: „Gott“ existiert als Begriff
betr.: „Bilder und Töne der Natur“, Cord Riechelmann zum „Atlas der Schöpfung“, taz vom 11. 7. 07
C. Riechelmann schreibt, dass „Wissenschaft nur möglich (ist) unter der Annahme, dass es keinen Gott gibt“. Hierbei gilt es zu bedenken, dass „Gott“ als Begriff existiert wie jeder andere Begriff auch. Nimmt man Gott als einen das Materielle transzendierenden Begriff, so muss man allerdings feststellen, dass auch die Naturwissenschaft häufig, fast regelhaft transzendiert: bei allem, was nicht direkt materiell zu registrieren ist. Insofern kann auch Materielles für den Menschen (auch den Wissenschaftler) transzendent sein.
Nehmen wir zum Beispiel die Zuordnung für die „Steuerung“ des menschlichen Organismus zum „Gehirn“. Dieses existiert neben seiner materiellen Existenz begrifflich: Gehirn. Wenn man annimmt, dass es „alles steuert“, so kann trotzdem kein Mensch sein Gehirn registrieren noch direkt beeinflussen. Denn dann müsste es sich selbst beeinflussen: das auch schon angenommene „Selbstreferentielle“. Die vier Kriterien: 1. begrifflich vorhanden, 2. angenommene Funktion, 3. nicht registrierbar für den Menschen wie 4. nicht beeinflussbar treffen (für den „Gläubigen“) in gleicher Weise auf „Gott“ zu wie auf das „Gehirn“. Wurde hier nicht für die Menschen, die diese heutige Annahme für gültig halten, lediglich eine frühere Transzendenz („Gott“) durch eine heute gültige Transzendenz („Gehirn“) ersetzt?
Auch wenn die Naturwissenschaftler heute meist nicht mehr „Gott“-gläubig sind, so haben sie die Transzendierung noch lange nicht überwunden. Denn die ist gebunden an die Sprache. Wie aber die Sprache aufgrund der körperlichen Differenzierung des menschlichen Organismus zustande kommt, ist bis heute ein offenes Problem. Und mit diesem Defizit schlägt sich die Evolutionstheorie in gleicher Weise herum wie der Kreationismus, auch wenn es die Vertreter des Letzteren sicherlich weniger kümmert.
TIGRIS SEYFARTH, München