin", der die Ausstellung mitgestaltet hat. Aber wie es zu solch einer "blinden Wut" gekommen ist, kann sie nicht verstehen.
"Es war so voll, dass nicht erkenntlich war, dass hier überhaupt eine Ausstellung ist", erzählt einer der Schüler. Er ist groß, trägt eine Brille und wirkt keinesfalls dumm. Paul spricht von einem unbekannten Raum, den man betreten habe. "Ich wusste nicht, was jetzt passiert. Alle sind nach oben gestürmt."
"Warum hat denn niemand eingegriffen?", will Kühnl-Sager wissen. "Als ich das Gebäude verlassen habe, war hier noch nicht so eine Verwüstung zu sehen wie später in den Medien", sagt der Junge mit Brille. Micha Schmidt von der Landesschülervertretung beklagt, dass er gar nicht habe eingreifen können. Die Polizei habe ihn auch als Mitglied der Demoleitung nicht mehr in die Uni gelassen. Das alles sei keine Entschuldigung, betont Schülervertreter Lee Hielscher. "Wir haben versucht rauszubekommen, wer verantwortlich ist. Aber inzwischen gibt es so viele verschiedene Versionen, dass wir nicht sagen können, welche stimmt".
Die Ausstellung über die jüdischen Unternehmer basiert auf einem Forschungsprojekt von Christoph Kreutzmüller. "Wichtig ist, dass wir jetzt darüber reden", sagt der wissenschaftlicher Mitarbeiter an der HU. Viele der jüdischen Familien, deren Geschichten er vorgestellt habe, hätten schockiert nachgefragt, ob auch ihre Tafel betroffen sei.
Im Gästebuch der Humboldt-Uni spiegelt sich der Ablauf der Geschehnisse wider. Erst findet sich dort viel Lob für die Ausstellung, dann haben die Demonstranten ihr Zeugnis hinterlassen: "Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Bildung klaut", steht da in großen Buchstaben. Darüber klebt ein "Gegen Nazis"-Aufkleber der Antifa. Eine Seite weiter ist ein gedrucktes Schreiben der Hochschule eingeklebt, die sich bemühen will, "die Schäden schnell zu beseitigen". Es folgen lange Aufsätze, die sich mit der Zerstörung beschäftigen.
Schüler und Ausstellungsmacher vereinbaren schließlich, die Debatte in die Schulen zu tragen. "Denkbar wäre, dass die Schüler selbst Tafeln zu jüdischen Unternehmern zur Ausstellung hinzufügen können", regt Kühnl-Sager an. "Das Schöne an der Ausstellung ist der lokalgeschichtliche Ansatz", sagt Kreutzmüller. "Jeder hat sofort einen persönlichen Bezug zu einer der Geschichten, weil die jüdischen Geschäfte in allen Stadtteilen waren". Auch Paul erkennt eine Straße wieder. "Das ist schon irre", sagt er begeistert. "Da gehe ich jeden Tag vorbei und habe nichts davon gewusst". JANINE LAMANN
Das ist noch nicht alles. "Wir werden alle Ermittlungsmöglichkeiten ausschöpfen", kündigte der Leiter des Landeskriminalamts, Peter-Michael Haeberer, gegenüber der taz an. Im Klarext: Sogar am Tatort gefundene DNA -Proben werden ausgewertet. Insbesondere "Spuckies" kämen als Spurenträger in Betracht. Gemeint sind Aufkleber, die von Demonstranten auf Ausstellungsexponate geklebt wurden.
Nach einem Protestmarsch für bessere Bildung hatten rund 1.000 SchülerInnen kurzfristig die Humboldt-Universität (HU) besetzt und dabei auch Tafeln einer Ausstellung über jüdische Unternehmen in der NS-Zeit beschädigt. Während HU-Präsident Christoph Markschies die Taten als "planmäßige Aktion" und "antisemitischen Akt" verurteilte hatte die Polizei mehrfach betont, keine Anhaltspunkte für eine gezielte Zerstörung der Gedenkausstellung zu haben.
Am Montag beschäftigte sich der Innenausschuss des Abgeordnetenhauses mit dem Thema. Innensenator Ehrhart Körting (SPD) betonte erneut, dass es keine Anhaltspunkte für eine gezielte Aktion gebe. Das sei aber kein Anlass das Geschehen zu verharmlosen.
Dass Polizeipräsident Dieter Glietsch eine "breiten Öffentlichkeitsfahndung" ankündigte, zeigt: Die Polizei ist von einer Verharmlosung weit entfernt. LKA-Chef Haberer erläuterte die Pläne nach der Innenausschuss-Sitzung gegenüber der taz wie folgt: Gedacht sei an Fahnungsplakate wie jene, mit denen die Polizei in den letzten Jahren im Anschluss an 1.-Mai-Krawalle nach Steinwerfern gesucht habe. In Ermangelung eigenen Dokumentationsmaterials - die Polizei war zum Zeitpunkt der Beschädigungen nicht in der Universität - werde der Staatsschutz auf das ins Internet gestellte Filmmaterial von Spiegel TV zurückgreifen. Von den Szenen, die zum Zeitpunkt der Zerstörung der Ausstellung aufgenommen worden seien, könne man Fotos ziehen, so Haeberer. Ihm zufolge hat sich von den 1.000 Schülern, die die Uni stürmten, nur 10 bis 20 an der Ausstellung vergriffen. Ob es sich wirklich um Schüler oder einen anderweitigen Personenkreis handelt, sei Gegenstand der Ermittlungen.
Zu der Plakataktion kommt es nun doch nicht. Die Fahndung werde auf kleiner Flamme gekocht, sagte ein Justizsprecher. Soll heißen: Bildvorlage in den Schulen ja - aber keine Steckbriefe an Litfasssäulen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“