Graphic Novel über Hannah Arendt: Die Monster aus der Normalität
Heidegger oder Apfelstrudel? „Die drei Leben der Hannah Arendt“ – eine scharfsinnige Denkerin unter Männern, Nazis und als deutsche Jüdin im Exil.
„Zu früh. Zu wütend. Zu klug. Zu dumm. Zu ehrlich. Zu versnobt. Zu jüdisch. Zu wenig jüdisch. Zu liebend, zu hassend, zu männlich, nicht männlich genug“. Der nordamerikanische Autor Ken Krimstein stellt diese Zeilen seiner Graphic Novel „Die drei Leben der Hannah Arendt“ einführend voran. Auf der gegenüberliegenden Seite hat er ein Zitat aus einem Song von Bob Dylan platziert: „Don’t follow leaders, watch the parking meters“. Folge keinen Führern, behalte die Parkuhren im Auge.
Hannah Arendt wurde, wie Krimstein weiter kurz und prägnant vorweg schreibt, „zu einer anderen Zeit in einer verlorenen Welt in einem verlorenen Land geboren, sie war Flüchtling, Philosophin, Denkerin“.
Als junge Denkerin faszinierte sie Intellektuelle in den 1920ern beim Studium in Marburg, Freiburg und Heidelberg, im Romanischen Café in Berlin. Als Flüchtling gelangte sie 1933 ins Pariser Exil. 1937 bürgerten die Nazis sie als jüdische Deutsche aus. Nach der Besetzung Frankreichs durch die deutschen Truppen flüchtete sie weiter nach Lissabon. Sie konnte auch ihre Mutter retten, neue Heimat wurden die USA. Arendt galt als scharfsinnige wie streitbare Persönlichkeit.
„Kein Mensch hat bei Kant das Recht, zu gehorchen,“ sagte sie in einem Interview, wobei der Satz gerne ohne „bei Kant“ weiterverwendet wurde. Er charakterisiert ihre individualistische, liberale und freiheitliche Grundhaltung ganz gut.
Banalität des Bösen
Ihre Werke wie „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“ (1950) oder „Vita activa oder Vom tätigen Leben“ (1958) sind heute Klassiker der Demokratie- und Totalitarismusforschung. Mit „Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen“ (1963) löste sie eine lange anhaltende Kontroverse aus. SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann ist einer der Hauptorganisatoren bei der Vernichtung der europäischen Juden gewesen.
Ken Krimstein: „Die drei Leben der Hannah Arendt“.
Deutsch von Hanns Zischler, dtv, München 2019. 244 Seiten, 16,90 Euro.
Nachdem ihn israelische Agenten 1960 in Argentiniens Hauptstadt Buenos Aires aufspürten – wo er kaum getarnt bei Daimler-Benz arbeitete und anderen Nazis wie Willem Sassen ungeniert Interviews gab –, konnte er nach Jerusalem entführt und vor Gericht gestellt werden. Hannah Arendt beobachtete den Prozess. Dass sie das Böse in Gestalt des kalten Technokraten Eichmann als banal bezeichnete, darüber entrüsteten sich viele. Heute ist es gängige Redewendung und Denkmodell. Das Böse ist mitten unter uns, der Normalität entspringen die Monster. Und Eichmann? „Eine mit Sägemehl ausgestopfte Puppe.“
Arendts Biografie einer Frau, Jüdin, Meisterdenkerin allein unter Männern und im Angesicht des Holocaust, ihre herausgehobene Stellung in der Geschichte der Politischen Theorie könnte leicht zu einer gewissen Heroik in der Darstellung verführen. Der Comicautor Ken Krimstein widersteht dem zum Glück.
Er unterstreicht in seiner Erzählung die Ambivalenz der Existenz, es gibt keine glatten Lebensläufe. Im Stile des Bad Painting berichtet er Episoden aus Arendts Königsberger Kindheit, dem säkular eingestellten jüdischen Elternhaus, dem frühen Tod des Vaters, erzählt von ihren philosophischen Liebschaften (Heidegger), den Enttäuschungen, ihrem Freiheitswillen, den philosophischen Freundschaften (Walter Benjamin!), Zionismus, Nazis, Lagern, New York und dem Weiterleben nach 1945.
