Größtes Pilotprojekt für CO2-Abscheidung: Energieverbrauch viel zu hoch
Die Energiebilanz für die CO2-Abscheidung bei einem Kohlekraftwerk: Will man die Emissionen einigermaßen klimaneutral bekommen, muss man 50 Prozent mehr Steinkohle verfeuern.
Der Entwicklungschef des dänischen Energiekonzerns Dong Energy Power gibt es unumwunden zu: Die Abscheidung von Kohlendioxid (CO2) aus einem Steinkohlekraftwerk rechnet sich nicht. "Der Energieverbrauch ist ganz einfach viel zu groß", sagt Rudolph Blum. Das bestätigen die gerade abgeschlossenen Auswertungen des weltweit größten praktischen CO2-Abscheideversuch im dänischen Esbjerg. Ergebnis: Um eine Tonne CO2 aus den Rauchgasen herauszutrennen, wurden 3,7 Gigajoule Energie verbraucht. Das heißt im Klartext: Ein Drittel des Effekts, den das Werk hat, würde allein von dieser Abscheidetechnik geschluckt.
Zu dem von der EU mitfinanzierten Pilotversuch "Castor" hatte man sich mit dem Kraftwerk Esbjerg-Værket an der dänischen Nordseeküste gleich gegenüber der Ferieninsel Fanø eines der weltweit effektivsten Steinkohlekraftwerke mit einem Wirkungsgrad von rund 45 Prozent ausgesucht. Mit der Abscheidetechnik fiel dieser nun auf etwa 30 Prozent. Um die gleiche Stromproduktion wie ohne zu erreichen, müssten also bis zu 50 Prozent mehr Kohle eingesetzt werden. Bei anderen Kohlekraftwerken mit dem in Europa bislang erreichten durchschnittlichen Wirkungsgrad von 38 Prozent würde sich die Bilanz sogar auf einen rund 70 Prozent höheren Kohleeinsatz verschlechtern.
Dabei gilt die "Post Combustion Capture"-Technologie, die in der Versuchsanlage in Esbjerg angewandt wurde, schon als die derzeit am weitesten ausgereifte. Sie funktioniert so, dass das Rauchgas nach dem Verbrennungsprozess gekühlt und entschwefelt wird. Dann kann das Kohlendioxid mit einer Waschlauge herausgewaschen werden. Die Lauge wiederum gibt das reine CO2 wieder frei, wenn sie im sogenannten Abscheider auf 130 Grad erhitzt wird.
Theoretisch könnte das Gas dann verwertet oder gelagert werden. In Esbjerg wurde das mühsam gewonnene CO2 nach dem Passieren der Abscheidungsanlage in die Atmosphäre gepustet, da es dort keine unterirdische Lagermöglichkeit gibt. Alle Versuche, es als Industriegas zu verkaufen und die Technik damit gegenzufinanzieren, waren schon früh gescheitert. "Dabei war es wirklich von guter Qualität", wie Blum betont.
Der Abscheideprozess soll nun in einem neuen Pilotprojekt mit dem Namen "Cesar", das wiederum von der EU mitfinanziert wird, verfeinert und optimiert werden. Dabei sollen verschiedene neue Laugen getestet werden, um die chemische Reaktion der CO2-Bindung und Freisetzung mit einem möglicherweise geringeren Energieaufwand bewerkstelligen zu können.
Im besten Fall hält Dong-Entwicklungschef Blum die Senkung des Energieverbrauchs auf 2,7 Gigajoule pro Tonne CO2 für möglich. Das hieße, dass der Kraftwerkeffekt statt um ein Drittel um rund 20 Prozent verringert würde, der Wirkungsgrad statt um 45 um 36 Prozent.
Diese Zahlen können den Greenpeace-Klimaexperten Tarjei Haaland nicht beeindrucken: "Das würde immer noch bedeuten, dass mindestens 25 Prozent mehr Kohle gebrochen, transportiert und verfeuert werden müssten, um die gleiche Menge Strom zu produzieren." Noch nicht mitgerechnet ist die Energie, die bei der Komprimierung des Kohlendioxids, bei dem Transport und dem Einpumpen in unterirdische Lager verbraucht wird.
Für Haaland ist das Festhalten an der CCS-Technik (Carbon Capture and Storage) deshalb "nur eine Ausrede" für Dong und Vattenfall, weitere Kohlekraftwerke zu bauen. "Bis man in 15 Jahren endgültig feststellt, dass die Technik leider, leider doch zu teuer ist. Und dann sitzen wir mit diesen Kraftwerken da."
Auch wenn "Castor" das bislang größte Pilotprojekt war, so passierten dort gerade einmal 0,5 Prozent der Rauchgase des gesamten Esbjerg-Kraftwerks die Abscheideanlage. Und der erreichte CO2-Reinigungseffekt war nicht 100, sondern lediglich 90 Prozent.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Fortschrittsinfluencer über Zuversicht
„Es setzt sich durch, wer die bessere Geschichte hat“