Globale Konjunktur: Deutschland wird zum Krisengewinner
Deutsche Firmen kommen mit dem Export aus der Krise. Doch gleichzeitig wackelt die Weltwirtschaft auf der Kante zwischen Aufschwung und Rezession.
![](https://taz.de/picture/304544/14/HafenHamburg.jpg)
Die nackten Zahlen klingen gut: Die Weltwirtschaft, die 2009 um 2,2 Prozent geschrumpft war, wird 2010 deutlich wachsen. Das glaubt selbst der Internationale Währungsfonds (IWF), der Anfang des Jahres noch vor einem neuen Krise gewarnt hatte. Letzte Woche erhöhte er seine Prognose sogar auf 4,6 Prozent. Auch die deutsche Wirtschaft geizt derzeit nicht mit Erfolgsmeldungen. Trotzdem sind sich Ökonomen uneins, wie es weitergeht: Während IWF-Direktor José Viñals meint: "Ein Rückfall in die Rezession ist sehr unwahrscheinlich", warnt Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman erneut vor einer "Depression wie in den 30er Jahren".
Zumindest lassen sich einige Trends eindeutig feststellen: Europa erholt sich langsam, bewegt sich aber mit dem ständigen Risiko der Euro- und Schuldenkrise. In den USA schwächt sich das Wachstum deutlich ab. Die wichtigsten Schwellenländer China und Indien wachsen dagegen womöglich zu schnell und müssen sich gegen eine sogenannte harte Landung wappnen.
Die deutsche Wirtschaft nutzt hingegen gerade die krisenhaften Entwicklungen. Indem sie die Lohnstückkosten in den letzten Jahren weit gesenkt hat, setzt sie auf den Export - und der zieht an. Insgesamt verkauften deutsche Firmen im Mai 28,8 Prozent mehr ins Ausland als im Vorjahr. Bei den Autoherstellern, die mit einem Einbruch im Inland zu kämpfen haben, waren es sogar 44 Prozent mehr.
Grund ist die starke Nachfrage vor allem aus China, wo die deutschen Unternehmen überproportional vertreten sind, und auch wieder aus den USA. "Da ist im Moment richtig Zug drin", sagt Axel Nitschke, der Außenhandelschef des Deutschen Industrie- und Handelskammertags. Ein wichtiger Grund ist der durch die Schuldenkrise in Europa geschwächte Euro. Für Kunden in den USA, China und dem überwiegenden Rest der Welt sind Waren aus der Eurozone so billig wie lange nicht mehr.
So ist die deutsche Wirtschaft, die stärker exportorientiert ist als die in ihren europäischen Nachbarländern, eine echte Krisengewinnerin. Doch zu einer Konjunkturlokomotive kann sie sich nicht aufschwingen, wie Dirk Schumacher, Chefökonom Deutschland von Goldman Sachs, erklärt. "Damit der Rest der Eurozone wachsen kann, muss der deutsche Konsum auch endlich mal wieder wachsen." Mittelfristig brauchen das auch deutsche Unternehmen. Denn wie lange die Impulse aus Übersee anhalten, ist unklar.
In China haben die Banken ihre Kreditvergabe so ausgeweitet, dass der Anteil der faulen Darlehen deutlich steigen dürfte. Nicht zuletzt gibt es inzwischen auch hier eine gefährliche Immobilienblase. Und erstmals seit langer Zeit muss das Land mit deutlichen Preissteigerungen zurechtkommen, zu denen auch die höheren Löhne beitragen. Das unüberschaubarste Problem ist aber, dass die USA derzeit schwächeln. In der immer noch größten Volkswirtschaft der Welt haben zwar die Unternehmen im ersten Quartal gegenüber dem Vorjahr mehr als ein Drittel mehr Gewinn gemacht, investiert haben sie aber sogar noch 5 Prozent weniger als im Vorjahr, als die Anlageinvestitionen auch schon um 15 Prozent einbrachen. Auch mit dem Schaffen von Arbeitsplätzen halten sie sich zurück. Im Juni sank die Zahl der Beschäftigten wieder um 125.000, seit Beginn der Rezession verschwanden damit mehr als acht Millionen Stellen. Das schlägt ebenso auf die Kauflust der US-Amerikaner, deren privater Konsum immerhin 70 Prozent zur Wirtschaftsleistung des Landes beiträgt, wie die Probleme am Immobilienmarkt. Zwar hat die US-Notenbank Fed hier bis zum Auslaufen der Programme im April für 1,4 Billionen US-Dollar hypothekenbesicherte Papiere aufgekauft und die Regierung weitere Milliarden an Steuergutscheinen für Käufer verteilt, aber der Verkauf alter und neuer Häuser geht immer noch weiter zurück.
Nicht wenige Ökonomen warnen deshalb vor einem double dip, einer erneuten Rezession, die einer zu kurzen Erholungsphase folgt. "Die Chancen, dass wir wieder in die Rezession rutschen, steigen", sagt Robert Reich, Professor für Volkswirtschaft an der Universität Berkeley. "Und was tun wir? Weniger als nichts."
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Jugendliche in Deutschland
Rechtssein zum Dazugehören
Jens Bisky über historische Vergleiche
Wie Weimar ist die Gegenwart?
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
Mitarbeiter des Monats
Wenn’s gut werden muss