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Gnadengesuch Eichmanns veröffentlichtNazi fühlte sich „nicht schuldig“

In Israel ist das Gnadengesuch des Nazis Adolf Eichmann veröffentlicht worden. Darin nennt sich der Kriegsverbrecher ein machtloses „Instrument“.

„Nicht schuldig“: Adolf Eichmanns Unterschrift unter dem Gnadengesuch. Foto: dpa

Jerusalem afp | Israels Präsident Reuven Rivlin hat am Mittwoch ein bislang unter Verschluss gehaltenes Gnadengesuch des Nazi-Kriegsverbrechers Adolf Eichmann veröffentlicht. Anlässlich des Internationalen Holocaust-Gedenktages wurden der in Schönschrift verfasste Brief Eichmanns und ähnliche bislang als geheim eingestufte Dokumente bei einer Zeremonie in der Jerusalemer Residenz des Staatschefs für die Öffentlichkeit freigegeben.

Der einstige SS-Obersturmbannführer Eichmann hatte ab 1939 im Reichssicherheitshauptamt als Leiter der zuständigen Gestapo-Abteilung die Deportation der europäischen Juden in die Vernichtungslager koordiniert. Er wurde 1960 von israelischen Agenten in Argentinien aufgespürt und nach Israel entführt. Dort wurde er zum Tode verurteilt.

Der Inhalt des Gnadengesuchs war nach Angaben eines Sprechers Rivlins bereits bekannt, das Dokument selbst aber wurde nie veröffentlicht. Wie nun im Wortlaut nachzulesen ist, schrieb Eichmann in seinem auf Deutsch verfassten Gnadengesuch an den damaligen Staatschef Jizchak Ben-Zvi, „den Richtern ist in der Beurteilung meiner Person ein entscheidender Irrtum unterlaufen“.

Diese hätten sich nicht „in die Lage versetzen können, in der ich mich während der Kriegsjahre befunden habe“. Auch seien die im Verfahren vorgelegten Beweismittel nicht im „Zusammenhang mit dem gesamten Befehlsmaterial“ beurteilt worden.

Kein „verantwortlicher Führer“

Der Protokollführer der Wannseekonferenz, bei der die sogenannte „Endlösung der Judenfrage“, die zur Ermordung von sechs Millionen Menschen führte, beschlossen wurde, schrieb weiter, er sei kein „verantwortlicher Führer“ gewesen, was schon sein Dienstrang beweise. Er habe unter Zwang als „Instrument“ gedient und fühle sich „daher nicht schuldig“.

Er bat Ben-Zvi, „anzuordnen, dass das Todesurteil nicht vollstreckt wird“. Säuberlich unterzeichnet ist das Schreiben mit „Adolf Eichmann, Jerusalem, den 19.5.1962“. Zwei Tage später wurde Eichmann mit dem Strang hingerichtet.

In digitaler Form veröffentlicht und im Original den Medien vorgestellt wurden am Mittwoch auch Gnadengesuche von Eichmanns Frau Vera und seiner fünf Brüder. Publiziert wurden zugleich die Rückweisung des Gesuchs durch Ben-Zvi in einem Brief an Justizminister Dov Josef, dessen handgeschriebene Begutachtung sowie Eichmanns Berufungsantrag an das Oberste Gericht und Notizen des Chefanklägers Gideon Hausner für sein Eröffnungsplädoyer.

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2 Kommentare

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  • ist es ausreichend im Artikel nur Auszüge zu zitieren und zu kommentieren?

     

    ich frage mich, warum das Gesuch Eichmanns nicht vollständig zugänglich gemacht wird. an anderer Stelle im Web kann man es herunterladen.

    Dabei ist der Taz zugute zu halten, dass die gesamte deutsche Presse heute genauso verfährt.

     

    Erst in seiner Vollständigkeit wird offensichtlich, wie sich jemand im Angesicht des Todes von seiner Verantwortung befreien will. Erschreckend ist, wie leicht es ihm fällt, reale Fakten zur Seite zu wischen und die Wirklichkeit zu verdrehen. Ich kann mir sogar vorstellen, dass Eichmann das was er da geschrieben hat geglaubt hat.

    Zu erdrückend, zu gross seine Verantwortung, zu klein seine Persönlichkeit - da verleugnet er seine bisherigen Wertvorstellungen, seine Taten und sich selbst. Er sucht nach dem leichtesten Ausweg.

     

    Das ist deswegen dramatisch, weil es so tausendfach in Deutschland nach dem Krieg gemacht wurde. Die Zahl der bekannten und benannten Täter ist auch heute noch sehr klein.

    • @Sid Kali:

      Mit Hanna Arendt -

      Die Banalität des Bösen

       

      & (m. E. näher dran)

      Die Strafsache 40/61 by

      Harry Mulisch