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GroßbritannienWachablösung in Downing Street

Gordon Brown ist seit Jahren an allen Regierungsentscheidungen beteiligt. Als neuer Premierminister darf er deshalb auf keine Nachsicht hoffen

Gilt als mürrisch - der neue britische Premier Gordon Brown. Bild: dpa

Er wohnt schon seit zehn Jahren in der Downing Street Number 10, dem offiziellen Amtssitz des Premierministers, doch jetzt ist er auch der rechtmäßige Mieter: Gordon Brown übernimmt am Mittwochnachmittag das Amt des britischen Premierministers von Tony Blair. Nach dem Wahlsieg der Labour Party 1997 tauschten die beiden die Häuser, weil Blair eine größere Familie hat und die Nummer 11, die Residenz des Schatzkanzlers, geräumiger ist.

Es ist das erste Mal seit mehr als 50 Jahren, dass jemand britischer Premier wird, ohne sich der Wahl des Volkes oder wenigstens der eigenen Partei gestellt zu haben. "Es gibt mehr Wettbewerb um den Job als Manager einer Papierfabrik in Slogh als für das wichtigste Amt im Land", lästerte der Telegraph. Der Independent schrieb: "100.000 Parteimitglieder hätten gerne an der Debatte um die Zukunft teilgenommen. Jetzt können sie in Anbetracht dieser Show der Einigkeit lediglich Beifall klatschen."

Einig waren sich die Abgeordneten vor allem in ihrer Angst, einen Gegenkandidaten aufzustellen, weil das der eigenen Karriere geschadet hätte. 313 von 352 Abgeordneten hatten Brown im Mai nominiert, das Amt durfte er aber erst sechs Wochen später antreten, weil Blair es so wollte. Der Guardian meinte: "Blairs ausgedehntes 'Wann-werde-ich-abtreten-Theater' ist nicht nur eine Beleidigung für die Labour Party, sondern für die gesamte Wählerschaft." Damit verspiele man den Respekt für demokratische Institutionen, wie die geringe Wahlbeteiligung zeige.

Wenn morgen allerdings gewählt würde, gewänne Labour erneut. Eine Umfrage im Observer ergab am Sonntag, dass die Regierungspartei zum ersten Mal seit acht Monaten knapp vor den Tories liegt. Bei der Frage nach dem besten Premier ist die Sache klar: 40 Prozent finden, Brown sei kompetent. Über den Tory-Chef David Cameron sagen das nur 22 Prozent.

Brown gilt aber als mürrisch. "Smile and the world smiles with you, frown and youre Gordon Brown", lautet ein Sprichwort: "Lächle, und die Welt lächelt mit dir. Blicke finster drein, und du bist Gordon Brown." Cherie Booth, die Gattin Tony Blairs, kann Brown nicht ausstehen. Sie hat ihren Mann immer wieder aufgefordert, seinen Schatzkanzler zu entlassen, wenn er sich ungehobelt benommen hatte, so berichtet ein Freund der Familie.

Dass sich Blair und Brown nicht mögen, ist kein Geheimnis. Stephen Wall, EU-Berater der Regierung, sagte: "Die Mitarbeiter in Blairs Amtssitz kamen sich vor wie Kinder in einem zerrütteten Elternhaus." Vor sechs Jahren bot Blair seinen Rücktritt an, falls Brown in Gegenzug dem Beitritt zum Euro zustimmte. Brown lehnte ab: "Erstens wäre das falsch, und zweitens bricht er sein Wort ja doch wieder."

Diesmal hielt Blair aber Wort, und Gordon Brown kann nun sein Kabinett vorstellen. Einen oder zwei Posten will er an Leute außerhalb der Labour Party vergeben. Paddy Ashdown, der frühere Chef der Liberalen Demokraten, lehnte das Amt des Nordirlandministers jedoch ab. Weder bei den Liberalen noch bei den eigenen Hinterbänklern ist Browns Vorhaben auf Begeisterung gestoßen. Liberalenchef Menzies Campbell verbot den Parteimitgliedern, auch nur über ein Amt in Browns Regierung nachzudenken. John McDonnell vom linken Labour-Flügel sagte: "Er hätte wenigstens den Anstand haben können, seine Kollegen und die Partei bei solch einer prinzipiellen Entscheidung zu konsultieren. Viele hätten ihn bei seiner Kandidatur vielleicht nicht so schnell unterstützt, wenn sie seine Pläne gekannt hätten." Und Theresa May von den Tories höhnte: "Auf den Labour-Hinterbänken scheinen sich so wenig Talente zu tummeln, dass er Kabinettsposten wie geklaute Uhren anbieten muss."

Brown will ab sofort ein Feuerwerk an Aktivitäten starten, um zu beweisen, dass er für frischen Wind sorgen kann. Eins seiner Flaggschiffe sank allerdings schon nach dem Stapellauf: Er wolle schärfer gegen den Terrorismus vorgehen, sagte Brown neulich. Unter anderem will er abgehörte Telefongespräche vor Gericht als Beweismittel zulassen, und Terrorismus- Verdächtige sollen auch nach Anklageerhebung von der Polizei verhört werden dürfen. Am nächsten Tag musste sich Blair dafür bei David Cameron entschuldigen - der hatte nämlich sämtliche Ideen, die Brown als eigene Geistesblitze verkaufte, dem alten Premierminister in einem Gespräch vorgeschlagen.

Priorität will Brown auch auf die Bereiche Bildung und Gesundheit legen. "Olle Kartoffeln", winkte die Daily Mail ab. In der Außenpolitik müsse man von Fehlern lernen, sagt Brown und meint den Irak. So soll es dem Parlament künftig vorbehalten bleiben, Kriegsentscheidungen zu treffen. Außerdem versprach Brown bei seiner überraschenden Stippvisite im Irak vorige Woche, dass die Geheimdienste ab sofort "unabhängig vom politischen Prozess" arbeiten dürfen. Damit spielte er auf die Dossiers an, in die der Geheimdienst vor dem Irakkrieg auf Druck der Regierung Massenvernichtungswaffen einbauen musste.

Der Druck kam auch von Brown. Er war an allen Regierungsentscheidungen der letzten zehn Jahre beteiligt. Deshalb ist seine Schonfrist bei Wählern und Medien weit kürzer als die von Blair nach dessen Amtsantritt 1997. Das könnte Brown dazu verleiten, eine Blitzwahl auszurufen, da die Meinungsumfragen zurzeit günstig für ihn sind. Einer von Browns Beratern steckte dem Guardian, dass Brown mit der Drohung, schnell Neuwahlen anzusetzen, Druck auf Cameron ausüben will, da der noch damit beschäftigt sei, die Tories rundzuerneuern, um sie für die Wähler attraktiver zu machen.

Für den Fall der Fälle ernannte Brown am Sonntag sogar den bisherigen Transportminister Douglas Alexander zu seinem Wahlkampfleiter. Cameron ließ sich dadurch nicht bluffen. Er forderte Brown auf, Farbe zu bekennen. "Brown hat kein Mandat für das Amt des Premierministers", sagte er. "Wenn er es ernst meint, dass er auf die Menschen in diesem Land hören will, muss er sofort Neuwahlen ausrufen."

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