Grenzschutz in Transnistrien: Granaten und Gefrierfleisch
Transnistrien ist ein rechtsfreier Raum, ein ideales Terrain für Schmuggler. Die europäischen Eubam-Mission versucht sich am Schutz der Grenze.
ODESSA taz Beim Abendessen in einem Nobelrestaurant der ukrainischen Schwarzmeer-Stadt Odessa biegt sich förmlich der Tisch unter den Köstlichkeiten, die für die Delegation aus Brüssel aufgefahren worden sind. Eubam-General Ferenc Banfi hat das Festmahl organisiert, um den Gästen aus dem Europaparlament die Arbeit seiner Truppe zu erläutern. Das Geld, mit dem er an der ukrainisch-moldawischen Grenze Aufklärungsarbeit leistet und Schulungen durchführt, muss in Brüssel bewilligt werden.
Die selbsternannte Republik Transnistrien wird von keinem Land der Welt als Staat anerkannt. Ihr autokratischer regierender Führer Igor Smirnow betrachtet das Gebiet als Teil der Sowjetunion. Als sich Moldawien nach dem Zerfall der Sowjetunion für unabhängig erklärte, lehnten sich die Transnistrier dagegen auf. 1992 kam es zu bewaffneten Auseinandersetzungen, die unter russischer Vermittlung eingedämmt werden konnten. Transnistrien macht etwa elf Prozent der Fläche Moldawiens aus. Dort leben etwa ein Drittel Russen, ein Drittel Ukrainer und ein Drittel Moldawier. Amtssprache: Russisch.
Die Pasteten, Wurstspezialitäten und Fleischsalate lösen bei den Gästen gemischte Gefühle aus. Denn vor wenigen Stunden haben sie von den Experten der EU-Grenzmission Eubam erfahren, dass der Schmuggel mit gefrorenem Hühnerfleisch, Schlachtschweinen und Rinderzungen in der Region ein blühendes Geschäft ist. Die Lebensmittel werden im Hafen von Odessa ausgeladen und per Transit zollfrei durch die Ukraine in die autonome moldawische Teilrepublik Transnistrien gebracht. Dort werden 140 Euro Einfuhrzoll pro Tonne fällig - 200 Euro weniger als in der Ukraine. Mit unappetitlichen Nebenwirkungen.
Transnistrien gehört zwar zu Moldawien, hat sich aber als unabhängig erklärt und verweigert moldawischen Polizei- und Grenzbeamten den Zutritt. Auf 400 Kilometer Grenzlänge schiebt es sich entlang des Flusses Dnjestr als quasi rechtsfreier Raum zwischen Moldawien und die Ukraine. Für Schmuggler ist es ein leichtes, das mittlerweile angetaute Gefrierfleisch dort aufzuteilen, in kleinen Portionen auf offenen Lastern über die grüne Grenze zurückzuschaffen und auf dem ukrainischen Schwarzmarkt zu verhökern. Die Gesundheitsrisiken sind enorm, dem ukrainischen Staat entgehen jedes Jahr Millionen Euro an Einfuhrzöllen.
Kein Wunder also, dass die ukrainische Regierung einverstanden war, als die Europäische Union 2005 eine Border Assistance Mission (Eubam) anbot. Kurios ist, dass auch Igor Smirnow, der selbsternannte Staatschef Transnistriens, die EU willkommen heißt. Eubam operiert zwar nicht auf transnistrischem Gebiet, wird aber von der transnistrischen "Regierung" für seine Arbeit gelobt. Smirnow erklärte, Eubam habe mit dem Gerücht aufgeräumt, über Transnistrien würden Waffen geschmuggelt.
Auf ukrainischer Seite tauchen die Waffen nicht auf, wie Eubam-Mitarbeiter bestätigen, die den ukrainischen Grenzposten unangemeldete Kontrollbesuche abstatten. Dennoch gilt Transnistrien als großes schwarzes Loch in der ukrainisch-moldawischen Grenze. Viele der etwa 500.000 Bewohner stammen aus Russland, allein 140.000 russische Rentner sollen dort leben. In ehemaligen sowjetischen Kasernen lagern noch 20.000 Tonnen russische Munition, die von 1.200 russischen Soldaten bewacht werden. Das große Stahlwerk, die Textilfabrik und das Kraftwerk sind in russischem Privatbesitz. Im übrigen Moldawien gibt es so gut wie keine Industrie.
Niemand weiß, ob in den elf transnistrischen Waffenfabriken noch produziert wird. In den russischen Munitionslagern werden Kalaschnikows, Raketenabschussrampen, Sprengköpfe und Granaten vermutet. Nach OSZE-Erkenntnissen sind 70 tragbare Flugabwehrwaffen verschwunden, wie sie in Afghanistan von den Taliban benutzt werden. Daneben nimmt sich die illegale Zigarettenfabrik und der Zollbetrug mit Fleischimporten wie eine Lappalie aus.
Auch Moldawien, das noch vor Albanien als ärmstes Land Europas gilt, würde die Eubam-Mission am liebsten unbegrenzt verlängern. Vor allem die jungen Leute sehen die Eubam-Beamten in den schicken blauen Uniformen mit gelben Sternen als Zeichen der Hoffnung, irgendwann wie ihre rumänischen Nachbarn im Westen Teil der Europäischen Union werden zu können. Offiziell leben 4,5 Millionen Menschen in Moldawien, von denen die meisten Rumänisch sprechen. Doch die Rate der illegal nach Russland, der Türkei und in die Emirate geschmuggelten Moldawier gilt als enorm hoch. Viele Felder liegen brach. Moldawier arbeiten in der Türkei auf dem Bau, in Russland und den Emiraten in der Sexindustrie, Kinder werden im Ausland zum Betteln gezwungen. "Organ harvesting", also Organhandel ist nach Angaben der OSZE ein wachsendes Problem.
