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Gipfeltreffen am Toltzberg

Mit einem Ketten-Hungerstreik protestiert die Stiftung Lemberk gegen den Basaltabbau in Böhmen / Umweltgesetze gelten für die Bergbaufirma nicht  ■ Aus Lemberk Detlef Krell

Der Tlustec schrumpft. Eine mächtige Steintreppe führt von den Fragmenten des einst 587 Meter hohen Gipfels den Hang hinab. Jede Stufe ein Steinbruch. Täglich, auch an Wochenenden, rollen Laster die Brocken weg. Erstklassigen Basalt liefert dieser Berg. Ein gutes Geschäft für „Beron“. Der Konzern, der im Firmenwappen einen Tannenbaum führt, darf auf einer Fläche von 115 Hektar den Berg brechen. 36 Millionen Kubikmeter Basalt gehören ihm, das vulkanische Gestein, vermahlen zu Schotter, eignet sich hervorragend für den Gleisbau. Bald wird der Tlustec im Gleisbett enden, vielleicht auf der Strecke von Decin nach Bratislava.

Wenn Jakub Kaše vom barocken Bredovsky-Sommergarten des Schlosses Lemberk aus über die Hügel blickt, kann er den Gipfel noch deutlich erkennen, den dicht bewaldeten Kegel. Früher erzählten sich die Leute, da oben wachse ein Lorbeerbaum, von dessen Zweigen sich Goldkörner schütteln ließen. Doch werde das Glück nicht jedem zuteil. „Die Zeit drängt. Im nächsten Monat soll die Bergspitze gesprengt werden!“ Damit ist der Kampf verloren, aber nicht beendet: „Sie ist zum Symbol geworden.“

Der Prager Architekt, der als Mitglied der Charta 77 im französischen Exil gelebt hat, ist der erste, der in einem Ketten-Hungerstreik dagegen protestiert. Seit über einer Woche wechseln sich Künstler und Studenten, Politiker und BürgerInnen der umliegenden Orte ab. „Es ist unsere letzte Chance“, weiß der Direktor der Stiftung Lemberk. „Alle zuständigen Ministerien in Prag teilen nur mit, daß sie nichts ändern können.“

Dabei versteht sich die 1989 von zurückkehrenden tschechischen EmigrantInnen und internationalen KünstlerInnen gegründete Stiftung gar nicht als Umweltinitiative. Sie will in einer vernachlässigten, aber kulturell reichen Region wieder kreative Menschen unterschiedlicher Traditionen zusammenführen. Im fast vergessenen Bredovskygarten, einem Kleinod böhmischen Barocks, hat sie zu fünf internationalen Bildhauersymposien eingeladen, zu Workshops und Ausstellungen. „Aber ich kann mich nicht mit Kunst beschäftigen“, meint Jakub Kaše, „wenn ringsum unsere Landschaft zerstört wird.“

Die Behörden sehen das anders. „Man wirft uns vor, wir würden uns nicht mit Kultur befassen.“ Das Bezirksamt in Česká Lipa (Böhmisch Leipa) hat den kostenlosen Mietvertrag für den Sommergarten nicht verlängert. So werden die Villa und die Skulpturen weiter verfallen. Die Stiftung besitze ein Sanierungskonzept, jedoch keine Baugenehmigung.

Gerüchte gehen um von Investoren, die ein Hotel errichten wollen. Presse und Fernsehen berichten ausführlich über den Hungerstreik, die tschechische Öffentlichkeit ist aufgeschreckt. Ihre Teilnahme zugesagt haben der stellvertretende Umweltminister der Tschechischen Republik, Aleš Šulc, Dozenten und Studenten der Prager Kunsthochschule, Familien aus der Region. Der Mitunterzeichner der Charta 77 und seit seiner Emigration in Basel lebende Schriftsteller Petr Chudožilov fuhr nach Lemberk, nachdem er im Radio hörte, Kaše sei Stasi- Spitzel gewesen. „Beron-Manager streuen dieses Gerücht“, sagt der Autor, „man braucht den Skandal, um die Stiftung zu kriminalisieren.“

Chudožilov erkennt in der Kampagne „die gleiche Sprache wie vor 20 Jahren“. Da werde gehetzt, Kaše stehe „im Dienst einer fremden Macht“, er wolle eine „tschechische Firma liquidieren“ und bediene sich dazu ausländischer Hilfe.

Tatsächlich beruft sich die Beron selbst auf die alten Zeiten. Sie hat die Abbaurechte schon 1992 erhalten, auf der Grundlage einer Verordnung des Ministeriums für Wirtschaft der CSSR vom September 1968. Inzwischen gelten Umweltgesetze, die den Abbau in der hier praktizierten Form nicht mehr zulassen. Im Sinne der „Rechtskontinuität“ darf der Konzern weitersprengen, als ob der Prager Frühling soeben erst niedergeschlagen wäre. Das unmittelbar zuständige Bezirksamt Česká Lipa ließ die Stiftung durch seinen Umweltreferenten Petr Havranek wissen, wie es die „Ausnutzung dieser Naturquelle“ bewertet: als „gesellschaftlich und legislativ anerkanntes Vorhaben im Rahmen besonderer Vorschriften“.

Bis 1997 befristet seien die Abbaurechte erteilt. Das Umweltministerium vermöge, schreibt der Abteilungsleiter Geologie, Richard Nouza, „keine gesellschaftlichen Gründe für eine Einstellung des Abbaus“ geltend zu machen.

„Das geht nicht nur uns, das geht auch die Deutschen etwas an“, findet Jakub Kaše, „Böhmen ist unsere gemeinsame Umwelt, unsere Geschichte.“ Der Tlustec heißt auf deutsch Toltzberg und ist der geheimnisvolle Schauplatz mancher deutschsprachiger Sagen und Märchen. Kaše und Chudožilov wollen diese Geschichten „aus Büchern, die man hier noch auf Dachböden findet“, ins Tschechische übersetzen. „Damit wir unsere Wurzeln finden.“ Am Hungerstreik nahmen auch ein Mitarbeiter der Umweltbibliothek von Großhennersdorf und Gymnasiasten aus Herrnhut teil; Iris Schröder, Kunststudentin aus Kiel, hatte Jakub Kaše abgelöst.

Auch die Einzahlungen auf das Konto der Lemberk-Stiftung wachsen. Mit dem Geld soll die erste nichtstaatliche Studie über ökologische Folgen des Basaltabbaus bezahlt werden. Erstellt wird sie von der Universität Usti nad Labem (Aussig). Sie soll auch untersuchen, welche Zusammenhänge zwischen dem Basaltabbau und dem offenbar nur vorläufig stillgelegten Uranbergbau in dieser Region bestehen. Zu Füßen des Tlustec, bei Stráž pod Ralskem (Wartenberg) liegt ein See: Absetzbecken für radioaktiven Schlamm.

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