Griechenland braucht Garantien: Erinnerung an deutsche Schulden
Athen ist unter Druck. Bis Anfang Mai muss die Regierung neue Staatsanleihen von 22 Milliarden Euro platzieren. Gleichzeitig hat ein Focus-Titelblatt einen heftigen Streit entfacht.
Die potenziellen Retter geben sich die Klinke in die Hand. Heute reist EU-Finanzkommissar Olli Rehn in Athen an, letzten Freitag war Josef Ackermann da. Und die Gerüchteküche brodelt. Die Meldung, der Chef der Deutschen Bank habe Regierungschef Giorgos Papandreou den Ankauf von griechischen Staatsobligationen in Höhe von 15 Milliarden Euro zugesagt, wurde von Papandreous Sprecher umgehend dementiert.
Realistischer klingt ein Bericht der Athener Zeitung Ta Nea. Demnach soll es nach Kontakten zwischen Brüssel, Berlin und Paris endlich einen konkreten Rettungsplan für die griechischen Staatsfinanzen geben. Eine Garantie für die Käufer griechischer Anleihen in Höhe von 25 Milliarden Euro, unter anderem durch die bundeseigene Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), soll die Griechen für einige Zeit vor dem Druck der Spekulanten schützen.
Bis Anfang Mai muss die Athener Regierung neue Staatsanleihen im Wert von 22 Milliarden Euro platzieren. Um die auslaufenden Schuldverschreibungen bedienen zu können, muss sie schon diese Woche Anleihen für 5 Milliarden verkaufen. Dabei will ihr nach einer Meldung der Agentur Bloomberg die Deutsche Bank helfen, allerdings nur als Vermittler.
Aus Empörung über die Berichterstattung deutscher Medien über die Finanzkrise in Griechenland hat sich ein deutsch-griechischer Wirtschaftsverband an den Presserat gewandt. Die Deutsch-Hellenische Wirtschaftsvereinigung (DHW) beschwerte sich beim Presserat darüber, dass in Printmedien und auf Onlineportalen "beleidigend" über Griechenland berichtet werde. "Genauso, wie wir es abscheulich finden, dass in der griechischen Presse die Deutschen pauschal als Nazis beschimpft werden, wehren wir uns auch dagegen, dass die Hellenen […] als Betrüger tituliert werden", heißt es in dem Brief.
Die DHW kritisierte vor allem das Nachrichtenmagazin Focus, das auf seinem Titel die Statue der Venus von Milo mit Stinkefinger zeigt. Daneben heißt es: "Betrüger in der Euro-Familie. Bringt uns Griechenland um unser Geld […]?"
Aus Verärgerung über die deutsche Berichterstattung über die Finanzkrise in Griechenland hatte eine griechische Verbraucherschutzorganisation Ende vergangener Woche zu einem Boykott deutscher Waren aufgerufen. (afp)
Ohne eine glaubwürdige Garantie der Euro-Partner könnte Griechenland innerhalb weniger Wochen zahlungsunfähig werden. Aber selbst wenn diese Gefahr abgewendet werden kann, drohen beim Verkauf der neuen Staatsanleihen deftige Zinsaufschläge. Die Differenz zu deutschen Bundesanleihen, der sogenannte Spread, pendelt seit Oktober 2009 zwischen 3 und 4 Prozent. Wenn er durch die Spekulation auf über 5 Prozent hochgetrieben würde, bedeutete das für den griechischen Staatshaushalt eine Mehrbelastung von weit über einer Milliarde Euro.
Das würde alle bisherigen Sparpläne der Regierung Papandreou zur Makulatur machen. Schon deshalb ist Athen auf einen europäisch koordinierten Rettungsplan angewiesen, der ohne deutschen Beitrag undenkbar ist. Der scheint inzwischen beschlossene Sache zu sein. Am Freitag reist Papandreou nach Berlin. Würden die Gespräche mit Angela Merkel ohne Rettungssignal an die Märkte enden, könnte er gleich zuhause bleiben.
Am letzten Freitag sprach der Regierungschef unverblümt vor dem Parlament: "Lassen wir dieses Land bankrottgehen, oder werden wir reagieren?" Er sagte: "Morgen wird es zu spät sein, und die Folgen, die auf die Bürger zukommen, werden noch viel schlimmer sein."
Damit bereitet der Regierungschef sein Volk auf ein weiteres Paket von Sparmaßnahmen vor, das sein Finanzminister Papakonstantinou wahrscheinlich schon heute, zur Ankunft des Brüsseler Finanzkommissars Olli Rehn, verkünden wird. Es enthält die Schritte, die EU-Kommission und Europäische Zentralbank (EZB) als Gegenleistung für eine europäische Absicherungsstrategie einfordern: durch erneute Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen sollen noch im laufenden Jahr weitere 4 Milliarden Euro eingespart werden.
Für dieser Forderung an Athen gibt es zwei Gründe. Der erste ist der Eindruck, den eine erste Delegation von Experten der EU, der EZB und des IWF letzte Woche in Athen gewonnen hat. Wie griechische Zeitungen berichten, befanden die Inspektoren, dass das Sparprogramm Papakonstantinous nicht so erfolgreich war, wie die Regierung es versprochen hat. Zweitens geht man in Brüssel und Frankfurt inzwischen davon aus, dass die griechische Wirtschaft 2010 um etwa 2 Prozent schrumpfen wird. Da das griechische Sparprogramm nur 0,3 Prozent Minuswachstum unterstellt, drohen neue Einnahmeausfälle und höhere Ausgaben.
