Götz Alys 68er-Buch "Unser Kampf": Der Studienräte-Schocker
Götz Aly entlarvt in "Unser Kampf" die 68er als heimliche Nazis. Ein unernstes Buch zu einem ernsten Thema, unterhaltsam wie ein "Donald Duck"-Heft.
Götz Aly, 60, ist Historiker und Journalist. Er lebt als Privatgelehrter in Berlin. In den 70er-Jahren war er Mitglied der linksextremen Roten Hilfe. Alys Forschungsschwerpunkt war und ist der Nationalsozialismus. Seine Arbeiten zur NS-Bevölkerungspolitik und den ökonomischen Motiven des Judenmords fanden Anerkennung, erregten aber auch starken Widerspruch, etwa von dem Publizisten Dan Diner und dem Historiker Hans-Ulrich Wehler. In der Zunft der Zeithistoriker blieb er ein Außenseiter. Zu seinen bekanntesten Werken zählen die mit Susanne Heim verfasste Studie "Vordenker der Vernichtung", das Werk "Endlösung" sowie "Hitlers Volksstaat", in dem er die NS-Sozialpolitik und die Ausbeutung der besetzen Länder Europas als Quelle der Massenzustimmung zu Hitler deutete. Alys Thesen wurden von dem britischen Wirtschaftshistoriker Adam Tooze grundlegend kritisert. Aly war außerdem als Journalist Mitarbeiter der taz. Von 1997 bis 2001 war er Redakteur der Berliner Zeitung.
Die vergangenheitspolitischen Schlachten um "1968", um Joschka Fischer und Jürgen Trittin sind längst geschlagen, diskursive Gewinne kaum mehr zu erwarten. Das Thema "1968" ist auf dem besten Weg, historisiert zu werden. In den letzten Jahren hat sich ein erfreulich nüchterner Blick auf "68" entwickelt. Dieser Blick ist fern von der Heldengeschichte, in der ein paar tausend Studenten der Bundesrepublik erst die echte Demokratie bescherten. Und ebenso fern von der verbiesterten konservativen Lesart, in der die Revolte eine hypertrophe Spinnerei war, die Familie und Arbeitsmoral zersetzte. Der neue, distanzierte Blick fokussiert, dass der Gewinn an Freiheiten Ende der 60er-Jahre viel mit einschneidenden sozialen Veränderungen zu tun hatte, etwa dem Übergang von einer Arbeits- zur Freizeitgesellschaft und der Entwicklung von Massenuniversitäten. Die Studentenrevolte erscheint in dieser Sichtweise mehr als Beschleuniger denn als Ursache des Wertewandels in den 60ern. Hinzu kommt, dass auch die Linke akzeptiert hat, dass die RAF ein Nebenprodukt von "1968" war und die Revolte insofern gehörig an Glanz verloren hat - während umgekehrt Rechte wie Eberhard Diepgen ihr Positives abgewinnen. Der endlose Grabenkampf um "1968" scheint zu Ende zu gehen.
Wer in dieser entspannten Lage doch noch Erregungswellen auslösen will, muss zu schwerem Gerät greifen. Und das sicherste Mittel, um hierzulande Aufmerksamkeitsgewinne zu erzielen, ist noch immer der Nazi-Vorwurf. "Unser Kampf" heißt daher Götz Alys Anti-68er-Polemik.
Die Vorwürfe lauten ungefähr so: Die 68er waren vor allem Kinder ihrer Nazi-Eltern. Sie haben, wie NS-Studenten in den 30er-Jahren, jüdische Professoren drangsaliert. Sie haben sich mit aller Kraft gegen die Aufklärung von Auschwitz gestemmt und daher logischerweise "USA-SA-SS" gebrüllt. Sie sind dem Massenmörder Mao hinterhergelaufen, so wie ihre Väter Hitler. Die Rätedemokratie, von der sie träumten, war keine libertäre Utopie, sondern eine verkleidete Neuauflage des NS-Ständestaats.
