piwik no script img

Giftmülldeponie in FrankreichDie kleine Asse am Oberrhein

Arsen, Asbest, Zyanid: Seit 20 Jahren lagert im Südelsass Giftmüll im Kalibergwerk Stocamine – und bedroht das Grundwasser der Rheinebene.

Wittelsheim, Frankreich, Blockade der Giftmülldeponie Stocamine im ehemaligen Kalibergwerk Foto: Vincent Voegtlin/dpa/picture alliance

Berlin taz | Stahlpfosten stützen die durchhängende Salzdecke ab, Seitenwände brechen teilweise nach innen. Dazwischen eingequetscht lagern auf Paletten gestapelte weiße Kunststoffsäcke gefüllt mit Tonnen hochgiftiger Industrieabfälle. Darin: Alles von Arsen bis Asbest und Zyanid.

Einige Kammern der Giftmülldeponie Stocamine in einem einstigen Kalibergwerk in Wittelsheim im Südelsass, 30 Kilometer von der deutschen Grenze entfernt, werden in rund fünf Jahren wahrscheinlich nicht mehr zu betreten sein. „Dieser Abfall ist eine enorme Bedrohung für unser Grundwasser“, sagt Philippe Aullen, Mitglied des Bündnisses Destocamine.

Seit Beginn der Einlagerung vor 20 Jahren fordert das Bündnis aus 14 Umwelt- und Gewerkschaftsorganisationen, dass der Müll endlich hochgeholt und sachgemäß entsorgt wird. „Wir wissen, dass irgendwann Wasser in die Mine eindringt, dann haben wir ein riesiges Problem am Oberrhein“, sagt Aullen.

Die Mine liegt direkt an einem der größten Grundwasserreservoirs Mitteleuropas, das sich von Basel bis Mainz unter der Rhein­ebene hindurchzieht. Deutsche Aktivisten nennen sie schon die „kleine Asse“ vom Oberrhein – frei nach dem zum Atommülllager umfunktionierten Salzbergwerk in der Nähe von Wolfenbüttel, durch den bereits Wasser schwappt.

Kommunalwahlen sollen helfen

Mitte des Jahres will der französische Staat entscheiden, ob er den Giftmüll aus den Schächten holt oder für immer zwischen den Salzschichten einbetoniert. Am kommenden Sonntag starten in ganz Frankreich die Kommunalwahlen. „Das möchten wir nutzen, um die Lokalpolitiker zum Handeln zu bringen“, sagt Aullen.

Es gibt den Mythos, die Umweltbewegung mache alles teurer. Hier das Gegenbeispiel

Axel Mayer, Aktivist

Grundsätzlich stehen diese hinter dem Bündnis: Bürgermeister, das Departement Haut-Rhin und auch der länderübergreifende Oberrheinrat sind für die Räumung der Mine. Doch das Umweltministerium in Paris verschleppe die dringende Entscheidung seit Jahren, finden viele Kritiker*innen.

42.000 Tonnen Industrieabfälle lagern in 600 Metern Tiefe in der Nähe von Mulhouse. Bei der Eröffnung 1999 plante die Betreibergesellschaft Mines de potasse d’Alsace (MDPA), 300.000 Tonnen Sondermüll dort einzulagern. Zugelassen waren nichtbrennbare Stoffe wie verunreinigte Böden, Rückstände aus der Abfallverbrennung sowie Chrom, quecksilber- und asbesthaltige Substanzen.

Doch als es 2002 in der Mine brannte, stoppte MDPA sein Vorhaben. Untersuchungen zeigten dann, dass bereits in 120 Jahren mit dem Eindringen von Grundwasser zu rechnen ist. MDPA hatte die Salzschichten mindestens noch 1.500 Jahre für sicher gehalten.

