: Grenzen auf - Grenzen zu
■ EG ab 1992: Rechtsfreier Raum für supranationale Polizeizusammenarbeit / Von Thomas Scheuer
Grenzen auf - Grenzen zu
EG ab 1992: Rechtsfreier Raum für supranationale
Polizeizusammenarbeit / Von Thomas Scheuer
Grenzenlose Freizügigkeit verheißen die Protagonisten des EG -Binnenmarktes, der bis 1992 verwirklicht sein soll. Doch die Freiheit wird ihre Grenzen haben, für Flüchtlinge beispielsweise. Ein „offenes Europa“ wird das neue west -europäische Reich nicht sein. Um den angestrebten Wegfall der nationalen Grenzen, „den natürlichen strategischen Linien der Verbrechensbekämpfung“ (Polizeideutsch), zu kompensieren, stricken Polizeiexperten in einer institutionellen Grauzone an supranationalen Überwachungs -Instrumentarien. Außerdem sollen dichtere Außen-Grenzen und eine einheitliche Asyl-Politik den 320-Millionen-Konsumenten -Markt gegen Flüchtlinge abschotten. Mehrere Gremien werkeln, meist unbeachtet von der Öffentlichkeit, seit Jahren am „Rechtsraum Europa“. Eines davon, die sogenannte „Schengen-Runde“, trifft sich heute bei Luxemburg.
Seit dem 1. Januar ist die Ein- und Ausfuhr von Schnittblumen und Zierpflanzen zwischen Holland, Belgien, Luxemburg, Frankreich und der BRD wesentlich erleichtert. Daß die Zollbehörden dieser fünf Länder seither auf die pytosanitären Kontrollen beim grenzüberschreitenden Handel mit Pflanzen verzichten, ist die Frucht eines „Übereinkommens betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen“, das vor genau drei Jahren, am 14. Juni 1985 in Schengen bei Luxemburg abgeschlossen wurde.
Der Hintergrund des „Schengener Abkommens“ ist jedoch weniger vegetarisch: Die Vertragspartner treibt die Sorge um, „daß der Sicherheitsstandard im Polizei- und Zollbereich auch nach dem Abbau der Grenzkontrollen (...) gehalten werden muß“. So der Staatssekretär beim Bundeskanzler, Waldemar Schreckenberger, am 3. März 1988 in einem Schreiben an den Chef des Bundestags-Innenausschusses. Bei den halbjährlichen „Schengen-Konferenzen“ - die jüngste findet am heutigen Dienstag anläßlich des Jubiläums in Schengen statt - geht es denn auch in erster Linie um Ergänzungsverträge über „Ausgleichsmaßnahmen im Polizei- und Sicherheitsbereich“ für die langfristig wegfallenden Grenzkontrollen. Die Tagesordnung der heutigen Schengen -Runde verrät die politischen Denkraster der Beteiligten: Rauschgift- und Waffenschmuggel werden in einem Atemzug mit dem zu harmonisierenden Ausländer- und Asylrecht genannt. Was für Schnittblumen recht ist, soll für Flüchtlinge nicht billig sein.
Mit dem Näherrücken des Binnenmarktes plagt einige EG -Regierungen zunehmend die Furcht vor einem allzu „offenen Europa“. Auf einer geheimen Sitzung der TREVI-Minister (siehe Artikel auf dieser Seite) im April letzten Jahres in Brüssel war der einhellige Tenor: Die Abschaffung der Binnengrenzen muß durch verschärfte Kontrollen an den EG -Außengrenzen ausgeglichen werden. Diese Verschärfung dürfe zwar, so heißt es ganz euro-zentrisch im Protokoll, „den Komfort der EG-Reisenden nicht einschränken“, letzterer aber auch nicht „den Kampf gegen heimliche Immigration aus Drittländern, Terrorismus, Drogen und Kriminalität schwächen“. Dabei herrscht in einigen nördlichen Hauptstädten Mißtrauen gegenüber den laxen Polizeiapparaten mancher Südländer. Italiens Aufnahmeantrag wurde in Berlin kühl abgewiesen und noch nicht einmal ein Beobachterstatus eingeräumt. Ein Umstand, der Spezial-Abkommen wie dasjenige von Schengen erklärt. In Berlin hatten sich die Schengener darauf geeinigt, ein einheitliches Visum einzuführen und einen Fonds für die Kosten von Abschiebungen zu gründen. Das Protokoll der Sitzung, das der taz vorliegt, spricht von der Verpflichtung der Mitgliedsländer, sich gegenseitig über die jeweilige Rechtsprechung, die Zahl der monatlichen Asylbewerber und signifikante Trends bei den Gruppen von Asylbewerbern zu informieren. Außerdem wird bei der Gewinnung von Informationen über die Herkunftsländer von Asylbewerbern enger zusammengearbeitet, „um zu einer gemeinsamen Einschätzung zu gelangen.“ 1988 wird eine Machbarkeitsstudie für ein „Schengen Informationssystem“ ausgearbeitet.
Auf Gesamt-EG-Ebene befaßt sich seit Herbst 1986 eine „Ad Hoc-Gruppe Einwanderung“ mit der Entwicklung einer einheitlichen Asyl-Politik. Sie wurde, ebenso wie die TREVI -Gruppe, vom Rat der Innen- und Justizminister eingesetzt und arbeitet derzeit an einer gemeinsamen Visa-Politik sowie an einem „vereinfachten Prüfungs-Verfahren für Asyl -Anträge.“ Die Pläne sehen vor, daß Flüchtlinge Asylanträge nur noch in einem Land stellen können und daß durch Datenaustausch Mehrfachbewerbungen in verschiedenen Ländern verhindert werden. Undurchsichtig ist die Rechtsgrundlage dieser Arbeitsgruppen; rechtlich fragwürdig auch die teilweise Beteiligung von Vertretern und Diensten von Drittländern.
Schließlich bastelt auch die Brüsseler EG-Kommission seit geraumer Zeit hinter den Kulissen an einem Richtlinien -Entwurf für eine EG-einheitliche Asyl-Politik, die - wie der bisher unter Verschluß gehaltene interne Vorentwurf zeigt (siehe Dokumentation) - weit hinter die UNO -Flüchtlingskonvention zurückfallen würde. Neben moralischem Gejammer ist seitens der Kritiker bislang leider kein asylpolitisches Alternativ-Konzept auf EG-Ebene in Sicht. Nationalstaatliche Grenzbäume sind sicher keines!
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