■ Göttinger Geobotaniker untersuchten Melegueta-Samen: Das Geheimnis der Paradiesdroge
Göttingen (taz) – Ein paar unscheinbare Samenkörner, von Göttinger Archäologen bei Ausgrabungen vor zehn Jahren zutage gefördert, haben Botanikern aus dem In- und Ausland jahrelang Rätsel aufgegeben. Nun steht fest, daß es sich bei dem Fund um die sagenumwobene „Paradiesdroge“ handelt, an der sich mittelalterliche Fürsten und Ratsherren im Anschluß an ihre Freß- und Saufgelage gerne berauschten. Eine Untersuchung des Geobotanischen Institutes der Göttinger Universität gibt erstmals Auskunft über Herkunft und Handelswege der mysteriösen Paradieskörner.
Die rotbraunen aus Afrika stammenden Gewürzkörner der pfefferähnlichen Pflanze Melegueta finden erstmals in einem „Kräuterbuch“ von 1563 Erwähnung: „am Geschmack scharfpff / am geruch lieblich / daher sie von etlichen Grana paradisi geheißen werden.“ Bocks „Teutsche Spießkammer“ empfiehlt ihre Verwendung, denn sie „seind auch in der Herren Kuchen gewohnet / und fast allenthalben gemein worden / denn sie werden an statt deß Pfeffers oder Ingbers / zur Speisen genommen / wie es dem Koch am fueglichsten sein will“. In der um 1600 erschienenen „Düdeschen Arstedie“, einem populären Handbuch der Arzneikunde, erscheinen Paradieskörner als Schmerz- und Therapiemittel gegen Magenverstimmungen, entzündete Mandeln und Malaria.
Um die kostbare Droge, die ihren scharfen Geschmack und ihre betäubende Wirkung von der Substanz Paradol erhält, hat den Forschungen der Göttinger Geobotaniker zufolge jahrzehntelang ein regelrechter Handelskrieg getobt. Zunächst mußten die Paradieskörner aus den damaligen Anbaugebieten an der afrikanischen Westküste mit Karawanen ans Mittelmeer geschafft werden, von wo aus venezianische Kaufleute sie nach Europa verschifften. Im 16. Jahrhundert brachen portugiesische Seeleute das venezianische Handelsmonopol für Afrika.
An der gesamten „Pfefferküste“ – dem heutigen Gebiet von Liberia, Gambia und Kamerun – blühte das Geschäft mit der Droge; Melegueta-Körner wurden gegen Sklaven und Silberreifen eingetauscht. Dem Siegeszug der Samen in Europa stand nichts mehr im Wege. In England wurden die „Grains of Paradise“ unter Elizabeth I. zum beliebtesten Würz- und Rauschmittel – noch vor Bier und Wein.
In der Folgezeit ging der Import zurück. Erst während des Ersten Weltkrieges entdeckten Hausfrauen den Pfefferersatz unter den Namen „Appetitweizen“ und „Dünkelkorn“ wieder. In Afrika werden die Melegueta-Samen bis heute als Arznei gegen Rheuma und Migräne und als Aphrodisiakum genutzt. Reimar Paul
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