■ Glosse: Medienschelte
Wie schlimm ist es um die Qualität der Berichterstattung über Ausländer bestellt? Offenbar ganz schlimm. Das erfuhr ich auf einer Fortbildungsveranstaltung: „Wenn es zur Berichterstattung kommt, handelt es sich meist um spektakuläre Zwischenfälle und Katastrophen. Über Mord, Raub und Totschlag wird häufig ausführlich berichtet“, erklärte die Referentin. Stimmt. Tags darauf berichteten alle Berliner Zeitungen, daß Vietnamesen in Berlin mittlerweile Vietnamesen in Berlin per Genickschuß umnieten. Warum schreiben sie nicht, daß Vietnamesen auch Kaffee trinken, Kinder zeugen, Sojabohnenkeimlinge kochen und andere normale Dinge tun?
Glücklicherweise kaufte ich mir zufällig die Junge Welt. Eine Fotodoppelseite sprang mir ins Auge: „So leben die Vietnamesen in Berlin“. Schöne Fotos: Vietnamesen trinken Kaffee, Vietnamesen lächeln, Vietnamesen halten Kinder im Arm. Und die Junge Welt wetterte pflichtgemäß, daß die bürgerlichen Medien, also alle anderen, mit dem Vietnamesenthema ganz schön (rassistische) Vorurteile produzierten. Dabei hatte der bürgerlicheTagesspiegel, an die Holtzbrinck-Gruppe verraten und verkauft, schon Tage vorher über Vietnamesen berichtet. Besser in Text, Bild und Druck. Auch Springers Berliner Morgenpost baute dem Vietnamtrauma vor und informierte differenziert über vietnamesisches Leben in Berlin.
Trotz alledem. Schließlich sagte die Fortbildungsreferentin: „Türken werden auf dunkel, laut und gewalttätig reduziert.“ Berlins Schmuddel- und Hetzblatt, die BZ, titelte zum Schuljahresschluß: „Über 12.000 Schüler in Angst: Was soll aus uns werden?“ Links im Klassenzimmer aufgereiht Mesut, Gönül und Sanej. Die haben eine Lehrstelle. Rechts 15 SchülerInnen, die haben keine. Und: „Im Vorjahr blieben nur 363 Schulabgänger ohne Lehrstelle. 1996 sieht's schlecht für unsere Kids aus!“
„Unsere Kids!“ Perfide, dachte ich mir. Typisch Springer! Die verscheigen, daß es sich um türkische Schüler handelt. Tun so, als wären's ganz normale Berliner Kids mit ganz normalen Problemen, verschweigen gar deren Doppel- und Dreifachbenachteiligung. Unsereins kann Springer und Holtzbrinck nämlich nicht täuschen. Kampflos räumen wir nicht das Terrain. Auch wenn die BZ zehnmal über die Einweihung des Denkmals zum Gedächtnis Kemal Altuns berichtet. Wir bestehen darauf: Es ist schlimm um die Qualität der Berichterstattung über Ausländer bestellt. Eberhard Seidel-Pielen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen