Grenzübertritte in spanische Exklaven: Marokkos subtile Botschaft
Rund 800 Migranten schafften es jüngst in die spanische Exklave Ceuta. Medienberichten zufolge nutzt Marokko das nun als Druckmittel.
498 Immigranten überwanden den sieben Meter hohen Grenzzaun in der Nacht auf den 17. Februar. Sie öffneten mit brachialer Gewalt eine Tür im Zaun auf marokkanischer Seite, gelangten so in den Zwischenraum und von dort durch eine zweite Tür nach Spanien. Nur zwei Tage später gelangten an der gleichen Stelle weitere 356 Flüchtlinge auf spanisches Gebiet. Von Seiten der spanischen Behörden heißt es, der Abschnitt sei schlecht einsehbar und deshalb von den Flüchtlingen gewählt worden.
Die spanische und marokkanische Presse haben eine andere Erklärung. Die Grenzsoldaten auf marokkanischer Seite würden großzügig wegschauen. Nur so sei es möglich gewesen, die Türen zu zerstören. „Erinnern wir uns, dass der Ansturm nur zehn Tage nach den Erklärungen von Aziz Akhannouch gegenüber der spanischen Nachrichtenagentur EFE stattfanden“, schreibt die marokkanische Nachrichtenwebsite Le 360, der gute Beziehungen zum Königshaus nachgesagt werden.
In jenem Interview beschwerte sich der marokkansiche Landwirtschafts- und Fischfangminister über ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs nachdem Landwirtschaftsprodukte aus der von Marokko besetzten ehemaligen spanischen Kolonie Westsahara nicht unter das Freihandelsabkommen Marokkos mit der EU fallen. „Warum sollen wir weiter Polizei spielen? Wie sollen wir die afrikanische Migration durch Marokko blockieren, wenn Europa nicht mit uns zusammenarbeiten will?“, fragte Akhannouch, der als enger Vertrauter von König Mohamed VI. gilt. Die Nachricht ist klar: In den Wäldern rund um Ceuta und Melilla warten Tausende auf ihre Chance, die Grenzzäune zu überwinden.
Die spanische Online-Zeitung El Español, die von einem der bekanntesten spanische Journalisten, von Pedro J. Ramirez herausgegeben wird, geht noch einen Schritt weiter. Ihre Reporter vor Ort wollen von den Immigranten erfahren haben, dass auch die spanische Grenzer so gut wie untätig zugesehen hätten, als der Massenansturm stattfand. „Marokko will, dass das Landwirtschaftsabkommen erfüllt wird und Spanien könnte dabei helfen, indem gezeigt wird, wie wichtig Marokko für den Stopp der Einwanderung ist“, heißt es. Und warum das alles? Marokko sei für Spanien von großer Bedeutung. „Unabhängig von der EU bestehen bilaterale Abkommen in Sachen Terrorismus und Sicherheit, die vor allem Ceuta und Melilla betreffen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind