piwik no script img

Glaubwürdigkeit verspielt

Der Deutsche Gewerkschaftsbund wird 40  ■ K O M M E N T A R

Es steht zu befürchten, daß die Gewerkschaftsführer, die in Düsseldorf den 40jährigen Gebutstag ihrer Organisation feiern, der Öffentlichkeit eine Erfolgsstory zu erzählen versuchen. Denn der Deutsche Gewerkschaftsbund und die bundesdeutschen Gewerkschaften insgesamt stehen trotz mehr als zehnjähriger Massenarbeitslosigkeit gar nicht mal so schlecht da - sogar im internationalen Vergleich. Die Gewerkschaften haben ihren Organisationsgrad entgegen dem allgemeinen politischen Trend nach rechts hin auch in den Zeiten der Wende halten können. Sie haben in den achtziger Jahren einige sozialpolitische Erfolge gegen den massiven Widerstand von Unternehmern und Regierung durchsetzen können - insbesondere beim Kampf um Arbeitszeitverkürzung, die inzwischen als solidarische politische Antwort auf die Massenarbeitslosigkeit bis ins konservative Lager hinein akzeptiert ist. Sie haben zwar im Kampf gegen die Verschlechterung des Streikrechts 1986 eine Niederlage hinnehmen müssen, aber dabei dennoch eine unerwartete gesellschaftliche Mobilisierungsfähigkeit bewiesen.

All dies ist richtig und dennoch so falsch wie die Selbstzufriedenheit der Nach-Neue-Heimat-Generation in den Führungsetagen der Düsseldorfer, Frankfurter oder Stuttgarter Gewerkschaftszentralen. Denn im 40. Jahr seiner Nachkriegsexistenz läßt sich für den DGB auch eine andere Bilanz ziehen: Mit dem Zusammenbruch der Gemeinwirtschaft haben die Gewerkschaften nicht nur Verluste in Milliardenhöhe auf Kosten ihrer Aktionsfähigkeit wegstecken, sondern auch eine fundamentale moralische Niederlage hinnehmen müssen. Denn die Offenlegung dieses unglaublichen Sumpfes aus Korruption, Großmannssucht und Männerkumpanei am Beispiel der Neuen Heimat oder des Co-op-Konzerns ist der definitive Bankrott aller Vorstellungen eines alternativen, sozial verantwortlichen Umgangs mit Kapital, den die frühen Gewerkschaftsführer seinerzeit mit der Gemeinwirtschaft im Sinn hatten und den die heutigen von den Unternehmern immer wieder fordern. Die Glaubwürdigkeit dieser Forderung ist spätestens seit Mitte der 80er Jahre verspielt, ebenso die Überzeugungskraft aller DGB-Parolen von der Solidarität der Einzelgewerkschaften untereinander. Auch jetzt, im Vorfeld einer erneuten Auseinandersetzung um Arbeitszeitverkürzung im nächsten Frühjahr, zeichnet sich eine Spaltung innerhalb des DGBs ab, die sich diesmal nicht am Konflikt Wochenarbeitszeitverkürzung gegen Vorruhestand festmacht, sondern am Konflikt um das freie Wochenende.

Zur Negativbilanz gehört auch, daß der DGB insgesamt nach wie vor keine Glaubwürdigkeit in allgemeingesellschaftlichen Belangen hat. Jahrelang hatte er rumgeeiert, bis er sich zu einigermaßen akzeptablen Umgangsformen gegenüber der Friedensbewegung durchringen konnte. Mit den Grünen hat er das bis heute noch nicht gelernt. Nicht wenige Spitzengewerkschafter haben immer noch nicht begriffen, daß Atomstrom abgeschafft gehört, daß Ökologie mehr ist als das vielbeschworene „qualitative Wachstum“, daß die Probleme dieser Männervereine sich nicht dadurch lösen lassen, daß die Frauenförderpläne mit ins Arsenal der Sonntagsreden aufgenommen wurden. Am Anfang des Deutschen Gewerkschaftsbundes in den Nachkriegsjahren stand eine heftige interne Auseinandersetzung darüber, ob sich der DGB als „allgemeiner politischer Verband“ begreifen soll, der in Aktion und Artikulation weit über die engen Belange der Arbeitswelt hinausgreift. Damals hat sich die „unpolitische“ Alternative durchgesetzt - der DGB als relativ machtloser Dachverband über den auf ihre spezifischen Branchen begrenzten Einzelgewerkschaften. Noch einmal wird der DGB keine 40 Jahre unbeschadet überstehen, wenn er sich nicht endlich politisiert.

Martin Kempe

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen