Göttinger Uni schmeißt Antisemitismus-Forscher raus: Beliebt und ausgebootet
Uni Göttingen will Vertrag mit renommiertem Experten für Antisemitismus kündigen. Internationale Verbände kritisieren die Entscheidung.
Keine sechs Monate später hat das Präsidium der Universität kein Interesse mehr an seinem Professor. Es lehnte eine Verlängerung von Salzborns 2017 auslaufendem Vertrag jetzt ab. Der Fachschaftsrat der sozialwissenschaftlichen Fakultät, die studentische Vertretung, berichtet in einem offenen Brief von dem Konflikt: Der Fakultätsrat, bestehend aus Studierenden, Lehrpersonen und Angestellten, habe Ende des vorigen Jahres „einstimmig für den Verbleib Salzborns gestimmt“. Dagegen legte das Präsidium sein Veto ein.
Die Gründe für dieses Veto sind unklar. Der Fachschaftsrat geht dabei „von einer politischen Motivation“ der Uni-Spitze aus. Denn alle fachlichen Gründe sprächen für eine Vertragsverlängerung. Salzborn aber schaltet sich regelmäßig in öffentliche Debatten ein. So kritisierte er Pegida-UnterstützerInnen und warf dem Zeitungsverleger Jakob Augstein antisemitische Äußerungen vor. „Politische WissenschaftlerInnen sind“, sagt ein Fachschaftsratsmitglied, „an Göttingens Universität unerwünscht.“
Uni-Sprecher Romas Bielke wollte die Personalentscheidung nicht kommentieren. Auch Salzborn bestätigt zwar sein baldiges Ende als Professor in Göttingen, möchte sich aber nicht weiter dazu äußern. Der Fachschaftsrat befürchtet massive Probleme in der Abdeckung der Lehre, weil Salzborn für den in Deutschland einzigartigen Studiengang Sozialwissenschaft die „tragende Säule“ sei. Zudem befürchtet er, dass Salzborns Stelle ersatzlos gestrichen werde. Die Asta-Vorsitzende Vivien Bohm betont die große Beliebtheit des Professors: „Er bindet die Studierenden in sein Forschungsfeld erfolgreich ein.“
Der erst 38-jährige Salzborn hat sich auch außerhalb der Göttinger Universität ein beachtliches Renommee erarbeitet. Seine Publikationen über Rechtsextremismus und Antisemitismus werden international gewürdigt. Günther Jikeli von der US-amerikanischen Indiana University betont, Salzborn habe Pionierarbeit geleistet und sei „einer der ganz wenigen Professoren weltweit, die sich dezidiert mit aktuellem Antisemitismus beschäftigen“. Auch das Jüdische Forum kritisiert die Entscheidung. Insgesamt unterschrieben mehrere Dutzend nationale und internationale Verbände und WissenschaftlerInnen den vom Fachschaftsrat initiierten offenen Brief.
Uni-Sprecher Bielke tritt den Befürchtungen der Studierendenvertretung entgegen und betont: „Die Professorenstelle bleibt erhalten.“ Jedoch weist der Fachschaftsrat darauf hin, dass Salzborns Forschungsfelder besonders wichtig seien: „In Zeiten von brennenden Flüchtlingsunterkünften und dem NSU-Komplex halten wir die Entscheidung für ein verheerendes politisches Signal.“
Salzborn hatte in den vergangenen Monaten das Konzept für eine an der Universität Göttingen angesiedelte wissenschaftliche Dokumentationsstelle „Demokratie- und Menschenfeindlichkeit“ für die niedersächsische Landesregierung entwickelt und war als deren Leiter im Gespräch. Sie soll die Arbeit des Verfassungsschutzes in den Blick nehmen und Transparenz schaffen. Damit sollte die Lehre aus dem Versagen der Verfassungsschützer während der NSU-Morde gezogen werden.
Stattdessen soll der Betrieb der Dokumentationsstelle jetzt von der Staats- und Universitätsbibliothek (SUB) in Göttingen ohne Salzborn geleitet werden. Ein fertiges Konzept hat die Universität noch nicht vorgelegt. Mit Salzborns Weggang wird dieses Projekt sicher nicht schneller fertiggestellt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
Kanzlerkandidat-Debatte
In der SPD ist die Hölle los
Verfassungsklage von ARD und ZDF
Karlsruhe muss die unbeliebte Entscheidung treffen
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört