„Goldene Zitronen“ über neues Album: Erst die Musik, dann der Text
Die Goldenen Zitronen wuseln mit ihren Texten auf vielen kleinen Baustellen. Ein Streitgespräch über böse Investoren, Mittelstands-Warhols und Punk-Gesten.
sonntaz: Ihr neues Album heißt „Who’s bad“. Wer ist böse?
Schorsch Kamerun: Wir lassen die Frage offen. Vielleicht ist sie selbstironisch gemeint. Außerdem ist sie eine Referenz an Michael Jacksons „Bad“.
Ted Gaier: Was denken Sie, wer die Bösen sind?
Im Englischen kann „bad“ auch „geil“ bedeuten. Sie halten es also in der Schwebe.
Kamerun: Ist das Geile vielleicht das Böse?
Gaier: Sind wir selbst das Böse?
Mense Reents: Weil wir so geil sind?
Das neue Album, „Who’s bad“, erscheint am 22. September bei Buback Records (Indigo/Finetunes). Es enthält 15 zum Teil kämpferische Songs, darunter das Agitprop-Lied „Echohäuser“. Es erklärt sich solidarisch mit der Initiative für die Erhaltung der sogenannten Essohäuser am Spielbudenplatz im Hamburger Vergnügungsviertel Sankt Pauli. Diese wurden 2009 an die Bayerische Hausbau GmbH verkauft und sollen trotz Protesten der Bewohnermehrheit abgerissen werden.
Die Band: Die Goldenen Zitronen existierten seit 1984. Von ihren Funpunk-Anfängen hat sich die Hamburger Formation mühsam Ende der Achtziger losgesagt. In den Neunzigern Annäherung an die Bands der Hamburger Schule. Inzwischen als Elder Statesmen des Diskurskrautrocks mit Alleinstellungsmerkmal. Verbliebene Gründungsmitglieder: Schorsch Kamerun und Ted Gaier.
Das Interview: Fand Mitte August in der Markthalle Berlin-Kreuzberg statt. Die anwesenden Zitronen aßen Schnitzel und Tatar.
Gaier: Oder, weil wir böse Moralisten sind?
Am Ende Ihres Albums singt die Wiener Musikerin Gustav: „Wer hier dabei ist, kann nicht nur dafür sein.“ Für was?
Gaier: Man könnte meinen, dass dies Bekenntnis erfordert von unseren Hörern. Wenn Sie uns gut finden …
Kamerun: Ich dachte dabei eher an den US-Künstler Chris Korda und seine „Church of Euthanasia“. In dem Sinne, dass man für das jeweilige Windmachen, egal wie es ausfällt, gar nicht sein kann.
Ihre Texte sind voller Aufzählungen. Es beginnt im Auftaktsong „Scheinwerfer und Lautsprecher“, der von Botschaften, Transportern und Slogans handelt.
Kamerun: Der Erzähler spaziert durch etwas hindurch. Die Aufzählung ist im Brinkmann’schen Sinne und prasselt nur so auf ihn ein. Auch der Sound prasselt nur so auf ihn ein. Es geht darum, ob man es schafft, dagegen anzugehen, die Message umzudrehen.
In Ihrem Song „Unter der Fuchtel“ zählen Sie neurotische Störungen auf.
Gaier: Die habe ich dem psychologischen Lexikon meines Vaters entnommen.
Ihre Sprache fühlt sich an, wie saurer Regen. Was haben Sie an Sprache auszusetzen?
Warum der Berliner Senat in den 70ern Straßenkinder von Pädophilen betreuen ließ, lesen Sie in der Titelgeschichte „Die Väter vom Bahnhof Zoo“ in der taz.am wochenende vom 14./15. September 2013. Außerdem: Eine Profilerin über Fehler beim Morden. Und: Die goldenen Zitronen über die Times-Squareisierung Sankt Paulis und linke Ghettos. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Gaier: Was fahren Sie denn gerade für einen Film?
Ich spreche hier von Ihren Texten.
Kamerun: Wir haben große Freude an der Sprache. Es gibt sie, damit man all die Dinge benennen kann.
Sie arbeiten ihre unangenehmen Seiten geradezu lustvoll heraus.
Kamerun: Es ist doch wundervoll, was Sprache alles kann. Man weiß seit Walter Benjamin, dass Sprache letzten Endes auch unangenehm und ungenau ist. Saurer Regen beschreibt das ganz gut.
„Der Recherche-Shaker“ aus Ihrem Song „Ich verblühe“. Begriffe wie dieser riechen nach kapitalistischen Lösungsorientierungen. Ich nehme an, absichtlich.
Kamerun: Wir sind Nutznießer der Vielseitigkeit und Komplexität von Sprache. Das macht uns aus.
Aber machen Sie es sich im Todesstreifen der Marketingsprache nicht zu bequem? Und wo bleiben Ihre Befindlichkeiten?
Gaier: „Unter der Fuchtel“ hat mit eigener Befindlichkeit zu tun. Das muss man psychoanalytisch lesen.
Ihr Album „Lenin“ implizierte schon im Titel ein großes Projekt. „Who’s Bad“ wuselt dagegen auf vielen kleinen Baustellen. Hier der böse Investor, da ein „mittelständischer Warhol“.
Gaier: Der mittelständische Warhol aus dem Song „Ich verblühe“ könnte in uns selbst drinstecken.
Kamerun: Der Investor ist dagegen wirklich ein Bösewicht.
Ihr Song „Echohäuser“ beschreibt Vorkommnisse um umkämpfte Wohnblocks auf Sankt Pauli.
Gaier: Da spricht auch schon wieder eine adornitische Skepsis aus dieser Bemerkung.
Jetzt schmeicheln Sie mir.
Gaier: Diese neue kritische Linke, für die ist alles verdächtig, was identitär ist.
Ihre Parteilichkeit kommt in dem Song etwas platt rüber.
Kamerun: In den vier Jahren, in denen ich in München gewohnt habe, beschlich mich konstant das Gefühl, dass ich an nichts aktiv teilnehme, was passierte. Wobei es dort ja auch Proteste gegen Gentrifizierung gibt. In Hamburg kämpft man noch selbst. Und das impliziert dann auch solche Songs und das in ihnen zum Ausdruck gebrachte Recht auf Teilhabe. Ob Essohäuser oder Pudel-Club, wir werden hier nicht nachlassen und diese auch nicht hergeben.
Gaier: Im Falle der Essohäuser geht es um alte Kiezianer, die dort wohnen bleiben sollen. Ich arbeite dort in einer Bürgerinitiative. Da gibt es den kanakischen Sozialarbeiter, der nicht versteht, warum seine Kollegen immer von „MieterInnen“ reden. Da wohnen auch pensionierte Seefahrer. Das ist kein linkes Ghetto. Man setzt sich da mit vielen Widersprüchen auseinander. Ich kämpfe nicht für mich, sondern für meine Nachbarn, egal wie dick die Brieftasche ist. Die Idee war, wie beim „Rauchhaus-Song“ der Scherben, einen realen Kampf zum Anlass zu nehmen, um einen Song zu schreiben, der für andere Kämpfe Mut macht. In Süddeutschland beruft man sich noch heute als Hausbesetzer auf den „Rauchhaus-Song“, ohne genau zu wissen, warum. Es geht eher um den Spirit.
Beschreiben Sie bitte das Idealbild der Stadt, in der Sie leben wollen?
Reents: Sie ist auf alle Fälle heterogen.
Gaier: Urbanität ist verdichtete Unterschiedlichkeit. Wir müssen dafür Sorge tragen, dies zu erhalten. Ein Kiez hat hohe Fluktuation. Es heißt ja, wir wollen etwas erhalten, was sich schon längst verändert hat. Aber es geht darum, ob Veränderung okay ist. Sankt Pauli war nie für Investoren interessant, sondern für Kleinkriminelle und Menschen mit einem Verständnis für Subkultur, etwa die Betreiber des Musikclubs Molotov. Wenn ein Investor ganze Wohnblocks plattmacht, droht Times-Squareisierung. Kreative und Prolls machen den Stadtteil lebenswert, nicht die jungen Kleinfamilien. Für eine lebenswerte Stadt müssen alle Bewohner befragt werden, was ihre Bedürfnisse sind. Wohnraum ist keine Ware.