Handfest bewiesen wird eigentlich nichts, dafür wird viel nahegelegt, insinuiert und assoziativ verbunden. Um diese steilen Thesen plausibel zu machen, greift Aly öfter zu Begriffen wie "erinnert an" oder "analog". So erinnert ihn Dutschkes Fantasie, wie die Studentenbewegung die Macht übernehmen könnte, an Hitlers Machteroberung. Er verweist darauf, dass sich "die nationalsozialistische Studentenbewegung ebenfalls Studentenbewegung nannte". "Analog" zu der Frage, was die Deutschen über den Judenmord wissen konnten, ergibt sich "für die Mao-Bewunderer die Frage, was sie hätten wissen können".
Zweifellos ist interessant, was 1968 im Westen verlässlich über den Terror der Kulturrevolution bekannt war. Aber ist es wirklich vergleichbar mit der Frage, was die Deutschen von 1933 bis 1945 wussten, mit ansahen oder von ihren Söhnen und Ehemännern aus dem Osten hörten? Kann man den kollektiven Verdrängungsprozess, der einschloss, bei der Reichkristallnacht die Tür zuzumachen und die antisemitische Propaganda zu überhören, mit dem Treiben von ein paar tausend Studenten "analog" setzen, die in den 70er-Jahren ihre Zeit damit verplemperten, morgens um fünf am Werkstor Arbeiter mit Mao-Elogen anzuöden?
Die Wiedergänger
Eigentlich nicht. Doch Aly will die Maoisten unbedingt als Wiedergänger ihrer Nazi-Eltern dingfest machen. Der Maoismus war eine totalitäre Ideologie, allerdings war er auch eine globale Erscheinung, die von der Türkei über Peru bis zu den Philippinen reichte. Bei Aly erscheint der Maoismus als deutscher Psychodefekt. "Unser Kampf" ist überhaupt ein sehr deutsches Buch. Dass "68" ein internationales Ereignis war, kommt der Einfachheit halber kaum vor. Denn das würde womöglich die tonnenschwere Schuld relativieren, die die deutschen "68er" auf sich geladen haben. Und Schuld relativieren, das kommt hier keinesfalls in Betracht.
"Unser Kampf" ist ein Anti-68er-Buch, das in seiner Mischung aus Hypermoral und Schnodderton selbst ziemlich 68erhaft wirkt. Es zielt auf Skandal, will provozieren, ist tendenziös und verbindet hochfahrenden Wahrheitsanspruch mit entschlossener Verengung des Blicks. Denn in "Unser Kampf" geht es fast nur darum, an dem, was die Kader der Bewegung so dachten, kein gutes Haar zu lassen, kaum aber um Sex, Musik, Kultur und Alltag. Alys Ironie hat auch nichts Entspanntes, sie ist schneidend und arrogant. Wir dürfen uns den Studenten Aly als rabiaten jungen Linksextremisten vorstellen, der auch mal handgreiflich wurde und Studienräte schockierte. Und wir können uns den 60-jährigen Herrn Aly als nun zum Konservativen gereiften Privatgelehrten vorstellen, der noch immer gerne Studienräte auf die Palme bringt.
Ein Irrtum ist allerdings, dass die These von den 68ern als Wiedergängern der NS-Studentenbewegung von Aly stammt. Genau dies hat z. B. vor zehn Jahren, anlässlich der "30 Jahre 1968"-Feier, der CSU-Haudegen Peter Gauweiler in der taz vertreten. Die 68er hätten, so Gauweiler, durch "öffentliche Provokationen, als Stürmer und Dränger gewirkt. Die Stimmungsparallele zu deutschen Generationsideen früherer Jahrzehnte - man denke an den als 19-Jährigen bei einer anderen Revolte erschossenen Studenten Horst Wessel - oder früherer Jahrhunderte, als die Leiden des jungen Werther literarisch veredelt wurden, sind offensichtlich: Gegen das Hausvaterleben, für eine neue Zeit." Viel anders liest es sich auch in "Unser Kampf" nicht. Allerdings ist Gauweilers Ton eher lyrisch, der Alys schroff wie vor Gericht. Das Copyright für die Formel "SDS = SA" liegt übrigens bei der Springer-Presse. 1967 druckte sie eine Karikatur, in der die Studenten als rasender SA-Mob erschienen - und der Springer-Konzern entsprechend als Opfer, als "Juden".
