■ Große Koalition verabschiedet Großen Lauschangriff: Rauhe Sitten am Stammtisch
Gläubige Katholiken setzen auf eine Pilgerfahrt nach Lourdes, die Innenpolitiker in Bonn auf den Großen Lauschangriff: Der pure Glaube soll die wahren Wunder bewirken. Nach Jahren heftiger Kontroversen haben Union und SPD jetzt erneut eine Grundgesetzänderung beschlossen. Nach der Amputation des Asylrechts wird die Unverletzlichkeit der Wohnung zur Disposition gestellt. In Kürze, voraussichtlich am 6. Februar, soll die Schnüffelvorlage auch im Bundesrat abgesegnet werden.
Die Korrekturen, die in den letzten Wochen nach massiven Protesten von Seelsorgern, Ärzten, Rechtsanwälten oder Journalisten vorgenommen wurden, halten nicht, was sie versprechen. Die Erfahrung lehrt, daß sogenannte Beweisverwertungsverbote realistisch nicht durchzusetzen sind.
Es ist nur eine Frage der Zeit, wann diese Regelungen gekippt werden – weil die konspirativen Strukturen der Organisierten Kriminalität das einfach erforderlich machen. Dabei ist die Effektivität des Lauschangriffs selbst unter den Sicherheitsbehörden heftig umstritten.
Staatsanwälten und Ermittlern werden nun dennoch die Wanzen in die Hand gegeben, mit denen sie die Privatwohnungen verdächtigter Personen bestücken dürfen. Der Absicht stand bisher das Grundgesetz entgegen. Deshalb wird es nun weiter demontiert. Nach Artikel 16 („Asyl“) ist jetzt Artikel 13 („Unverletzlichkeit der Wohnung“) dran.
Ein Trend hat sich über die Jahre durchgesetzt: Der staatliche Einbruch in die Privatsphäre seiner BürgerInnen, das heimliche Aufzeichnen von Gesprächen in Privaträumen, wird zum Allheilmittel im Kampf gegen organisierte Kriminelle verklärt.
In der Union sowieso, aber auch in der FDP haben die Widerständler längst kapituliert, und in der SPD sieht es nicht besser aus. Vergessen hat die SPD ihren Wiesbadener Parteitagsbeschluß von 1993, der die Einführung des Lauschangriffes an weit enger gezogene rechtliche Grenzen binden wollte, als sie jetzt in der Vereinbarung zwischen SPD und Koalition getroffen wurden. Der Stammtisch hat sich durchgesetzt, und der SPD-Verhandlungsführer Otto Schily gibt sich auch noch hochzufrieden. Ein vernünftiger und wohlabgewogener Kompromiß sei erreicht worden.
Eine der treibenden Kräfte für den Grundrechtsabbau war Niedersachsens Ministerpräsident Gerhard Schröder. Immer wieder gerierte er sich als ein zu allem entschlossener Kämpfer gegen die Kriminalität. In Hamburg ließ die SPD bei den letzten Wahlen den britischen Erfolgsspruch „Law and order is a Labour issue“ plakatieren – in Bonn wurden gleichzeitig frühere Grundsätze und Bedenken gleich im Paket über Bord geworfen. Die Partei wurde zum Gefangenen der Populismen ihrer Vorleute. Für die Koalition war es deshalb ein leichtes, die Sozialdemokraten in Fragen der Inneren Sicherheit vor sich herzutreiben.
Der weitere Weg ist vorgezeichnet, es wird eine Wiederholung: Die CSU fordert über den Lauschangriff hinaus den Spähangriff, und der Bonner Fraktionschef Rudolf Scharping, der einst im Beisein von SPD-Chef Lafontaine den restriktiven Parteitagsbeschluß in Sachen Lauscherei bestätigte, befürwortet mittlerweile den weit über den Lauschangriff hinausgehenden Einsatz auch von Videoüberwachung in Privatwohnungen. Ist das große Lauschen erst einmal durch – auch im Bundesrat ist ein Veto nicht zu erwarten –, dann kann die Union die SPD erneut vor sich herscheuchen, dieses Mal mit dem Spähangriff. Am Stammtisch herrschen eben rauhe Sitten. Wolfgang Gast
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