Göttinger Organspende-Skandal: Neues Gesetz schon wieder veraltet
Das neue Transplantationsgesetz ist gerade in Kraft getreten. Doch aufgeschreckt durch den Göttinger Organspende-Skandal fordern CDU-Politiker „Konsequenzen“.
HAMBURG taz | Erst am Mittwoch ist das neue Transplantationsgesetz (TPG) in Kraft getreten. Doch aufgeschreckt durch den Göttinger Organverteilungsskandal, fordern Politiker „Konsequenzen“, die das neue Gesetz womöglich infrage stellen. Allen voran CDU-Gesundheitsexperte Jens Spahn Anfang dieser Woche: Wenn Bundesärztekammer und Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) jetzt nicht durchgreifen, „müssen wir darüber nachdenken, denen die Zuständigkeit zu entziehen und das in staatliche Hand zu geben“, so Spahn.
Er will, dass die Bundesärztekammer und die DSO dem Gesundheitsausschuss des Bundestags im September bei einer Sondersitzung Rede und Antwort stehen.
Zentrale Fragen drängen sich auf: Wer kontrolliert im Transplantationssystem wen? Und: Was passiert nach Verstößen? Laut TPG prüft eine Kommission, angesiedelt bei der Bundesärztekammer, ob die Organe korrekt zugeteilt werden – stichprobenartig. Das ehrenamtliche Gremium publiziert keine Tätigkeitsberichte. So konnte die Öffentlichkeit bisher nur erfahren, dass es bei der Organverteilung gelegentlich Auffälligkeiten gab: Seit 2000 haben die Kontrolleure 115 „klärungsbedürftige“ Vorgänge „abschließend beurteilt“.
Staatsanwälte ermitteln gegen zwei Mediziner des Göttinger Uniklinikums. Ihnen wird vorgeworfen, 2010 und 2011 Blutwerte und Dialyseprotokolle von über 20 Patienten manipuliert zu haben. Sie sollten kränker als tatsächlich erscheinen. So rückten sie auf der Organwarteliste nach vorne, und die Vermittlungsstelle Eurotransplant teilte ihnen schneller eine fremde Leber zu, die womöglich anderen Schwerkranken zugestanden hätte. Die Ermittlungen, geführt wegen des Verdachts der Bestechlichkeit und der fahrlässigen Tötung, werden Monate dauern. Die beschuldigten Ärzte bestreiten die Straftaten. (kpg)
Was sie genau herausbekommen haben, wo Transplanteure Recht brachen, erfahren zunächst nur die Auftraggeber der Kommission. Neben der Bundesärztekammer sind das auch die gesetzlichen Krankenkassen sowie die Deutsche Krankenhausgesellschaft. Sie alle hielten es bisher nicht für nötig, die Öffentlichkeit über Regelverstöße und deren Konsequenzen umfassend zu informieren. Es waren stets Journalisten und Informanten, die Unregelmäßigkeiten bekannt machten – die in Göttingen, aber auch in Kliniken in Essen, Regensburg oder Berlin.
Das nun reformierte TPG verpflichtet die Kommission, ihre Erkenntnisse an „die zuständigen Behörden“ der Bundesländer weiterzuleiten. Das lag nach dem alten Gesetz im Ermessen der Kommission. Leiteten die Prüfer jedoch ihre Informationen weiter, passierte auch dann offenbar nicht viel. Wiederholt habe die Kommission „zur Kenntnis nehmen“ müssen, dass die alarmierten Behörden auf festgestellte Rechtsverstöße keine Sanktionen folgen ließen, heißt es in einer 10-Jahres-Bilanz zum TPG, erstellt 2009 im Auftrag des Gesundheitsministeriums.
Fehlende Kompetenzen
Dieser Bericht offenbart strukturelle Defizite: Der Kommission fehle es an ausreichenden Kompetenzen für Prüfungen in Transplantationszentren. Der Gesetzgeber solle daher „überlegen“, riet die Bundesärztekammer, den ehrenamtlichen Kontrolleuren ein Überwachungsinstrumentarium an die Hand zu geben, das sich an der Strafprozessordnung orientiert.
Mögliche Optionen erläuterte Hans Lilie, Strafrechtler und Vorsitzender der Ständigen Bundesärztekammer-Kommission Organtransplantation, 2009 am Beispiel der Schweiz. Das dortige Bundesamt für Gesundheit dürfe unangemeldet Transplantationszentren betreten, durchsuchen und sogar Organe beschlagnahmen. Zudem gebe es „Sanktionsmöglichkeiten“ bis hin zu Schließungen von Zentren.
Der Göttinger Fall, ruchbar geworden im Juli 2011 durch einen anonymen Anruf bei der DSO, sei von der Prüfungskommission aufgedeckt worden, sagt Hans Lilie heute. Er ist mittlerweile der Meinung, dies belege, dass die Kontrolle unter den geltenden Regeln funktioniere. Fraglich ist jedoch, ob sich die Politik damit zufriedengeben kann.
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