: Gott ist ein Kitschbär
Das sechste „reich & berühmt“-Festival im Podewil war Schaufenster des Poptheaters
von STEFAN STREHLER
Nicht weil die jungen, experimentellen Theatermacher so viel zu sagen hätten, sondern weil sie so raffinierte Performer sind, saß man in den letzten Jahren oft wie in einer Märchenstunde in ihren Aufführungen und staunte über all das Glitzerzeug, das im Abba- oder Ambientsound über die Clubbühnen geschleust wurde. Vielleicht halfen einem Roland Barthes' Mythen des Alltags noch weiter, aber ganz sicher musste man weder Shakespeare noch Brecht oder Peter Stein kennen, um diese Art von Schauspiel zu verstehen. Pop war endlich im Theater angekommen. Und damit auch Zufall, Spaß, Ironie, Affirmation, Simulation und lässige Vieldeutigkeit. Das Theaterzeichenuniversum, ohnehin eine schwer durchschaubare Welt, explodierte und allerorts flogen einem ästhetische Bruchstücke aus den Club- und Videospielcharts um die Ohren. Die Off-Szene betrieb die Musicalisierung des Theaters von unten. Unterhaltung war ausgerechnet in dem Segment zu einem unverzichtbaren Bestandteil geworden, das sich lange Zeit oppositionell zu den etablierten Institutionen verstanden hatte.
Das soeben zu Ende gegangene sechste „reich & berühmt“-Festival im Podewil ist Schaufenster dieser Entwicklung und Katalysator zugleich. Es zeigte sich weit, weit offen und das „Eigentlich war’s das“-Gefühl verwandelte sich immer mehr in ein „Jetzt geht's erst los“-Gefühl. Am meisten enttäuschte noch das Forum Freies Theater Düsseldorf mit Falk Richters „Gott ist ein DJ“ (Regie: Kathak Schroth), dem Stück über die Kinder der 90er-Jahre, in dem alles vorkommt, vom Jeff Koons Kitsch bis zum Big-Brother-Ambiente, ein mittelmäßiges Stück, das man am Stadttheater für aufregend halten mag.
Das LOT-Theater aus Braunschweig hat mit Poptheater nie etwas am Hut gehabt. Die Gruppe entwickelte sich seit den 80er-Jahren von einem theatralischen Drittwelt-Projekt zum Performerkollektiv, das Gesellschaftskritik nicht aufgegeben hat. Ihre Peepshow-Installation führt die tobende Innenwelt eines Arbeitslosen vor, der sich im geistigen Kriegszustand mit seiner Außenwelt befindet. Als Zuschauer sitzt man um einen Glaskäfig und sieht zwei Männern dabei zu, wie sie sich auf eine Aktion vorbereiten, die nie stattfinden wird. Über Lautsprecher hört man verzerrt den inneren Monolog. Melodramatische Musik läuft dazu. Es herrscht eine trügerische und ohnmächtige Ruhe. Dieser Theaterinstallation gelingt etwas, was 1.000 Fernsehdokumentationen sonst nicht schaffen. Man spürt die zerstörerische, brodelnde Energie hinter der Fassade der Arbeitslosengeldversorgung.
Eine andere Art Energie erzeugt der Autorenregisseur Rene Pollesch mit seinem Hochgeschwindigkeitstheater, einer umwerfend einfachen Form, mit der man aus Seifenopern Wahrheiten destillieren kann. Das Erstaunliche an Pollesch ist, dass er irrsinnig komisch und atemberaubend unterhaltsam ist und ganz nebenbei die Verhältnisse aufbricht, als sei Theater eine Nussknackmaschine. Seine Kunstfigur Heidi Hoh, von drei Schauspielerinnen gesprochen und geschrien, offenbart in einer Stunde alle Nuancen der Coolness, Verzweiflung und Widerständigkeit, die einen im Getriebe der Dienstleistungsökonomie heimsuchen können. Der Schrei „Ich halt’s nicht mehr aus“ steht bei Pollesch neben dem Wunsch nach einer geklonten Identität. Das heillose Durcheinander, das er entwirft, entpuppt sich als größtmögliche Klarheit.
Gudrun Herrbold betreibt ihr Laientheater auf Grundlage persönlicher Recherchen. Nachdem sie mit Frauen im Knast arbeitete, hat sie nun einen Abend über Boxerinnen gemacht und fast alle Peinlichkeit, die Authentizität im Theater sonst anhaftet, ist abwesend, wenn die beiden Boxerinnen erzählen. Als sie zum Abschluss eine Runde kämpfen, versteht man Graciano Rocchigiani: „Für mich is det totaler Quatsch, det janze Jerede über Boxen als Kunstform. Wat soll det?“ Genau, erzählt von eurer Welt. Unterhaltet uns mit der Wahrheit.
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