Glorifizieren Filme Krieg?: Ein Albtraum, aus dem es kein Erwachen gibt
Antikriegsfilme? Gibt’s nicht, fand François Truffaut. Doch ein Film straft ihn Lügen, weil er die Brutalität des Krieges nicht glorifiziert.
W enn es um Kriegsfilme geht, wird ein Zitat immer wieder ausgegraben: 1973 sagte der französische Filmemacher François Truffaut in einem Interview mit dem Chicago Tribune, er habe noch keinen einzigen Antikriegsfilm gesehen, auch wenn dies einige von sich behaupten mögen. „Jeder Film über Krieg ist letztlich pro Krieg.“
Kriegsfilme lösen körperliche Reaktionen, vielleicht so etwas wie Nervenkitzel, aus. Es gibt eine Notwendigkeit für Gut und Böse und für einen Helden, der selbst nach den spektakulärsten, blutigsten Schlachten Momente der Läuterung erlebt. Oft gibt es dann noch brüderliche Solidarität unter den Soldaten – und wenn sie auf der richtigen Seite der Geschichte stehen, vielleicht sogar einen Sieg.
Diese Kriegsfilme, das behaupten die, die Truffaut recht geben, glorifizieren Gewalt. Manchmal sind sie nichts anderes als Propaganda. Einen wirklichen Antikriegsfilm zu schaffen, sei im Grunde unmöglich.
„Niemand würde jemals auf die Idee kommen, das über Elem Klimows ‚Komm und sieh‘ zu sagen“, schrieb der berühmte Filmkritiker Roger Ebert einmal. Und Zugegeben: Wenn Truffauts Zitat herausgekramt wird, dann oft, weil sich der- oder diejenige dessen bedient, um ihm zu widersprechen. Und meistens, auch ich, um dann über „Komm und sieh“ zu sprechen, den Film, der für viele als der eine wahre Antikriegsfilm gilt.
„Komm und sieh“ spielt 1943 im besetzen Belarus und folgt dem 14-jährigen Floyra (Alexei Krawtschenko). Voller Vorfreude schließt er sich den Partisanen an, um gegen die deutschen Besatzer zu kämpfen, entgegen dem Willen seiner Familie. Seine Euphorie stirbt spätestens, als sie getötet wird, genau wie sein gesamtes Dorf.
Kein Gut und Böse
Danach folgt für Floyra ein Schrecken dem nächsten. Einem weiteren Massaker, bei dem die Bewohner eines anderen Dorfes in einer Kirche eingesperrt und angezündet werden, entkommt er nur knapp. Sein scheinbar im Zeitraffer alterndes Gesicht verrät, dass er sich vielleicht wünscht, nicht aus der Kirche geflohen zu sein.
„Komm und sieh“ ist ein einziger Albtraum, aus dem es kein Erwachen gibt. Jedes Bild, so furchteinflößend und apokalyptisch es auch sein mag, gleicht einem surrealen Gemälde und ist untermalt von formlosen, oft überforderten Klängen, denen man sich nicht entziehen kann – all das löst fast hypnotische Zustände aus.
In Floryas Welt gibt kein Gut und Böse, nur Mörder und diejenigen, die sie überleben. Es gibt keinen Helden, bloß den verstörten Jungen und Gestalten, die ihn umgeben. Es gibt keine Brüderlichkeit, nur die äußerste Isolation. Besonders aber gibt es keinen Sieg – für niemanden. Glorifizierend ist hieran nichts.
Jetzt, da Drohnen im europäischen Luftraum fliegen, ein neues Wehrdienstgesetz beschlossen ist und auch Deutschland aufrüstet, halte ich Filme, in denen Krieg dargestellt wird, immer schlechter aus. Vielleicht weil die Distanz zwischen uns und dem Krieg, der an anderen Orten längst wütet, während er in Deutschland 80 Jahre lang nur im Film zu sehen war, zunehmend zu schwinden scheint.
Genau deswegen wirkt „Komm und sieh“ heute noch eindringlicher. Er verklärt Gewalt nicht, er ist ein Mahnmal vergangener Entmenschlichung und eine Warnung, diese nicht zu wiederholen.
Truffaut starb, ein Jahr bevor Klimows Film 1985 erschien. Vielleicht hätte der Franzose seine Meinung über Kriegsfilme geändert.
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