Greenpeace-Chef Kumi Naidoo: "Der Vatikan weiß uns zu schätzen"
Kumi Naidoo, neuer Greenpeace-International-Direktor, über die Lehren aus dem gescheiterten Klimagipfel, neue Bündnispartner und warum man Umwelt- und Finanzkrise zusammendenken muss.
taz: Herr Naidoo, Greenpeace war in der Vergangenheit mit Aktionen oft erfolgreich. Aber die Kampagne für ein Klimaabkommen in Kopenhagen war ein Fehlschlag. Warum?
Kumi Naidoo: Wir haben ja einiges erreicht: In der Politik gibt es keinen Zweifel mehr an der Existenz des Klimawandels. Die Industriestaaten sind bereit, den Entwicklungsländern beim Klimaschutz kurz- und langfristig Finanzhilfen zu geben, selbst wenn die Details noch unklar sind. Und es gab Fortschritte bei der Waldpolitik.
Das klingt, als hielten Sie den Gipfel für keinen Misserfolg.
Natürlich sind wir enttäuscht. Und dennoch war der Gipfel für die Zivilgesellschaft ein Wendepunkt. Bis dahin galt Klimawandel als Öko-Thema. Jetzt wird immer mehr Menschen klar, dass wir hier ein übergreifendes Problem haben, das auch religiöse Gruppen, Gewerkschaften und andere angeht.
Der "Kopenhagen Accord" hat nichts von dem "fairen, ehrgeizigen und bindenden Abkommen", das Sie gefordert hatten.
Klimakampagnen sind eine besondere Herausforderung. Beim Kampf gegen Armut oder für Bürgerrechte hält man eine Kamera auf das Geschehen und die Menschen verstehen das Problem. Klimawandel ist ein brennendes Problem, aber er brennt langsam. Wir reden über komplexe Wissenschaft – und haben mit der Industrie der fossilen Energien die weltweit am besten organisierte und einflussreichste Lobby gegen uns.
Jahrgang 1965, engagierte sich im Kampf gegen die Apartheid, wurde verhaftet und floh 1989 ins Exil. Später war er in Organisationen wie Amnesty International und dem World Economic Forum aktiv und promovierte in Oxford in Politologie. Im November 2009 wurde er Direktor von Greenpeace. Im März 2015 verkündete er seine Entscheidung mit Ende des Jahres zurückzutreten.
Was haben Sie aus Kopenhagen für Ihre Strategie gelernt?
Die sozialen Bewegungen müssen sich enger zusammenschließen. Dass ich mit meiner Erfahrung in der Menschenrechtsarbeit den Posten bei Greenpeace übernommen habe, hat mit dieser Perspektive zu tun. Wir leben ja in einem historischen Moment, an dem große Krisen zusammenkommen.
Was meinen Sie?
Die Armutskrise mit 50.000 Toten aus vermeidbaren Krankheiten jeden Tag, die Klimakrise, die Finanzkrise und die Lebensmittelkrise. Aber die Regierungen der G-20-Staaten haben die fundamentalen Ursachen dieser Krisen nicht angesprochen, sondern nur ein großes Pflaster auf die Wunde geklebt. Wir machen also nicht nur das Falsche, wir verpassen auch noch Chancen in dieser Krise: die Schaffung von hunderten von Millionen ordentlicher, sauberer und zukunftsfähiger Jobs.
Wie wird Greenpeace seine Strategie verändern?
Wir werden auch in Zukunft bei den Verhandlungen anwesend sein und Lobbyarbeit betreiben. Aber wir werden uns mehr darauf konzentrieren, außerhalb der Absperrungen zu arbeiten. Wir werden den Politikern Dampf machen.
Wie wollen Sie das machen?
Kopenhagen war ein Weckruf für die Zivilgesellschaft. Wir werden auch die "unüblichen Verdächtigen" an Bord holen, etwa religiöse Gruppen, die jetzt sehen, dass auch sie sich engagieren müssen.
Greenpeace Hand in Hand mit dem Papst?
Wir haben uns bereits mit der Weltkonferenz der Religionen für den Frieden getroffen. Beim Klimawandel erkennt der Vatikan an, dass es notwendig ist, die Erde zu beschützen, und er weiß unsere Arbeit zu schätzen. Die katholischen Hilfsorganisationen wollen beim Klimaschutz aktiver werden. Und ich weiß, wie man Menschen über Grenzen hinweg erreicht: Wir bringen Feministinnen und religiöse Gruppen zusammen, die sich zu 95 Prozent einig sind und nur bei der Frage der Frauenrechte einen Dissens haben. Wir müssen uns auf die Dinge konzentrieren, in denen wir uns einig sind.
Greenpeace soll religiös werden?
Das ist manchmal so berichtet worden, aber das ist Unsinn. Aber wir erkennen, dass religiöse Gruppen ihre Stimmen für Klimagerechtigkeit erheben können und müssen. Wir sehen, dass es auch eine Menge spiritueller Gründe gibt, aktiv gegen Umweltzerstörung vorzugehen. Und von einem strategischen Standpunkt aus ist es klar, dass die Glaubensgemeinschaften eine Menge Menschen erreichen, zu denen wir als Umweltschützer keinen Zugang haben. Wir brauchen diese Menschen aber, um etwas zu bewirken.
Herr Naidoo, Sie sind der erste Greenpeace-Direktor, der aus der südlichen Hemisphäre kommt. Welche Akzente wollen Sie setzen?
Wir sind eine globale Organisation. Und wir müssen konstant daran arbeiten, uns wirklich zu globalisieren, in unseren Aktionen, bei der Finanzierung und der Einstellung von Mitarbeitern. Wir werden sicher damit fortfahren, unsere Kampagnenfähigkeit im Süden zu verstärken. Schon jetzt haben wir schnell wachsende Büros in Brasilien, China oder Indien. Aber natürlich dürfen wir darüber den Norden nicht vergessen.
In Indonesien, im Kongo oder in China gibt es zwar große Umweltzerstörung. Aber die politische Offenheit ist gering, die Medien dürfen oft nicht frei berichten und Politiker werden nicht haftbar gemacht. Aber gerade darauf stützt sich die Arbeit von Greenpeace.
Das ist eine interessante Herausforderung, der wir uns stellen. In solchen Ländern brauchen wir viel mehr Zeit, um Aktionen vorzubereiten, und eine engere Beziehung zur Bevölkerung, um zu erklären, was wir tun und warum: Wir müssen ihr Vertrauen gewinnen. Im November hatten wir ein Klimacamp im Dschungel in Indonesien. Zwei Monate haben wir mit den Leuten dort daran gearbeitet, die Entwaldung zu stoppen. Als die Behörden kamen und sagten, Greenpeace muss gehen, antworteten die Einheimischen: Greenpeace wird gehen, aber erst, wenn die Rodungen aufgehört haben.
Gibt es Aktionsformen, die Sie in diesen Ländern nicht machen?
Wir dürfen nicht waghalsig sein und Menschen gefährden. Es gibt Gegenden, wo man getötet werden kann, wenn man versucht, ein Transparent aufzuhängen. Aber auch in Dänemark kann man für friedlichen Protest für drei Wochen ins Gefängnis kommen, wie unsere Aktivisten beim Klimagipfel gemerkt haben. Und zwei unserer Campaigner stehen in Japan vor Gericht, weil sie illegalen Handel mit Walfleisch aufgedeckt haben. Wir erleben am eigenen Leib, wie das Zusammentreffen so vieler Krisen auch die Bürgerrechte und die Demokratie untergräbt.
Ihre ökonomische und politische Basis ist die Mittelklasse in den Industrie- und Schwellenländern. Aber genau deren Lebensstil erzeugt die meisten globalen Umweltprobleme.