Antisemitismus und Liebe
Krimsteins antiautoritärer Witz erinnert ein wenig an das Duo Sempé/Goscinny und den schelmenhaften „kleinen Nick“. Aber mit dem Vergleichen ist das so eine Sache. Auf alle Fälle verweigert sich diese Graphic Novel dem häufig üblichen Glattbügeln menschlicher Widersprüche. Im ersten Kapitel, „Die Sorgen der kleinen Hannah“, hebt Krimstein eine Episode hervor, in der ein Junge Hannah in Königsberg antisemitisch beschimpft.
Später wird derselbe Junge Hannahs erster Liebhaber sein. Und das auch, wenn für Hannah Arendt seit der Jugend außer Frage stand, was ihre Mutter, sie lehrte: „Wenn man als Jude angegriffen wird, muss man sich als Jude verteidigen.“
Krimstein folgt in seiner zeichnerischen Interpretation der Arendt-Biografin Elisabeth Young-Bruehl. Und er erweist sich dabei selber als ausgezeichneter Kenner des Werks Arendts, der politischen Theoretikerin, die selber keine Philosophin genannt werden wollte. Auf humorvolle Weise, aber auch mit dem nötigen Respekt versehen, gelingt es ihm, zentrale Motive der Arendt’schen Theorie in eine überzeugende Comic-Fiktion zu übertragen, und mit ihrem spannenden und engagierten Leben zu verbinden.
Alltägliches und Zeitereignisse, Banales und Theoretisches bilden eine Einheit, ohne dass die Leser*innen aus Ehrfurcht vor einem überhöhten Kathederwissen in die Knie gehen müssten.
Dämon Heidegger
Krimstein stilisiert Arendt oft mit spitzem, schmalem und kantigem Gesicht. Sie hat in jüngeren Jahren einen fragenden, trotzigen, eigensinnigen Blick, der später milder und melancholischer erscheint. In einer Hand hält sie zumeist die vor sich hin qualmende Zigarette. Die Bilder sind in Schwarz-Weiß angelegt, einzige Ausnahme sind Einsprengsel von Patinagrün. Damit betupft der Zeichner Blusen, Kleider, Mäntel und manchmal auch Schmuck seiner Hauptfigur. Dies wirkt irgendwie selbstverständlich und hebt sie von den vielen anderen Personen der Erzählung dezent ab.
Etwa von jenem Dämon namens Martin Heidegger, den sie seit ihren Studienjahren in Marburg kannte, liebte und nie mehr wirklich loswerden sollte. „Mein Verstand schlägt Kapriolen. Zum ersten Mal hat einer die Kühnheit, die Seinsfrage zu stellen.“ Die beiden waren ein geheimes Liebespaar, bis er sie wegschickte. Schon bevor Hannah Arendt 1933 ins Exil gehen musste, wandte sich Heidegger begeistert der neuen Zeit zu und gedachte seine völkisch-elitären Ideen in die Nazibewegung einzubringen.
Er trat der NSDAP im Mai 1933 bei und führte als Rektor in Freiburg die Universität ins Dritte Reich. Ein Jahr später schmiss er hin. Die Nazis waren ihm nicht radikal genug. Im Kapitel „Heideggers Hütte“ erzählt Krimstein von einem Besuch Arendts bei den Heideggers in deren Schwarzwaldhütte nach 1945. „Was ist in seinen Augen? Liebe, Lust, Lügen?“ Und an anderer Stelle hält sie ihr einsames Zwiegespräch mit dem Abwesenden: „Hast Du es immer noch nicht begriffen? Die Wahrheit gibt es nicht – nur Wahrheiten.“
Krimsteins sarkastisch-schnoddriger Erzählstil sorgt dafür, dass diese große Geschichte trotz ihres ernsten Hintergrunds und ihrer theoretischen Genauigkeit eine gewisse Unaufgeregt- und Lockerheit behält.
„Was ist der Sinn des Lebens?“, wird Arendt in einer Episode von einer berühmten, sehr berühmten Person in der Graphic Novel gefragt. Krimstein lässt die Philosophin, die keine sein wollte, schlicht und präzise antworten: „Der Apfelstrudel im Romanischen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Fragestunde mit Wladimir Putin
Ein Krieg aus Langeweile?
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin