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Globalisierungsgegner tagen in MalmöZu wenig Ahnung vom Bankencrash

Auf dem Europäischen Sozialforum in Malmö wird über vieles gesprochen. Nur die Finanzmarktkrise kommt kaum vor. Kritiker finden, das muss sich dringend ändern.

Zuwenig qualifizierte Finanzmarktkritik: Sozialforum in Malmö Bild: dpa

MALMÖ taz Die Globalisierungskritiker sind überrascht: Da werden US-Banken verstaatlicht und fast eine Billion Dollar vernichtet, doch auf dem Europäischen Sozialforum in Malmö kommt die Finanzkrise fast nicht vor. "Wir sind in einer paradoxen Situation", konstatierte der britische Sozialist Alex Callinicos: "Das neoliberale System ist in der Krise - aber die sozialen Bewegungen sind es auch." In Malmö forderte er eine radikale Bestandsaufnahme des eigenen Scheiterns.

Auch die schwedischen Organisatoren empfinden es als Problem, dass die Finanzkrise in Malmö kaum thematisiert wurde. "Aber es wurden keine entsprechenden Seminarvorschläge unterbreitet", erklärt Pressesprecherin Sara Andersson. "Die meisten Globalisierungskritiker befassen sich mit anderen Themen." Diese reichen vom Klimawandel bis zur Nato, von der Nahrungsmittelkrise bis Lateinamerika, vom Streikrecht bis zur Behandlung psychisch Kranker. Diese ungesteuerte Vielfalt hält Callinicos für fatal. Der Politikprofessor würde am liebsten die Regel abschaffen, die jedem Aktivisten gestattet, sein Lieblingsthema zu verfolgen. "Wir müssen dem Neoliberalismus konzentriert den Kampf ansagen."

Immerhin einen Versuch gab es auf dem Forum, die Finanzkrise politisch zu nutzen. Spontan setzten die schwedischen Organisatoren am Freitag eine Pressekonferenz an, die dann vom "Komitee für den Schuldenerlass für die Dritte Welt" (CADTM) bestritten wurde. Die Vorschläge angesichts der US-Hypothekenkrise klangen bekannt: Tobin-Steuer und Kampf gegen Steueroasen. "Wirtschaft ist eben einfach", erklärten die CADTM-Aktivisten nur, als das etwas ratlose Publikum wissen wollte, warum ausgerechnet die Tobin-Steuer verhindern soll, dass die Banken allzu große Risiken mit verbrieften Hypothekenkrediten eingehen. Die Steuer wurde erfunden, um Währungsspekulationen zu unterbinden. CADTM war diese Kritik zu kleinteilig: "Wirtschaftswissenschaften sind sowieso Ideologie."

Die Finanzmarktkrise stellt die Globalisierungskritiker vor ganz neue intellektuelle Herausforderungen, wie auch der indische Architekt und Szene-Star Jai Sen betont. "Man kann nicht einfach die Investmentbank Lehman Brothers mit dem Saatgutkonzern Monsanto vergleichen." Genau dies hatte die alternative Nobelpreisträgerin Vandana Shiva in ihrer Eröffnungsrede getan.

ULRIKE HERRMANN

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4 Kommentare

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  • E
    emil

    By the way: Die 10 reichsten US citizens haben laut neuester Forbes Liste zusammen ein Kapital im Wert von mindestens 261,9 Milliarden US Dollar.

     

    Das sind aber ja nur ein paar Eisbergspitzen. Statt der richtigen Eisberge sollten wir diese Eisberge schmelzen und Regeln etablieren, dass nicht die einen mit dem Verdursten kämpfen, während die anderen im übertragenen Sinn ganze Gletschermassen auftürmen

     

    - wobei ich übrigens das "Zins"problem hier nicht für das Hauptübel halte (nebenbei gesagt), denn Zinsen machen einen gewissen Sinn, weil ja die Zeit, in der jemand eine verliehene Sache nicht nutzen kann, auch zu berücksichtigen ist, außerdem die Inflation dieser Zeitspanne. Aber bei großen Summen gibt es auch damit natürlich Probleme vgl. z. B. die Verschuldungskrise vieler Staaten, v. a. der sogenannten Dritten Welt (wobei dort meist elitäre Minderheiten für die Schulden verantwortlich sind, aber bekanntlich die arme Mehrheit von den Folgen belastet wird, aber eigentlich ist in der Gesamttendenz überall so).

     

    Neben einer Tobin-Steuer bedürfte es noch einiger anderer wirksamer Maßnahmen, um zumindest die allerdgröbsten Dinge dieser Art zu verhindern.

