Giebel verboten!

■ Wie die BremerInnen sich über den Wiederaufbau zerstritten: Giebelchen oder Wohnkolchosen?

„Todeszone“ nannten die Menschen nach dem Krieg die Wüste im Bremer Westen, genauer: das Gebiet zwischen Stephani-Kirche und Waller Ring. Wann sollte man das nur alles wiederaufbauen? Und vor allem: wie? Einst hatten hier tausende von kleinen und kleinsten „Bremer Häusern“ gestanden. So sollte es wieder werden, beschlossen die vielen kleinen GrundstückseigentümerInnen und bildeten „Straßenbaugemeinschaften“.

Doch der SPD-Senat hatte anderes vor: Er wollte an die Moderne des Bauhauses anknüpfen, jene Moderne, die die Nazis mit ihrem heimattümelnden Stil abgebrochen hatten. Um allerdings das ganze Gebiet mit modernen Wohnblocks zu bebauen und das Gewerbe aus den Wohngebieten an die Bahnlinie und an die Häfen zu verlagern, hätte der Senat viele Leute enteignen müssen. Ein Sturm der Empörung brach los.

Was haben die nur gegen unsere „Bremer Häuser“, fragten sich die Leute verzweifelt. Stilistisch nichts, antwortete ihnen der Senat, aber die Häuschen, die ihr Euch habt leisten können, die waren einfach viel zu klein – und wie oft mußtet Ihr die wenigen Räume auch noch an Tagschäfer untervermieten! Doch das vermochte die kleinen EigentümerInnen noch nicht zu überzeugen.

Nun griffen auch die konservativen Parteien in die Debatte ein: Man sprach von einem „Gereralangriff auf das Privateigentum“, obwohl doch „das Privateigentum die beste Abschirmung unserer westlichen Kultur gegen östliche Einflüsse“ sei (Dr. Weiß, Bürgerschaftsabgeordneter der Deutschen Partei am 4.2.1953) Der CDU-Abgeordnete Krammig sprach gar von „Wohnkolchosen“, in denen die Kinder zu „Kollektivmenschen“ erzogen würden statt in der „Nestwärme der Familien zu Individuen“.

Was die KleineigentümerInnen letzlich überzeugte: Mit der modernen Stahlbetonbauweise sind Häuser viel schneller und auch billiger hochzuziehen als mit der Klinkerbauweise. So ideologisch die Debatte verlaufen war, die meisten EigentümerInnen haben sich dann doch ganz pragmatisch auf das Tauschgeschäft mit Gewoba und Stadt eingelassen. Am 8. Mai wurde der Grundstein gelegt für das Neubaugebiet in Utbremen und Westend.

Was heutigen BremerInnen eher langweilig und gewöhnlich erscheint, war damals in Bremen eine städtebauliche Revolution: Die Architekten Max Säume und Günther Hafemann reihten die Häuser nicht entlang der Straßen auf, sondern bauten sie quer zu den Straßen, so daß die Häuser umflossen sind von Grün, vom „Utbremer Grün“. Und: Die Häuser richteten sich nicht nach der Straßenrichtung, sondern nach der Sonne. Das ergab ganz neue Viertelsgrundrisse. Zwischen den Häusern schlängelten sich Wege. Denn soweit hatte man die Bauhaus-Moderne doch verändert: Die 50er zeigten einen Hang zu runden Formen, zum Fließenden.

Das Grün versöhnte manchen Kritiker. Doch als an der Hansestraße das erste Bremer Hochhaus gebaut wurde (1950-1958), kochten die Gemüter erneut über: Ihr wollt wohl höher bauen als die Waller Kirche, schäumten Konservative. Ja sicher, antworteten die Architekten Säume und Hafemann, das 14stöckige Hochhaus soll schließlich einen Orientierungspunkt bieten – ganz wie eine Kirche.

Doch nicht nur die Höhe erregte. Nein: dem Haus fehlte ein Dach. So ein Flugdach sei doch nichts rechtes. Ein Giebeldach müsse her. Ein Stück weiter westwärts, entlang dem Steffensweg, haben sich dann konservativere Architekten durchgesetzt: Dort stehen zwar auch Wohnblocks, doch obendrauf haben sie ein Giebeldach, wenn auch ein flaches. „Sowas ist natürlich unsinnig“, sagt Lutz Liffers, der für den Verein StadtLandFluß heutige BremerInnen durch die Wiederaufbaugeschichte führt, „Giebeldächer brauchte man ganz früher für das Stroh, aber so ein flaches Giebeldach taugt ja nicht mal zum Wäscheaufhängen“.

Während sich die kleinen leute in Walle Flachdächer gerade noch so gefallen ließen, liefen die größeren Grundbesitzer in der zerstörten Innenstadt dagegen Sturm. Sie hätten die Häuser am liebsten so aufgebaut, als ob nichts gewesen wäre. Doch da war die SPD vor, erzählt Liffers: Die erteilte für die Innenstadt gewissermaßen ein Giebelverbot – zumindest bei Neubauten. Daß dieses Giebelverbot ein Bauherr in der Sögestraße 1949 heimlich hinterm Bauzaun hinterging, kostete ihn eine saftige Spende für die Baudenkmalpflege: das „Carl-Ronning-Haus“ in der Sögestraße hat einen Giebel; eine Backsteinfassade sowieso.

Gegen eine Rekonstruktion von Altem hatte die SPD nichts, wohl aber gegen historisierende Neubauten. Allerdings: ein Flachdach am Marktplatz, da gerieten selbst SPD–Mitglieder ins Grübeln. Es soll sogar eine Volksabstimmung im Weserkurier gegeben haben: Giebel – ja oder nein? Doch Bürgerschaftspräsident Hagedorn setzte sich nach zehn Jahren voller Wettbewerbe und Diskussionen durch: 1961 wurde eine Bürgerschaft ohne Giebel gebaut. Ein Zugeständnis mußte der Architekt Wassili Luckardt allerdings machen: eine Giebelchen-Verblendung an den Dachrand setzen.

Wie halbherzige Moderne aussieht, kann man übrigens gleich neben der Bürgerschaft sehen: Dort steht das „Haus C“ ( so genannt, weil Teil C des Börsenhofgrundstücks) mit Café Schriefer untendrin. Während die Debatte um die Bürgerschaft noch kochte, setzte der Architekt Bernhard Wessel ein Haus daneben, das irgendwie modern wirkt und doch nicht: ein bißchen roter Klinker, ein riesiges Walmdach, weil das Rathaus ja auch so ein Walmdach habe, dazu viele kleine Fensterchen wie an einem Bauernhaus – nur daß dies ein Bürohaus ist. „Thema verfehlt“, meint dazu der Stadtführer Lutz Liffers. cis

Fahrrad-Stadttour „Über Trümmer in eine neue Zukunft“ am 10.6. und 1.7. 15-17 Uhr, Treff bei StadtLandFluß, Teerhof 46, 10 Mark

Buchtips:

Barbara Fischer: „Das Haus der Bürgerschaft in Bremen“, Edition Temmen, 1995

Franz-Peter Mau: „Flugdächer und Weserziegel –Architektur der 50er Jahre in Bremen“, Worpsweder Verlag, 1990

„Architektur in Bremen und Bremerhaven“, hrsg. Architektenkammer Bremen, Worpsweder Verlag 1988

Hans-Joachim Wallenhorst: „Die Chronik der Gewoba 1924-1992“, Hrsg. Gewoba, 1993