Wir ermutigen diejenigen von unseren Unterstützern, die bereits begonnen haben, ihre Konsummuster in Frage zu stellen und zu ändern. Aber die Frage geht in die richtige Richtung. Denn die Menschen, die uns Geld geben, haben ein bestimmtes Niveau an Reichtum erreicht. Und das ist in unserem ökonomischen System meistens verbunden mit Umweltzerstörung.
Sie werden von den Menschen finanziert, die Sie bekämpfen.
Ja, es gibt diesen Widerspruch. Das ist eine Herausforderung, der wir uns stellen. Aber meine Botschaft ist: Wir müssen unsere Basis verbreitern, in den reichen und den armen Ländern. Wir müssen auch an die Menschen denken, die ums Überleben kämpfen. In meiner Heimat Südafrika haben wir interessanterweise eine starke Basis in der Arbeiterschaft. Und wir müssen neue Wege finden, auf denen uns Menschen unterstützen können, ohne Geld zu zahlen, etwa als Cyber-Aktivisten im Internet.
In der Wirtschaftskrise wird die Kritik am Kapitalismus wieder lauter, auch weil er gravierende ökologische Probleme schafft. Die Stimme von Greenpeace hört man in dieser Debatte nicht.
Wir haben immer beides getan: Die Wirtschaft kritisiert und mit ihr kooperiert, wenn es um Lösungen ging. Wir haben uns mit Coca-Cola zusammengesetzt und ihnen geholfen, die schädlichen Kühlmittel HFC abzuschaffen. Solche Gespräche werden weitergehen. Aber wir müssen uns auch in einer breiteren Debatte engagieren, wenn es um eine nachhaltige Zukunft geht. Der Misserfolg von Kopenhagen, der Sieg der Lobby aus den fossilen Energien, hat diese Diskussion nur noch dringender gemacht. Es wird kaum Fortschritt geben ohne eine breitere Diskussion über den Kapitalismus und die Zukunft des ökonomischen und ökologischen Systems. Mich würde etwa interessieren, was Attac zu den Finanzierungsvorschlägen bei den Klimaverhandlungen sagt. Wir reden mit allen, solange sie friedlich vorgehen.
Was ist mit dem "Peace" bei Greenpeace? Sie sind mal gegründet worden aus Protest gegen Atomwaffen. Inzwischen kümmern Sie sich nur noch um das "Green" im Namen.
Da bin ich anderer Ansicht. Unsere Strategie ist es immer gewesen, Wandel durch friedliche Mittel zu erreichen. Wir trainieren gewaltfreie Konfliktlösung und friedliche Konfrontation. Dieses Profil werden wir beibehalten. Und auch beim Klima kümmern uns um den Frieden.
Ein Beispiel?
Einer der Faktoren im Darfur-Konflikt ist Wasserknappheit. Wir mischen uns weltweit bei den großen Fragen ein - von Frieden und Konflikt, guter Regierungsführung, Menschenrechten, Armut, Umweltfragen zu einem fairen globalen Finanzsystem. Das klingt jetzt vielleicht ein bisschen bizarr, aber der Klimawandel bietet hier beste Möglichkeiten, alle diese Probleme miteinander zu verbinden.
Wie wollen Sie das erreichen?
In meiner Arbeit als Menschenrechtsaktivist habe ich gelernt: Was uns alle verbindet, ist die Liebe zu unseren Kindern, egal ob wir Vorstandsvorsitzender eines globalen Konzerns sind, Chef einer UN-Organisation oder einer Regierung. Dieses Thema reicht über Unterschiede von Rassen und Klassen, von Nord und Süd hinweg. Wir werden das sehr deutlich ansprechen und klar machen, dass die Entscheidungen über Wirtschaft und Umwelt, die wir heute fällen, Entscheidungen über die Zukunft unserer Kinder sind.
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