Größte Jagdmesse Europas: Halali, geht's noch?
Auf Europas größter Jagdmesse können passionierte Jäger eine Safari in die Arktis buchen. Tierschützer sind empört über die "perverse Jagd nach Statussymbolen".
DORTMUND taz | Nein, besonders promotet wird die Jagd auf Eisbären nicht. In den Katalogen wird sie nur kurz erwähnt, und die drei einschlägigen Reiseveranstalter auf der am Sonntag beendeten Messe "Jagd und Hund" in den Dortmunder Westfalenhallen haben ihre Stände mit Trophäenbildern von Elch, Braunbär und Wasserbüffel geschmückt.
Ist das größte Landraubtier der Welt hier Bückware? Bei Westfalia-Reisen aus Mönchengladbach holt ein Mitarbeiter den Spezialkatalog "Eisbärenjagd in Kanada 2012" auf Nachfrage aus der Schublade. "Unser Geschäftsführer hat gleich Zeit für Sie!" Westfalia ist einer der Big Player der Reisejagdszene.
Der Katalog beschreibt den Eisbären mit seinen bis zu 800 Kilogramm als "König der Arktis und deren unumschränkter Herrscher". Gezeigt wird Ursus maritimus in großformatigen Bildern, allerdings nur frisch erlegt, der dick vermummte Schütze gern daneben. "Eines der letzten Jagdabenteuer unserer Erde" stehe an, "weitab jeglicher Zivilisation" im ewigen Eis.
Jagdgebiet: Resolute Bay, Nunavut Territorium, knapp 75 Grad Nord, Höhe Nordgrönland. Kosten für den 14-Tage-Trip: etwa 40.000 Euro, inklusive Gebühren und Lizenzen sowie Präparation und Transport von Kopf und Fell, jägerisch: Schädel und Decke. Selbst "150 Dollar Naturschutzabgabe" sind aufgelistet.
Kritik von Tierschützern
Tierschützer finden solche Reisen empörend. Die Eisbärpopulation geht zurück, das belegen viele Studien, besonders in Gebieten, in denen gejagt wird. 20.000 Verwandte von Knut (Berlin) und Lars (TV) gibt es weltweit noch, optimistisch gerechnet." Die US Geological Survey rechnet bis 2050 mit einem weiteren Rückgang um 70 Prozent.
Pro Wildlife in München hat die Veranstalter gerade in einem Brief aufgefordert, die Jagden umgehend einzustellen. "Der Verlust jedes einzelnen Tieres wiegt schwer. Über die Hälfte der Bestände in Kanada sind bereits rückläufig." Der Eisbär ist im Washingtoner Artenschutzabkommen nur in Stufe II geführt. Das erlaubt vereinzelt eine Jagd und den Handel mit Fellen.
Schon kommt der Westfalia-Inhaber herbeigeeilt. Josef Thoma ist selbst begeisterter Jäger ("wie wir alle hier"), ein halbes Dutzend Mal war er in der Arktis dabei. Ich tische ihm die Legende auf, mein Herr Vater ("hat schon fast alle denkbaren Jagdtrophäen zu Hause") werde demnächst siebzig, sei topfit, und wir, die Familie, wollten ihm etwas Einmaliges schenken. "Wir hätten da an einen Eisbären gedacht."
Siebzig? "Kein Problem. Wir hatten schon 85-Jährige auf Touren in Afrika." Thoma erzählt vom einmaligen Dasein "unter den Eskimos", man übernachte "auf dem Eis, auch mal drei Tage am Stück". Die Jagd sei "selbstverständlich eins zu eins", was heißt, ein erfahrener Jäger, und das sei bei Westfalia der erfahrenste Eisbär-Hunter weltweit, begleitet nur einen Gast.
Seit Jahren veranstalte man die Eisbärjagden schon, vier bis fünf Kunden pro Jahr, fast immer erfolgreich. Für Vattern empfiehlt Thoma die Herbst- statt der Frühjahrstour. "Da ist es nicht bis zu minus 30 Grad, und die Bären sind stärker in einem Gebiet konzentriert." Gejagt würden selbstverständlich nur männliche Bären.
Jägerlateinische Werberomantik
Daniela Freyer schüttelt den Kopf über so viel jägerlateinische Werberomantik. Die Biologin von Pro Wildlife, als Beobachterin der Szene auf der Messe unterwegs, sagt, wenn nur männliche Tiere geschossen würden, "macht das die Sache biologisch auch nicht besser". Das reduziere die genetische Vielfalt. Zudem gehe jede Jagdgruppe am liebsten auf die stärksten Tiere. Die Folge: "In stark bejagten Gebieten fehlen starke Männchen." Und keine Jagd, sagt Freyer, "kann bei ohnehin abnehmendem Bestand nachhaltig sein".
Nur in Kanada ist die Eisbärjagd offiziell erlaubt, anders als in den USA, in Norwegen (Spitzbergen), Russland und Dänemark (Grönland). 700 Jagdlizenzen vergeben die Behörden für ein paar hundert Dollar an die Inuit. Die Inuit haben alte Rechte - und verschachern die Lizenzen weiter, mehrheitlich an ausländische Organisationen. "Die Inuit sind eine Lobby, und die Veranstalter machen Druck", sagt Freyer. So entstehe "ein absolut unnötiger Aderlass".
Zum Stichwort Tierschutz, hatte Josef Thoma gesagt, könne "man lange fachsimpeln, es gibt halt übertriebenen und es gibt ernsthaften Tierschutz". Mit ernsthaft meint er: durch die Jagd die Fauna sogar zu schützen. Dazu hat er zwei Argumente: "Männliche Bären beißen im Frühjahr oft Neugeborene tot. Auch die Inuit jagen die Tiere seit jeher im Frühjahr, um die Population zu bewahren. Wir tun das Gleiche, und schützen so vielleicht drei oder vier junge Bären." Zudem: "Eisbären halten sich oft in der Nähe menschlicher Siedlungen auf und gehen auf Moschusochsen. Somit schont der Abschuss andere Tiere." Und bitte: "Ausgerottet werden Polarbären nie sein. Wegen Tierschutz muss sich Ihr Vater keine Sorgen machen."
Daniela Freyer schüttelt den Kopf über das Totbeißargument. "Jungtiere haben sowieso eine hohe Sterblichkeit, die leider sogar noch steigt." Rettung der Moschusochsen? "Eine absurde Argumentation." (Zudem bietet Westfalia Moschusochsen als günstige Beijagd ausdrücklich an). Pflanzenfresser Eisbär? "Womöglich ist das so", Freyer lacht, "aber nur weil der Klimawandel ihren Lebensraum zunehmend vernichtet."
Und überhaupt: Welche Pflanzen? Eisblumen? Die Tiere litten stark unter Habitatverlust - wegen schmelzender Eisgebiete und immer früherem Tauwetter, "und das ist auch menschengemacht". Wenn Eisbären in entlegene Packeisfelder ausweichen, fänden sie nicht genug Nahrung.
Eisbären sind eine aussterbende Art
Schon in hundert Jahren könnte der stolze Polarbär Geschichte sein, sagt Daniela Freyer. "Wir sprechen von einer aussterbenden Art." Und die "perverse Jagd nach Statussymbolen", den Trophäen eben, gepaart mit "diesem scheinbar mythischen Erleben von Eskimokultur", habe ihren Anteil.
Man schätzt, dass an die 50.000 deutsche Jäger einmal im Jahr eine Jagdreise buchen. Veranstalter Versch aus Hasloch, auch er mit Eisbären im Portfolio, lockt mit dem Slogan "Wie wär's mit Wildwechsel?" zu Leopard und Zebra als Ersatz für banale Rehe und Rebhühner aus heimischen Forsten. Als sehr begehrt gelten auch die geweihmächtigen Steinböcke in Kasachstan oder neuerdings der Kamtschatkabär, der größte Braunbär der Welt aus Russlands tiefstem Osten.
Die 680 Aussteller aus 30 Ländern bieten Jägerjeans feil, Hirschsalami, Waffenbedarf, Büffellederhosen, Geweihleuchten, Hochsitze, Lodenmoden, gülden glitzernde Waldhörner und Felle für die Daheimgebliebenen. Daniela Freyer entdeckte einen Händler, bei dem das Eisbärfell über 8.000 Euro kostet, so viel wie nie.
Meist schlendern mittel- bis dreiviertelalte Männer über die Messe, viele in Dunkelgrün und wohl auch finanziell betucht. In Halle 4 ist es laut. Geräuschpfeifen sind im Einsatz, beliebte Lockmittel. Sie heißen Hasenklage, Ranzbeller, Rehblatter. Der Interessenverband der Auslandsjäger e. V. beklagt in seiner Hausschrift "neue Erlasse und Vorschriften" bei der Trophäeneinfuhr. Nichts ist mehr wie früher.
Außer in Kroatien: "Die Jagd wie sie einmal war", wirbt ein Reiseveranstalter. Ein anderer Stand lockt zur Jagd nach Tansania "auf den Spuren Hemingways". Hier gibt ein Besucher gerade emphatisch seine Afrika-Erlebnisse kund. "Das ist der Hit. Die Springböcke, die Löwen, wow … und dann sag ich, schieß … und der schießt …, und wohin?" Kerniges Männergelächter ringsum.
Allgegenwärtig sind die Bilder von erlegten Tieren mit den posierenden Erfolgsschützen. Die Motive sollen prallen Stolz ausdrücken und Jagdglück - wirken aber ungewollt lächerlich: wenn der schmächtige Deutschmann hinter dem mächtigen Bären hockt und in die Kamera strahlt. Er hat das fast allein geschafft, abgesehen vom einheimischen Helfer und der durchdringenden Kraft eines Großkalibers. Videos vom Abschuss sieht man nicht. Das habe es vor Jahren durchaus gegeben, sagt jemand, man werde defensiver in der Branche.
"Dem haste voll in den Arsch geschossen"
Geübt wird auf der Messe auch. Früh sogar. Im "Heimschießkino" (Profiset 3.900 Euro mit Nashorn-Software) zielen gerade zwei Elfjährige auf der Großleinwand mit Lasergewehren zwar nicht auf Eisbären, aber auf Wildschweinrotten. "Dem haste voll in den Arsch geschossen", kommentiert ein Vater, "du musst auf die Augen zielen. Vorhalten heißt das." Und der Sohn zielt besser, die Keiler purzeln ins Gras. Beide Kids haben gut 50 Prozent Trefferquote. "Nicht schlecht, Papa, oder?"
Vattern müsste sich virtuell noch gedulden. 2012 sei mit dem Polarbären nichts mehr zu machen, hatte Josef Thoma gesagt, Herbst 2013 sei "der früheste Termin". Und das, obwohl die Behörden im Nunavut Territorium gerade zusätzliche Abschüsse für 2012 freigegeben haben. Sie berufen sich auf das "traditional knowledge" der Inuit, die zuletzt mehr Nanuk (wie sie den Eisbären nennen) als sonst gesichtet haben wollen. Eisbären als Krönung jägerischen Daseins sind heiß begehrt. Solange es sie noch gibt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“
Verfassungsrechtler für AfD-Verbot
„Den Staat vor Unterminierung schützen“
Koalitionsvertrag in Brandenburg steht
Denkbar knappste Mehrheit