  • RK
    Rüdiger Kalupner

    Der globalisierungskritischen Bewegung kann ich auf die Höhe der volks- und macht-wirtschaftlichen Zusammenhänge und Finanzsystemkrise verhelfen - mit dem Suchbegriff 'Evolutionsprojektwissen' und dem nachfolgenden Leserbrief, den ich der taz-Redaktion gestern zugesandt habe. Er betrifft Robert Misiks taz-Kommentarbeitrag v. 20.9.2008: 'Weltuntergang mit Zuschauer'. Es geht um nichts anderes als den Sturz des fast-geheimen Wachstumszwang-Tyrannen vom Typ Kapitalstockmaximierung. Er kann im Rahmen der Metalltarifrunde 2008 gestürzt werden... Das weiß Angela Merkel. Den dramatischen Zusammenhängen sollte sich Attac nicht verschließen. Sie sind mit dem Suchbegriff 'Evolutionsprojektwissen' auf meiner Website zu finden. Hiermein taz-Leserbrief:

     

    "Anders als Herr Misik meint, wissen etliche Evolutionsprozess- und Chaosphysiker sehr wohl, wie die us-amerikanische Finanzystemkrise ausgehen wird: sie wird den Exodus in die evolutionsprozess-logisch folgende Weltordnung des KREATIVEN anstoßen. Eine neue Art Weltrevolution steht ante portas.

     

    Wer die okosoziale Umfinanzierung der Leistungen von Staat und der Sozialsysteme, d.h. die Verteuerung von Energie- und Sachkapitaleinsatz, zu Ende denken kann, der sieht klar, welche Exodusoption uns die Evolutionsprozess-Logik anbietet. Die evolutionsprozess-logisch zu Ende gedachte Umfinanzierung beendet das Wachstumszwang-Regime und realisiert die Weltordnung des KREATIVEN. Bekanntlich macht Knappheit kreativ - besonders für die simulierte Knappheit von Energie und Sachkapitaleinsatz durch die Energie- und Sachkapitalsteuern in Wohlstandsgesellschaften trifft das zu. Auf der ökonomischen Ebene ist völlig klar, welchen Exodusansatz wir erleben werden.

     

    Diese Klarheit gibt es aber auch beim Denken der Exodusoption auf der gesellschaftlichen Ordnungsebene des Liberalismus. Wer den ORDOliberalismus Walter Euckens mit seiner Vorstellung der 'Interdependenz der Ordnungen' um die Evolutionsprozessordnung des kreativen Akzeleationspfades umfassender denken kann als dies die bisherigen ORDOliberalen öffentlich tun, der weiß, was zur Zeit zwischen den führenden ORDOliberalen in Deutschland, das sind Angela Merkel, Thomas de Maizére und Kurt Biedenkopf, diskutiert wird. Angela Merkel ist Evolutionprozess- und Chaosphysikerin und wendet dieses Systemwissen auf ihre 'Politik in hochkomplexen, vermachteten Gesellschaftssystemen' an. Dadurch wurde sie so erfolgreich. Sie hat einen Theorievorsprung vor ihren Konkurrenten und internationalen Partnern.

     

    Alle drei haben das Evolutionsprojektwissen drauf, das den globalen Ordnungsübergang organisieren wird. Sie werden sicherlich an einem Tag X mit diesem Wissen an die Öffentlichkeit treten. Wer unter dem Begriff 'Evolutionsprojektwissen' googelt, der kann es sich ebenfalls beschaffen. Der weiß dann schon vorher, was demnächst den Häusermarkt in den USA stabilisieren wird und die Finanzmärkte in heilende und höchste Turbulenzen vesetzen wird.

     

    Wie schrieb Friedrich Hölderlin im Jahr 1804: 'Nah ist, /Und schwer zu fassen der Gott. /Wo aber Gefahr ist, wächst / Das Rettende auch.'"

  • E
    emil

    Liebe taz Leute, die rote Überschrift ist zwar klein, aber in der Vorschau größer, und da hat es mich gestört, dass Ihr auf das Niveau des Mittelmaßes gerutscht seid, nämlich mit dem Doppelfehler "gegner", denn alle gegner sind kritiker, aber nicht alle kritiker sind gegner, und frauen sind keine männer u.s.w. ;-)

     

    Besser wäre gewesen "kritikerinnen und - kritiker" zu schreiben, oder, wie ich neulich kürzer gesehen habe, einfach "kritiker_innen". Das ist auch cool,

    oder - wenn es Euch um die vielen Buchstaben ist - noch einfacher: "kritikerinnen", und gegner und kritiker können sich mitgemeint fühlen ;-))

  • BW
    Bark Wind

    Ja, da muss in der Tat ein frischer Wind rein. Ein happening-ähnliches Event, oder wie ich es auf Deutsch sagen sollte, macht zwar mehr Spaß - und Spaß ist auch wichtig und richtig - aber auch komplizierte und dabei trocken-langweilige Themen sind wichtig. Finanzen sind nicht jederfrau/manns Sache, meine auch nicht, wenn's nicht sein muss, aber es gibt ja heute recht gute recht allgmein verständlich geschriebene Bücher (in deutscher Sprache) dazu, von attac oder auch z. B. von Gero Jenner , einem Sozialwissenschaftler, oder anderen.