: Gott und Gorleben
PROTEST Am Atomlager im Wendland treffen sich seit 20 Jahren jeden Sonntag Christen zum Gebet
Sie halten Andachten, beten, und manchmal singen sie auch Lieder. Jeden Sonntagnachmittag kommen Christen am Endlagerbergwerk im Gorlebener Wald zum Protest gegen Atomkraft zusammen – leise, aber beharrlich. Nach mehr als tausend solcher Treffen feiert die Ökumenische Initiative Gorlebener Gebet an diesem Wochenende ihr 20-jähriges Bestehen.
Das sogenannte Gorlebener Gebet ist fester Bestandteil des Widerstands gegen die Atomanlagen im Wendland. „Wir sind selbst erstaunt, dass in den ganzen Jahren keine einzige Andacht ausgefallen ist, auch bei Regen, Sturm und klirrender Kälte nicht“, sagt die langjährige Organisatorin Katja Tempel. Die Gebete und Andachten werden abwechselnd von Jugendgruppen, Chören, Umweltinitiativen und Pastoren vorbereitet. Manchmal kommen nur 10 oder 15, an anderen Sonntagen wie vor den Castortransporten bis zu 200 Leute zu den zwei Holzkreuzen in den Wald.
1985 trugen die Teilnehmer eines „Kreuzwegs für die Schöpfung“ ein erstes Holzkreuz vom Atomkraftwerk Krümmel in einem achttägigen Marsch bis nach Gorleben. Heftige Auseinandersetzungen mit der Amtskirche und den Behörden begleiteten diese Aktion.
Drei Jahre später beteiligten sich rund 6.000 Menschen an einem zweiten Kreuzweg; er führte von der damals geplanten Wiederaufarbeitungsanlage im bayrischen Wackersdorf über mehrere Atomstandorte ins Wendland. 1.113 km in 63 Tagen.
Beide Kreuze wurden gegenüber der Endlagerbaustelle in den Boden gerammt. 1989 waren sich 51 Entschlossene, wie es im Protokoll heißt, einig: Die Gorlebener Kreuze sollten zu einer Stätte regelmäßigen gemeinsamen Gebets werden. Im Oktober 2001 schleppten Atomgegner in einem weiteren Kreuzweg entlang der Castor-Transportstrecke von Lüneburg nach Gorleben ein neues Holzkreuz heran, um eines der morsch gewordenen Kreuze zu ersetzen.
Die Ausdauer des Protests hat den Gebeten im Wald in der Antiatombewegung Respekt verschafft. „Früher hatte man das Gefühl, dass das Gorlebener Gebet vom Widerstand belächelt wird. Das ist heute anders“, sagen die Koordinatoren. Auch innerhalb der offiziellen Kirche sind die Andachten längst anerkannt.
Für das Jubiläumskonzert zum 20-Jährigen am Samstag stellt die evangelische Gemeinde in Langendorf ihr Gotteshaus zur Verfügung. Am Sonntag gibt es zunächst einen Pilgerweg zum Endlagerbergwerk. Anschließend wird in der Widerstandskneipe Gasthaus Wiese in Gedelitz mit Redebeiträgen aus der Geschichte des Gorlebener Gebets gefeiert. Das Motto des Jubiläums lautet: „20 Jahre Horchposten zwischen Gott und Zwischenlager“. REIMAR PAUL