: Glitzern statt Klotzen
■ „Are you afraid?“ / „Der Jude von Malta“ im Bremer Theater
Alles nur ein Spielchen. Ein harmloser Comic. Antisemitismus? Quatsch, einer muss den Bösen geben, der das Drama voranbringt. Liebe? A liebt B, B liebt C, also sollen sich A und C duellieren. Religion? Herrgott, jeder nach seiner Façon. Zumindest solange die Kassen voll sind.
Aber die Kassen sind leer auf Malta, denn die Türken sind gekommen und haben sich einfallen lassen, dass die Malteser einen ordentlichen Tribut an sie zahlen müssen. Daraufhin lässt sich der Gouverneur von Malta als alter Christ einfallen, dass das Problem durch eine Enteignung der Juden zu lösen ist. Ohne Kompromisse. Am härtesten trifft es Barabas: Sein gesamtes Vermögen wird eingezogen, und aus seinem Haus macht der Gouverneur – als alter Christ – ein Nonnenkloster.
Soweit der Grundkonflikt von „Der Jude von Malta“, mit dem der Shakespeare-Zeitgenosse Christopher Marlowe seinen Protagonis-ten ins Rennen schickt. Handeln, das heißt für den schwer geprellten Barabas: „Jeden Trick, auch den gemeinsten, anzuwenden.“ Barabas startet ein Intrigenspiel auf dem Rücken seiner Tochter mit dem Effekt, dass der Sohn des Gouverneurs stirbt. Als sich seine Tochter von Barabas abwendet, vergiftet er sie und kauft sich einen Sklaven als Kompanion. Als der Sklave abtrünnig wird, vergiftet er ihn auch. Am Schluss arbeitet er erst mit den Türken gegen die Christen und dann mit den Christen gegen die Türken – bis er, ganz maßloser Dämon, endlich selber untergeht.
Reichtum, Liebe, Rache, Religion – der Wüstling und Atheist Christopher Marlowe war keiner, der kleine Brötchen gebacken hat. „Are you afraid?“ schrieb der Regisseur Michael Talke in großen Lettern an die hintere Bühnenwand im Bremer Theater und gibt zweieinhalb Stunden lang die Antwort: „Ach, nö.“ Niemand ist afraid. Talkes Schauspieler sind vielmehr amüsiert: Sie machen sich einen heiden Spaß daraus, jegliche Fallhöhe zu demontieren, bis sie unten angekommen sind auf der charmant glitzernden Oberfläche des Pop.
Gleich in der ersten Szene wird klar, dass Talke keine Lust hat, Marlows dramatischen Brocken zu schultern: Den Machiavelli-Eingangsmonolog, von Marlowe gedacht als Vorab-Programmatik des Machtmenschen Barabas, lässt Talke von einem Chor sprechen. Danach streiten sich die Chormitglieder, wer von ihnen nun den Barabas geben muss. Alle haben sie den Machiavelli-Barabas in sich, aber keiner möchte darauf reduziert werden.
Also schickt Talke moderne Menschen auf Marlowes Insel. Detlev Greisner als Gouverneur changiert in seinem hellblauen Smoking zwischen Heiratsschwindler und kleinkriminellen Gebrauchtwarenhändler. Fritz Fenne spielt den Sklaven Ithamore als pubertierenden Neandertaler. Und Barabas? Torsten Ranft zeigt den Klischee-Juden als Heuchler und als Spieler, vor allem als einen, für den selbst die Lüge eine Performance ist. Sein Barabas spielt vor aller Augen Theater, und das darf Ranft kräftig überzeichnen: Er brüllt und leidet und schleimt. Und macht den „Juden von Malta“ zum ironisch gebrochenen Schauspiel-Spektakel – die Persiflage auf ein Klischee.
Aber auch ohne Barabas tut sich was an diesem Abend: Auf eine artistischer Kampfchoreographie folgt ein bestialischer Mord, ein Mönch erschlägt den anderen mit einem Holzpflock. Talke fädelt die Szene so ein, dass der Mord zur Pulp-Fiction-Lachnummer wird. Genauso lachhaft ist das, was einer der Malteser auf dem T-Shirt stehen hat: „Wir sind die Guten.“ Das Groteske der Inszenierung steigert sich langsam aber stetig.
Die zynische, lässige Überlegenheit, mit der Talke das Drama sprengt, hat vor allem einen Effekt: Mit viel Brimborium zu sagen, dass es nichts zu sagen gibt. Und dass der einzige Ausweg mal wieder die Ironie ist. Eigentlich ist das zum Gähnen – aber Talke verzeiht man's. Denn sein „Jude“ ist nicht nur cooles Gewippe, er ist auch gut getimetes Schauspiel, seine Demontage ist nicht nur Selbstzweck, sondern auch stimmig dosierte Farce. Klaus Irler
Die nächste Aufführungen sind am 12., 14., 16., 17. und 23. März
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