Das vier Milliarden-Loch will die griechische Regierung zum einen durch weitere Gehaltskürzungen im öffentlichen Dienst in Höhe von 6 bis 7 Prozent stopfen, zum anderen durch eine Anhebung der Mehrwertsteuer um 2 Prozent, nochmals erhöhte Steuern für Benzin, Alkohol und Tabak, sowie eine Sondersteuer auf Luxusgüter. Die große Gefahr, die dieses Programm noch weiter verschärft: Das Sparprogramm droht, die Konjunktur noch weiter abzuwürgen und das bei inflationären Effekten, die auf eine lang anhaltende Stagflation hinauslaufen.
Doch die Regierung steht mit dem Rücken zur Wand. Dabei kommt ihr das Thema höchst ungelegen, das ausgerechnet die deutsch-griechischen Beziehungen erheblich strapaziert. In derselben parlamentarischen Fragestunde, in der Papandreou vor dem Staatsbankrott warnte, musste er sich zu der Forderung äußern, die seit letzter Woche immer häufiger von Politikern und Zeitungen erhoben wird: Die Deutschen sollen, statt Griechenland den Spekulanten zum Fraß vorzuwerfen, endlich Entschädigung für Besatzung des Landes in den Jahren 1941 bis 1944 zahlen.
Dazu erklärte Papandreou, die Frage sei in der Tat "noch nicht endgültig geregelt", kritisierte aber zugleich die aktuelle Debatte: "Wenn wir das Thema jetzt hochbringen, machen wir es böswilligen Kräften leicht, uns das als Schwäche auszulegen und den Verdacht zu streuen, dass wir uns um unsere Verantwortung drücken wollen."
Das Thema hat längst eine Eigendynamik entwickelt. Auf einigen Fernsehkanälen wird stundenlang diskutiert; auf politischer Ebene haben die rechtsradikale Partei Laos und einzelnen Abgeordneten der Nea Dimokratia die Forderung nach Entschädigungszahlungen aufgegriffen. Angestoßen wurde die ganze Debatte durch die Empörung über das Titelbild des Focus, das inzwischen noch im kleinsten Bergdorf zum beherrschenden Thema geworden ist.
Dabei wäre die Empörung noch größer, wenn die Griechen lesen könnten, was die Münchener Journalisten - und ein renommierter Wissenschaftler - den Lesern als Information verkaufen: Da können Griechen angeblich nach nur 15 Jahren Erwerbstätigkeit eine Rente in Höhe von 110 Prozent ihres Einkommens beziehen. Die Realität sieht anders aus: Die Mindestrente liegt bei knapp 600 Euro, die durchschnittliche Rentenhöhe bei etwa 55 Prozent der Einkommen, weil sie auf Basis des Grundgehalts berechnet wird, das in Griechenland meist nur zwei Drittel des Gesamtbezüge ausmacht. Und die Rente nach 15-Jahren galt früher einmal für Frauen mit mehreren Kindern - und ist längst abgeschafft.
Was das Thema der Nazi-Besatzung betrifft, so hat Papandreou durchaus recht, dass Griechenland niemals eine auch nur annähernd angemessene Entschädigung für die materiellen Zerstörungen erhalten hat. Und alle Versuche der deutschen Seite, die griechischen Ansprüche abzuwehren, basieren auf höchst fragwürdigen Argumenten. Seit Jahrzehnten verrechnen die deutschen Botschafter in Athen diese Ansprüche mit den Geldern, die im Rahmen der EU-Förderprogramme nach Griechenland geflossen sind - als sei die EU ein Projekt zur Abwicklung deutscher Sühnelasten und nicht zur Förderung der europäischen Integration zum Nutzen der deutsche Wirtschaft.
Kaum treffend auch der Verweis auf die "Wiedergutmachung" von 115 Millionen DM, die Bonn 1960 an Athen gezahlt hat. Als Gegenleistung beschlossen die Griechen damals ein Amnestiegesetz für deutsche Kriegsverbrecher. Tatsächlich war die Summe also eine Art Lösegeld für Funktionäre der Besatzungsmacht, die in Griechenland schon verurteilt waren oder bei einer Urlaubsreise mit einer Verhaftung rechnen mussten.
Dagegen wurden die 7 Milliarden Dollar, die 1946 von der UN als griechischer Entschädigungsanspruch ermittelt wurden, von griechischer Seite niemals eingefordert. Sie wären bei einem Friedensvertrag fällig geworden, um den sich Deutschland 1990 durch die Konstruktion des 2+4-Vertrags erfolgreich gedrückt hat. Davon unberührt ist die Frage, die den harten Kern der griechischen Ansprüche ausmacht. Die deutsche Besatzungsmacht hat 1942 von der griechischen Zentralbank ein Zwangsdarlehen erhoben, dessen Rückzahlung - völlig unabhängig von anderen Entschädigungsfragen - auch heute noch einklagbar wäre. Die Unterschrift unter den Darlehensvertrag bindet auch die Bundesrepublik. Wenn Griechenland diese causa vor den Internationalen Gerichtshof in Den Haag bringen würde, müsste Deutschland vermutlich eine Summe zurückzahlen, die heute im zweistelligen Milliardenbereich liegen würde.
Dass diese Klage bislang nicht erfolgt ist, liegt an den politischen Rücksichten gegenüber dem größten Nettozahler der EU, zu der sich noch jede griechische Regierung seit ihrem EG-Beitritt von 1981 verstanden hat. Selbstkritische griechische Beobachter sind im übrigen sehr froh über diese Zurückhaltung. Sie gehen davon aus, dass die deutschen Gelder genauso versickert oder vergeudet worden wären wie ein Großteil der europäischen Fördermittel aus Brüssel. Dennoch ist die Erinnerung an die Katastrophe, die das deutsche Besatzungsregime für ihr Land bedeutet hat, bei vielen Griechen noch höchst lebendig.
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