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Giftliste für den Alltag267 Chemikalien am Pranger

Sie reichen sich im Körper an, schädigen vermutlich das Erbgut und schränken die Fortpflanzung ein. Umweltschützer fordern für 267 Alltagschemikalien bessere Kennzeichnung.

Viele der Giftstoffe können die Entwicklung des Gehirns beeinträchtigen. Bild: dpa

BERLIN taz 267 Chemikalien stehen auf einer Liste, die die Frauen- und Umweltorganisation Women in Europe for a Common Future (WECF) gestern in Brüssel vorgestellt hat. Allesamt Substanzen, die im Verdacht stehen, sich im Körper anzureichern, Krebs zu erregen, das Erbgut zu schädigen oder die Fortpflanzung einzuschränken. Damit ist die Nichtregierungsorganisation der Europäischen Chemikalienagentur ECHA mit Sitz in Helsinki zuvorgekommen. Diese soll im Rahmen der Umsetzung der Europäischen Chemikalienrichtlinie ebenfalls eine Liste derjenigen Chemikalien präsentieren, die sie für besonders besorgniserregend hält. Diese wird aber wohl noch bis Ende Oktober auf sich warten lassen.

Auf die WECF-Liste aufgenommen worden seien ausschließlich Stoffe, mit denen der Verbraucher alltäglich in Kontakt komme, sagt Sascha Gabizon, Direktorin des Verbandes. Dazu gehört beispielsweise das berüchtigte Bisphenol A, das in Kunststoffschüsseln oder Babyfläschchen enthalten ist und als krebserregend gilt. Aber auch bromierte Flammschutzmittel, die in Mobiltelefonen, Autositzen oder Teppichen vorkommen, gelten als "gefährliche Chemikalien". Denn sie können die Entwicklung des Nervensystems und des Gehirns beeinträchtigen. Weichmacher, die Plastik geschmeidig machen, begegnen dem Käufer in Gummiartikeln oder PVC-Fußböden. Gelangen sie in den Körper, können sie die Fortpflanzungsfähigkeit stören. Auch sie sind deshalb auf der "Sin"-List - Substitute it now - von WECF gelandet.

Die ECHA soll auf Vorschlag der EU-Mitgliedstaaten eine sogenannte Kandidatenliste erstellen. Über alle Chemikalien, die dort auftauchen, hat der Verbraucher ein besonderes Informationsrecht. Das bedeutet, dass er sich beim Kauf eines Produktes erkundigen kann, ob es einen dieser Stoffe enthält. Innerhalb von 45 Tagen müssen Verkäufer oder Hersteller antworten.

Bislang haben die EU-Mitgliedstaaten 16 Stoffe für die Kandidatenliste vorgeschlagen, sagt Suzanne Wiandt von der zuständigen Bundesstelle für Chemikalien. Deutschland etwa wirbt für die Aufnahme von Anthracen, einem Ausgangsstoff für Farbstoffe, sowie des Flammschutzmittels MDA. Dass bislang nur so wenige Nennungen eingegangen seien, erklärt Wiandt damit, dass nur Stoffe genannt würden, für die es gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse gebe und mit denen der Verbraucher auch tatsächlich im Alltag in Kontakt komme. "Die Liste von WECF schauen wir uns aber ganz genau an", sagt Wiandt.

Das hat auch der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels (HDE) getan. Die Händler sind von der neuen Informationspflicht besonders betroffen. "Die Liste erlaubt uns einen Blick in die Zukunft", sagt Beat Späth, Umweltexperte des HDE in Brüssel. Er geht davon aus, dass die offizielle Kandidatenliste der ECHA schnell wachsen wird. "Ein Stoff, der heute auf der Sin-Liste steht, wird vielleicht morgen gesetzesrelevant", sagt Späth. Schließlich nutze WECF die gleichen Daten und wende dieselben Kriterien an, die auch die Europäische Chemikalienbehörde zugrunde lege.

Für WECD-Direktorin Sascha Gabizon ist die Knappheit der EU-Kandidatenliste skandalös - auch wenn sie weiß, worin sich diese begründet: "Es müssen sich 27 Staaten einigen, das ist das Problem", sagt sie. "Und die Lobby der Industrie ist ausgesprochen aktiv." Doch dass der Verbraucher sich über eine Vielzahl von Stoffen, die in seinen Körper gelangen und ihn schädigen könnten, auch künftig eben nicht so schnell informieren könne, sei ganz "einfach beängstigend".

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2 Kommentare

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  • K
    Karl

    @trabeck

     

    Begeben Sie sich bitte zurück in ihre Höhle. Dort empfiehlt es sich nochmal ruhig zu bedenken wie Sie die von Ihnen aufgestellte Behauptung belegen können. Bisher haben Sie sich selbst widersprochen; zwei unterschiedliche Substanzen zu benennen und über vermeintliche Eigenschaften zu spekulieren kann´s ja auch nicht sein. Damit rücken Sie jede berechtigte Kritik ins Abseits und erweisen einer kritischen Gefährdungsabschätzung einen Bärendienst.

     

    Gruß Karl

  • T
    trabek

    Das in dem Artikel als "berüchtigt" und "krebserregend" angeführte Bisphenol-a ist übrigens in den von Zahnärzten so geschätzten Composit-Kunststofffüllungen enthalten, konkret als: Bisphenol-a-Glycidoylmethacrylat.

    Porzellaninlays werden auch gerne damit befestigt.

    "Damit Sie auch morgen noch krebsig zubeißen können." Oder so.