Wie wichtig seine Arbeit auf diesem östlichen Vorposten der EU ist, muss dem ungarischen Polizeigeneral Ferenc Banfi keiner erzählen. Schließlich hat sein kleines Land gerade erst erfolgreich dafür gefochten, dem Schengenraum der Europäischen Union beitreten zu dürfen und damit neuer "Frontstaat" in Europas Osten zu werden. Im Hafen von Odessa landen die Waffenlieferungen und Rauschgiftladungen, die wenig später an der östlichen Schengengrenze auftauchen. 850 Kilometer von seinem Geburtsort Szeged entfernt leitet Banfi die aus 119 Experten aus 22 Mitgliedsstaaten bestehende Eubam. Sie bietet den ukrainischen und moldawischen Grenzbeamten Beratung und Fortbildung an, fördert den Informationsaustausch zwischen den beiden Ländern und setzt darauf, dass allein durch die Anwesenheit der unbewaffneten EU-Beamten Korruption und Kriminalität zurückgedrängt werden.
Zwei Europaabgeordnete sind für drei Tage aus Brüssel angereist, um sich einen Eindruck zu verschaffen, ob die 24 Millionen Euro, die das Projekt in der Verlängerungsphase von 2007 bis 2009 kosten soll, gut angelegt sind. Karl von Wogau sitzt dem Verteidigungsausschuss vor, sein rumänischer Kollege Ioan Mircea Pascu ist ebenso Mitglied in dem Gremium. Im Vergleich zu anderen EU-Polizeimissionen wie in Bosnien oder im Kosovo ist Eubam auf den ersten Blick ein Sonntagsspaziergang. Im November 2005 kamen die EU-Experten, um modernstes Grenzsicherungsgerät aufzubauen und zu erklären, wie man es benutzt. Glaubt man Banfi und seiner Pressesprecherin, läuft seither alles wie geschmiert. Doch neues Verhalten lässt sich nicht so schnell erlernen wie der Umgang mit Wärmebildkameras und Nachtsichtgeräten.
"Wenn kein Blut fließt, gibt es keine öffentliche Aufmerksamkeit", seufzt Banfi. Er sieht seine Mission als Vorzeigebeispiel für die sogenannte "weiche Außenpolitik", auf die die Europäische Union in Abgrenzung zum martialischen Auftreten amerikanischer Krisentruppen so stolz ist. Zwei zentrale Botschaften versuchen die Eubam-Mitarbeiter ihren ukrainischen und moldawischen Kollegen einzuschärfen. Erstens: Sie verstehen sich als Berater und stellen das europäische Modell in 22 verschiedenen Ausführungen nur vor. Am Ende müssen die Partner selber entscheiden, was sie davon übernehmen wollen. Zweitens: Ein Grenzbeamter ist ein Dienstleister, der vom Geld der Steuerzahler lebt. Entsprechend höflich sollte er seine Kunden informieren.
Diese Grundhaltung setzt sich bei den Mitarbeitern einer Behörde, die noch vor kurzem dem Geheimdienst unterstand, nur langsam durch. Letzten Sommer wurden viele Mütter, die sich mit ihren Kindern auf den Weg in die Ferien machen wollten, an der Grenze zurückgeschickt. Sie hätten nach neuer Gesetzeslage eine schriftliche Erlaubnis des Vaters mitführen müssen. Niemand hatte sie informiert. Inzwischen hat ein Eubam-Mitarbeiter gemeinsam mit den Beamten ein Faltblatt entwickelt, auf dem alle wichtigen Reiseinformationen zu finden sind. Die moldawischen und ukrainischen Kollegen nehmen nun auch gemeinsam an Schulungen teil. Sie verständigen sich dabei in der von Sowjetzeiten her auf beiden Seiten der Grenze verhassten russischen Sprache. Das gilt schon als großer Fortschritt.
Cesare de Montis, der die EU-Delegation in Moldawien leitet, malt die Lage an der Grenze weniger idyllisch als General Banfi und seine Mitarbeiter. "Wenn Eubam unangemeldet an einem Grenzübergang auftaucht, ist weit und breit kein Fahrzeug zu sehen. Kaum schauen unsere Leute den Grenzern über die Schulter, bilden sich lange Schlangen. Denn dann wird nicht mehr geschmiert, sondern kontrolliert", berichtet er. Völlig unübersichtlich sei die Lage im Hafen von Odessa. Dort sind in den letzten Monaten drei größere Ladungen Kokain aus Südamerika und zweimal Kokainlieferungen aus Afghanistan gefunden worden - nach seiner Überzeugung nur die Spitze eines Eisbergs.
Beim Abendessen in entspannter Runde erlaubt auch General Banfi einen etwas realistischeren Blick auf die ihm auferlegte Sisyphusaufgabe, eine weltoffene und gleichzeitig für Kriminalität undurchlässige Grenze zu schaffen. "Kokain kommt in Ananasdosen, als Bauteil in Laptops, gelöst in Flüssigkeiten, mit denen Teppiche oder T-Shirts getränkt sind. Im Labor in Moldawiens Hauptstadt Chisinau wird das Rauschgift extrahiert und weiter geschmuggelt in die EU." Man müsse zunächst Herkunft, Handelsweg und Bestimmungsort kennen. "Kokain zum Beispiel stammt aus Afghanistan und wandert über Georgien und den Hafen von Odessa nach Russland und in die EU", erklärt der ungarische General. "Diesen Weg muss man unterbrechen, wie man Scheiben aus der Salami schneidet" - und er macht es auf der Tischplatte vor, zack, zack, zack, dass die Würste und Pasteten nur so hüpfen.
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