Großbritannien Seit Blair den freien Eintritt bei Museen wieder einführte, sind die Besucherzahlen stark gestiegen: Caravaggio in der Pause
Jeff und Rhonda Anslow gehen gern in Irlands Nationalem Botanischen Garten spazieren, wenn das Wetter es erlaubt. Der Garten im Norden Dublins wurde 1795 angelegt, er beherbergt 20.000 Pflanzen und mehrere viktorianische Gewächshäuser. Ludwig Wittgenstein hat im Winter 1948/49 viele Tage im Palmenhaus verbracht und geschrieben.
„Seit ich auf Rente bin, haben wir nicht mehr viel Geld“, sagt Jeff, „aber der Eintritt ist frei.“ Und nicht nur das: Die Anslows zahlen auch für die Fahrt zum botanischen Garten nichts, denn Rentner können sämtliche öffentlichen Verkehrsmittel in ganz Irland kostenlos benutzen. „Sonst könnten wir uns das gar nicht leisten“, sagt er.
Da der Winter – er beginnt nach dem keltischen Kalender am 1. November – bisher außergewöhnlich mild war, besuchten sie den Garten noch am vorigen Wochenende. „Es war wohl das letzte Mal in diesem Jahr“, meint Rhonda. „Demnächst geht es in die staatlichen Museen und Galerien in der Innenstadt.“
Auch dort ist der Eintritt frei. Das Nationalmuseum, das heute in der Kildare Street untergebracht ist, wurde 1877 gegründet. Das Gebäude im palladianischen Stil erinnert an Schinkels Altes Museum in Berlin. Aufgrund seiner Lage im Zentrum wird es rege genutzt. „Zur Mittagszeit kommen viele Menschen aus den umliegenden Büros“, sagt Jeff. „Viele haben ein Lieblingsobjekt, das sie sich mehrmals in der Woche anschauen, bevor sie zum Lunch ins Museumscafé gehen.“ Andere besuchen die Nationalgalerie, nur wenige Schritte vom Museum entfernt, und setzen sich in ihrer Mittagspause vor den riesigen Caravaggio.
„Früher, als wir viel verreist sind, haben wir in vielen Ländern Museen und Galerien besucht“, sagt Rhonda, „aber bis auf die sehr berühmten, wo die Menschen anstanden, waren sie fast leer. In Irland werden sie dagegen gut genutzt.“ Der freie Eintritt ist ein Überbleibsel aus viktorianischen Zeiten, er war Teil der anglo-amerikanischen „Kultur der Selbstvervollkommnung“. Auch das Britische Museum in London sowie die National Art Gallery und die Smithsonian Institution in Washington nehmen keinen Eintritt, ebenso wie viele öffentliche Einrichtungen im übrigen Vereinigten Königreich und in Australien. „Ein gutes und progressives anglophones Ideal“, bezeichnet es der irische Kolumnist Fintan O’Toole.
Aber in Irland ist es bedroht. Die Regierung hat den Institutionen das Geld drastisch gekürzt, weil sie es für die Rettung der Banken benötigte. Manches Museum und manche Galerie erwägt, Eintritt zu erheben. Das wäre eine Katastrophe, findet O’Toole, es gehe um Gleichheit. „Jüngere und ärmere Leute würden von Eintrittsgebühren abgeschreckt“, sagt er. „Wenn man zahlen muss, bleibt es bei einem einmaligen Besuch, und man rennt herum, um alle Höhepunkte zu sehen.“ Ist der Eintritt kostenlos, kann man sich zehn Minuten lang ein einziges Objekt ansehen und am nächsten Tag wiederkommen.
Die damalige britische Premierministerin Margaret Thatcher, für die Marktwirtschaft alles und Kultur nichts war, schaffte den freien Eintritt in Britanniens Museen und Galerien in den Achtzigerjahren ab. Die Besucherzahlen halbierten sich. Tony Blairs Labour-Regierung führte den kostenlosen Eintritt 2001 wieder ein, die Besucher strömten erneut in die Museen: Die Zahlen stiegen innerhalb von zehn Jahren von 7 auf 18 Millionen im Jahr – das ist eine Steigerung von mehr als 150 Prozent.
Für Irland gelte, dass die Objekte schließlich nationales Kulturerbe seien, argumentiert O’Toole: „Kassiert man Eintrittsgeld, käme das einer Enteignung gleich.“ Jeff und Rhonda Anslow stimmen ihm zu. Um die Finanzkrise der Institutionen zu lösen, müsse man sie adäquat mit öffentlichen Mitteln finanzieren. „Bei den Banken hat man doch auch nicht gezögert“, sagt Jeff. „Und was ist für unsere nationale Identität denn wichtiger: eine Bank oder ein Museum? Geld oder Kultur?“ Ralf Sotscheck
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen