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■ Großbritannien: Je stärker die Regierung, desto bunter die OppositionGrüne Kampagne gegen Gentechnologie lehrt New Labour das Fürchten

„Es fühlt sich an wie 1989“: Margaret Wright, Spitzenkandidatin der englischen Grünen in der Region Ostengland, wittert den Durchbruch. Vor zehn Jahren hatte die Ökopartei in Großbritannien aus dem Stand um die 15 Prozent erzielt, wegen des britischen Mehrheitswahlrechts aber keinen einzigen Sitz im Europaparlament errungen. Jetzt ist das Wahlrecht geändert, und nun würden 12,5 Prozent reichen, um Wright nach Straßburg zu schicken.

In keinem Land der EU werden die Europawahlen so große Veränderungen bewirken wie in Großbritannien. Statt des bisherigen einfachen Mehrheitswahlrechts gilt ein Verhältniswahlrecht auf Regionalebene. Großbritannien ist in elf Regionen mit jeweils mehreren Sitzen aufgeteilt. Um beispielsweise einen der acht Sitze in Ostengland zu bekommen, muß eine Partei ein Achtel der Stimmen (12,5 Prozent) erreichen. Sollten einige kleine Parteien noch darunter bleiben, reichen hier eventuell auch weniger Stimmen.

Zum ersten Mal in der britischen Geschichte haben also kleine Parteien Chancen. Sicher ist, daß Labour massiv verliert: 1994 hatte die jetzige Regierungspartei 63 der 81 Wahlkreise gewonnen, was beim Verhältniswahlrecht nicht zu wiederholen ist. Schwierigkeiten haben auch die oppositionellen Konservativen, die aufgrund ihres Streits um den Euro Verluste in allen Richtungen befürchten müssen. Da die Parteiführung für die EU und gegen den Euro ist, hat sich eine „Pro-Euro Konservative Partei“ abgespalten, die für die EU und für den Euro ist, während am rechten Rand die „United Kingdom Independence Party“ gegen den Euro und gegen die EU Stimmung macht.

Zulauf von Blair-geschädigten Labour-Wählern erhalten die Grünen, die schon bei den Kommunalwahlen vor einem Monat durchschnittlich auf 7 Prozent kamen. Neben der Ablehnung des Kosovo-Krieges und des Euro treffen sie mit einem Thema den Nerv der Gesellschaft: die Ablehnung genmanipulierter Nahrungsmittel. Großbritannien ist durch den Enthusiasmus New Labours zum europäischen Pionier der Gentechnologie in der Lebensmittelindustrie geworden – die Verbraucher sind aber mehrheitlich dagegen.

„Das Genthema war das Megathema“, resümiert Margaret Wright ihren Wahlkampf und weist auf die spezifische Lage Ostenglands hin, wo sich mit Cambridge das europäische Zentrum der biotechnologischen Forschung befindet: „Hier im Osten sind die meisten Versuchsflächen und alle beteiligten Unternehmen.“ Auf offene Ohren stößt sie vor allem in kleinen konservativen Marktstädten, deren landwirtschaftlich orientierte Bewohner nach Rinderwahnsinn und Gen-Food vor dem Ruin stehen.

Rechnerisch die besten Chancen haben die Grünen in Südostengland. Hier würden um die 8 Prozent für einen Sitz reichen. Nachdem vorgestern eine prominente Labour-Politikerin zu den Grünen überlief, nehmen auch die Medien von ihnen Notiz. Dominic Johnson

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