"Unser Kampf" ist das Buch eines Renegaten, daher der Hang zur Überkompensation. Viele 68er missachteten die staatlichen Institutionen - deshalb hebt Aly zu einem Loblied auf die bundesdeutsche Justiz an, die in vorbildlicher Weise tat, was die 68er unbedingt verhindern wollten: NS-Täter jagen. Dass die bundesdeutsche Justiz keinen einzigen NS-Juristen je verurteilte, dass sie sich frech selbst amnestierte, wird schlicht verschwiegen - ebenso wie die Verdienste des SDS in den frühen 60ern um Aufklärung von NS-Verbrechen.
Die 68er waren allerdings nicht nur heimliche Nazis, sondern vor allem totale Versager - nämlich Sozialbetrüger, Berufsrevolutionäre, Maoisten und Müsliesser. Typisch waren Karrieren wie die der "mit 40 Jahren frühpensionierten, vormals kommunistischen Lehrerin, die sich bei ehedem vollen Bezügen in eine Landkommune zurückzog." Der rot-grüne Senat in Westberlin hatte, so Aly höhnisch, einzig den Zweck, "linke Projekte mit Steuergeldern zu berieseln".
Ziemlich rätselhaft bleibt dabei, wie die hippiehafte Wohlstandsbequemlichkeit und der schauerliche Mangel an Leistungswillen, den Aly seiner Generation bescheinigt, zu der Nazi-Analogie passt. Waren die 68er nun zu allem entschlossene Finsterlinge oder eher Schlaffis, denen eine Weltrevolution echt zu viel Stress war?
Niemand findet Gnade vor diesem Richter, der nur Delinquenten entdeckt, die es in ihrer Selbstkritik bis heute an der gebotenen an Schärfe fehlen lassen. Das gilt für den Exautonomen und heutigen Welt-Chefredakteur Thomas Schmid ebenso wie für die Grüne Antje Vollmer, die Aly in fast religiösem Eifer als antisemitische Totalitäre überführen will. Kann es sein, dass hinter dieser stets in Oberlehrerton vorgetragener Verachtung für seine Generationsgenossen ein bisschen Selbstverachtung steckt? Oder gar Neid auf die "Postenjägervereine" (Aly), die es zu Unikarrieren brachten?
Haltloses mit Schwung
Sportlich gesehen verdient dieses Buch eine gewisse Hochachtung. Aly vertritt seine ziemlich haltlosen Thesen mit beachtlichem Schwung, das Buch ist rasant geschrieben, mit Gehässigkeiten gespickt und unterhaltsam wie ein Donald-Duck-Heft.
"Unser Kampf" ist eigentlich ein unernstes Buch über ein ernstes Thema: das Verhältnis der zweiten Generation nach dem Holocaust zu den Eltern und der NS-Vergangenheit. Die Revolte war keineswegs, wie lange viele glaubten, einfach nur der tapfere Aufstand der Jüngeren gegen die Verdrängung der NS-Zeit. Die Auseinandersetzung mit der NS-Zeit rückte in der neuen Linken 1966/67 in den Hintergrund, Vietnam und der Kampf gegen den Staat rückten nach vorn. Der inflationäre Faschismusbegriff vernebelte lange einen klaren Blick für konkrete Schuld. Es gab in Familien auch kaum gelungene Dialoge zwischen Eltern und Kindern - und selbstgerecht waren nicht nur die Eltern. Die Beziehung der zweiten Generation zur NS-Zeit und den Eltern war zwiespältig und doppeldeutig - und konnte gar nicht anders sein.
Das Buch, das die Geschichte dieser Generation sachlich und kühl erzählt, muss noch geschrieben werden.
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