Unklar, was mit dem Restmüll geschieht

Im Jahr 2014 wurde begonnen, den für das Wasser besonders gefährlichen quecksilberhaltigen Abfall aus der Mine herausholen. Drei Jahre dauerte die Bergung; die 2.000 Tonnen lagern seitdem im thüringischen Bergwerk Sondershausen. Was mit dem verbliebenen Müll geschieht, ist unklar. „Keiner weiß genau, was dort unten wirklich lagert“, sagt Aullen, „und deswegen will der französische Staat den Rest auch nicht hochholen.“

Im März 2018 trafen sich Lokalpolitiker*innen aus dem Elsass, vom Department Haut-Rhin sowie den umliegenden Gemeinden mit dem damaligen Umweltminister François de Rugy, der eine Studie zur Bergung des Mülls in Auftrag gab. Das Ergebnis bestätigte sieben Monate später, was längst bekannt war: Wegen der Einsturzgefahr der Stollen ist die Räumung herausfordernd – doch bis 2025 gut möglich.

Der französische Staat hält aber das Risiko für die Arbeiter*innen für zu hoch. Der ehemalige Bergbauingenieur Hans-Willi Lisch glaubt, dass dieser Grund nur ein Vorwand sei. Bei der Räumung des Quecksilbermülls war er als Maschinenführer unter Tage: „Wenn man es bergmännisch richtig macht, ist die Bergung auf jeden Fall möglich.“ Dem französischen Staat seien die Kosten aber zu hoch, meint Lisch.

Je länger Frankreich wartet, desto teurer wird es. Denn jedes Jahr schiebt sich das Salz weiter in die Mine: rund sieben Zentimeter – und damit viel schneller als bei Eröffnung der Deponie angenommen. Das Departement Haut-Rhin schätzt, dass die vollständige Räumung 250 Millionen Euro kosten dürfte.

Axel Mayer, ehemaliger Geschäftsführer des BUND Südlicher Oberrhein, verfolgt den Streit um Stocamine seit Beginn. „Das Grundproblem sind die Billiglösungen“, sagt Mayer. „Es gibt den Mythos, dass die Umweltbewegung alles teurer mache. Hier ist das Gegenbeispiel.

Grenzüberschreitender Widerstand

Hätte man auf die kritischen Stimmen gehört und bestimmte Stoffe nicht eingelagert, wäre es für die Gesellschaft günstiger geworden.“ Dass verschmutztes Grundwasser nach Deutschland gelangt, fürchtet Mayer hingegen nicht: „Die Grundwasserströme laufen im Elsass parallel zum Rhein, das Wasser fließt dann Richtung Straßburg nach Norden.“

Trotzdem ist der Widerstand gegen Stocamine grenzüberschreitend. Der Oberrheinrat – mit Vertreter*innen aus Kreis- und Länderebene aus Frankreich, Deutschland und der Schweiz – hat im Juni 2019 eine Resolution verabschiedet. Darin äußert der Rat die Sorge, dass die „Verschmutzung des Rheingrundwassers auf lange Sicht weitaus höhere Kosten verursachen würde als die vollständige Auslagerung der Sondermülldeponie.“

Das französische Umweltministerium antwortet auf die Befürchtungen nur zögerlich. Derzeit wartet es auf die Ergebnisse einer weiteren Studie, die Mitte des Jahres erscheinen soll. Dieses Mal untersucht das Büro eine partielle Räumung der Deponie.

Gleichzeitig arbeitet die Zentralregierung weiter an den Plänen, den Müll einzumauern „Solange es keine Entscheidung gibt, haben wir Hoffnung“, sagt Aullen. „Aber mit jeder Studie vergehen Jahre – und wir rennen gegen die Zeit an.“ Die AktivistInnen fürchten, dass die Behörden weiter zögern. So lange, bis es für eine ordnungsgemäße Räumung zu spät ist.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • 8G
    84935 (Profil gelöscht)

    Die Menschen in 1500 Jahren waren den Entscheidern also komplett egal? Geht man davon aus, dass die Spezies Homo sapiens schon davor den Millionen aussterbenden Arten ins Nirvana folgen wird? Wir müssen endlich aufhören, hochgiftige Scheiße zu produzieren. Sei es Atommüll oder sonstige krasse Gifte. Und das was unvermeidlich ist, muss so gelagert werden, dass es zugänglich bleibt. 600 Meter klingt nach weit weg, ist aber geologisch gesehen an der Oberfläche. Weit ist das nur, wenn man in zweihundert Jahren von oben runter graben muss. Hoffentlich kann man überhaupt noch lokalisieren, wo das Gift im Grundwasser überhaupt herkommt...