Warum zählen Sie in dem Song „Europa“ dann Industriegebiete und Fußgängerzonen auf? Sehnsucht nach gestern?
Gaier: New-Wave-Romantik muss erlaubt sein, so wie bei „Zurück zum Beton“ von S.Y.P.H.
Auch der Wumms in dem Song „Der Investor“ ist an diese Romantik angelehnt.
Gaier: Kann es sein, dass Sie uns eine gewisse Überlegenheitsgeste unterstellen, die Sie in der Musik wähnen?
Nein, so höre ich Musik gar nicht. Sie machen es Ihren Hörern diesmal aber schwer, Musik und Texte in eins zu setzen. Für „Unter der Fuchtel“ haben Sie ein nervöses Lennie-Tristano-Piano als Begleitung gewählt, das funktioniert.
Gaier: Das sind eher Piano-Cluster.
Reents: Wer ist Lennie Tristano?
Gaier: Ach, das ist so ein Latinjazzer.
Nein, es ist einer der Begründer des Freejazz.
Kamerun: Wir machen immer zuerst Musik. Und dann bauen wir sie mit Texten aus.
Die Neurosen sind also eine Entsprechung des Piano-Clusters?
Kamerun: Manchmal habe ich die Aufgabe, das vorherrschende Gefühl zu unterstützen oder zu konterkarieren. Das Ganze noch weiter zu treiben. „Unter der Fuchtel“ empfinde ich als sehr konstruiert. Manchmal wirken Ted Gaiers Parts auch wie angeklebt.
Gaier: Wir sind zwei Bands: Eine instrumentale Krautrockversion und eine textlastige Version mit einem sehr speziellen Sänger, der sehr speziell singt. Es ist ein ewiger Kampf, die Balance zu halten.
Auf dem Waschzettel behauptet Jochen Distelmeyer, Goldene Zitronen seien eine Schnittmenge aus „Can, DAF und RAF“.
Gaier: Das hat uns Diedrich Diederichsen vorgeworfen, dass wir mit dem größtmöglichen Radikalen als Lösung kokettieren würden. Wobei, es stimmt ja nicht. An Can ist aber was dran.
Can studierten bei Stockhausen, Sie kommen aus dem Punk. Eine Szene, deren Gewalttätigkeit Sie im Song „Rittergefühle“ thematisieren.
Gaier: Punk ist eine Imitation von Krieg, hat Joe Strummer gesagt. Auch wir haben gerne mit den Symbolen von Militarismus gearbeitet, um die Hippies zu ärgern. Bei vielen Leuten ist eine Haltung daraus geworden. Punker sagen zu den Schlaffis im Geiste: Hast du überhaupt gedient?
Kamerun: Ich kann das Stück nicht gutheißen, ohne auch mich selbst dabei mitzudenken. Das ist ganz wichtig. Diese Ritterlichkeit liegt auch im eigenen Versuch.
In den Achtzigern trugen Sie Fußballschuhe. Das Gegenteil von Punk-Klischee.
Gaier: Und Damenplastikblusen mit Schlafanzughosen. Es war ein Reflex, dass die Maskerade mit Nietengürteln und Lederjacken nicht mehr hinhaute.
Kamerun: „Rittergefühle“ geht um Verbandelungen, die sich weiter im Geschäft halten. Das ist ein Elend. Sich dem überlegen zu fühlen aber auch.
Damals gehörten Sie nicht zum gegenkulturellen Establishment. Und heute?
Kamerun: Ich kenne das Gefühl gar nicht, dass ich meinen Platz gefunden habe. Ich habe immer das Gefühl, dass ich neu anfangen sollte. Ausruhen funktioniert bei mir nicht.
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