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Archiv-Artikel

Glauben an die Soundlotterie

Beim Sergey Kuryokhin International Festival, kurz SKIF Festival, dominierten die alten Hasen die Szene. Dabei blieb John Cale blass, und Holger Czukay verlor die Orientierung. Nur Fred Frith kultivierte die eigene Klanglandschaft

Man ist vorsichtig geworden im Lager der Pioniere. Nicht die Fackeln des Fortschritts, nicht das große Wort „Avantgarde“ waren bei der Berliner Ausgabe des Sergey Kuryokhin International Festival (SKIF) anvisiert, stattdessen sprachen die Veranstalter nur unverbindlich von der wohlfeilen „Unabhängigkeit von Spartenzuordnungen“, die den eingeladenen Musikern gemein sei. Dabei hat sich der 1996 verstorbene Namenspatron Sergey Kuryokhin durchaus als Avantgardist einen Namen gemacht – als multimedialer Performer, der lange vor Gorbatschow den Weg in den Westen suchte und dort bei Leuten wie Laurie Anderson oder Brian Eno landete.

Initiiert wurde das SKIF von Kuryokhins Witwe, die seit 1997 jedes Jahr Jazz- und Avantgarde-Musiker zu einem viertägigen Festival nach St. Petersburg einlädt. Anlässlich der russischen Kulturtage in Deutschland wurde das Festival in diesem Jahr nach Berlin exportiert – eingedampft auf zwei Tage, an denen sich 30 Musiker und Bands drei Bühnen in der Kulturbrauerei teilten. Mit dabei: Bands aus St. Petersburg, Berliner Multikulti-Projekte und eine Hand voller alter Hasen der klanglichen Neuerung: Can-Mitbegründer Holger Czukay war da, Fred Frith und am Freitag als Headliner John Cale.

Der sah aus, als käme er direkt aus dem Fitnessstudio, platzierte im Zentrum der Bühne einen schwarzlichtumwölkten Nobelverstärker und ging’s erst mal textlastig an – Cale als Rezitator, der vom Notenständer abliest und seine Band plus Laptop dazu düster-groovig tuckern lässt. Dann Cale als melancholischer Songwriter, immer dicht am eigenen Puls und weit entfernt von allem, was musikalisch riskant sein könnte. Und zuletzt Cale als Held von gestern, der Velvet Underground noch einmal bemüht: „Venus in Furs“, elektronisch aufgepäppelt. John Cale spielt Geige, aber nur ein bisschen, den Hauptpart übernimmt der Laptop.

Der Gegenentwurf: Auktyon aus St. Petersburg mit ihrem Gefühlsausbruch zwischen Folklore und Punk. Frontmann Oleg Garkuscha gibt ein mutiertes Dr.-Mabuse-Kind, zwei Meter groß, leichter Buckel, ungelenkig und radikal selbstvergessen beim Verkloppen des Tamborins. Singen muss Garkuscha nicht, sein Job ist die Bühnenextase. Was großen Unterhaltungswert hat – zumal seine Kollegen mit im Rausch aufgehen.

Bei Saxofonist Peter Brötzmann hat der Rausch etwas Sportliches, er sammelt seine Kraft tief im Körper, um sie mit einiger Anstrengung in gedrängte Phrasen zu pressen. Und zwar gerne Phrasen am Limit: Brötzmann lotet aus, wie hoch oder tief sich die Skalen an Saxofon und Klarinette treiben lassen. Dabei ist der 62-Jährige ganz der introvertierte Zweifler, der Freejazz-Traditionalist, der dem entsprechend weiß: „Die ganzen Laptop-Geschichten führen nicht allzu weit.“

Bei der Berliner Elektro-Combo Sensor führen sie immerhin dazu, sich für die per se unsinnliche elektronische Musik einen sinnlichen Aspekt einfallen zu lassen: Sensor beeinflussen Tonhöhen auf eigens entwickelten Geräten per Handbewegung, Klangerzeugung und Musiker-Physis rücken wieder ein Stück näher zusammen. Zudem bemühen sich Sensor um transparente, ausgefeilte Soundcollagen – was der Ex-Can-Star Holger Czukay radikal verweigert. Er verschanzt sich hinter einer Elektronik-Burg und ist ganz Wissenschaftler, mad scienstist, dem die eigene Maschine außer Kontrolle geraten ist: Also dreht Czukay wild an den Knöpfen, zupft hier mal einen Akkord auf der Gitarre und drückt dort mal aufs Keyboard. Heraus kommt dabei eine Soundlotterie, bei der nur gewinnt, wer von vorneherein an Czukay glaubt.

Längst nicht orientierungslos geworden ist dagegen Fred Frith. Seine Gitarrenexperimente fügen sich zu einer Art Hörspiel, haben etwas zu erzählen, bleiben unberechenbar und sind doch genau berechnet. Pionier der Szene kann Frith nach all den Jahren nicht mehr sein und ist doch Pionier geblieben: Er ist nach wie vor unterwegs und baut aus, was er sich als seine Klanglandschaft angelegt hat.

KLAUS IRLER